Fair auf Augenhöhe
4. Oktober 2022

Raus aus der Krise – aber bitte gemeinsam mit den Freien 

Medienpolitischer Dialog. Deutschland braucht weiterhin ein duales System mit öffentlich-rechtlichen und privaten Medienanstalten. Dafür braucht es nun mehr Transparenz, mehr Teilhabe und Dialog mit den Nutzer:innen der Angebote der Öffentlich-Rechtlichen. Darin waren sich alle Redner:innen des Medienpolitischen Dialogs einig, zu dem die SPD-Bundestagsfraktion am 22. September vor dem Hintergrund der Geschäftspraktiken beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) geladen hatte. 

Von einer Vertrauenskrise sprach Staatssekretärin Heike Raab, Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund für Europa und Medien. Dr. Susanne Pfab, Generalsekretärin der ARD, bezeichnete die Vorkommnisse der letzten Monate gar als größte Krise in der ARD. Eine Krise sah auch Prof. Frank Überall, Bundesvorsitzender Deutscher Journalisten Verband (DJV). Es sei zwar eine Krise des Systems, aber keine Systemkrise.

Dr. Sigrid März, Freischreiber-Vorsitzende, wandte sich mit einem Appell an alle Anwesenden: „Es wurde heute viel über Kontrolle, Transparenz und Teilhabe gesprochen. Ich möchte an dieser Stelle eine Gruppe von Menschen ansprechen, die bisweilen unter den Tisch fallen, wenn es um Kontrolle und Teilhabe geht.

Lassen Sie mich dafür ein paar Zahlen nennen. Auf etwa 28.000 Festangestellte bei den Öffentlich-Rechtlichen kommen etwa 18.000 feste Freie. Wie viele – ich nenne sie mal – freie Freie es darüber hinaus gibt, ist unklar, denn die zählt niemand. Beim rbb sind die Zahlen ähnlich, dort kommen auf 2.000 Festangestellte rund 1.500 Arbeitnehmerähnliche.

Sigrid März

Diese freien Journalist:innen liefern als freie Autor:innen, Redakteur:innen und Reporter:innen einen Großteil des Programms. Sie machen den kritischen und unabhängigen Journalismus, von dem hier immer wieder gesprochen wird.

Gleichzeitig haben die Freien in einigen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nach wie vor keine Stimme, kein Mitsprache- oder Wahlrecht.

Und gleichzeitig sind die Freien die, die als erste weggespart werden, wenn Sender verschlankt werden oder Kürzungen anstehen. Das bringt die freien Journalist:innen in eine prekäre Situation, abgesehen von den sowieso dringend überarbeitungswürdigen Honorierungsmodellen.

Herr Überall, Sie sprachen es eben an: Die Zahl der Angriffe auf Reporter:innen hat in den letzten Jahren erneut zugenommen. Häufig sind es die Freien, die die Wut der Öffentlichkeit hautnah miterleben, wenn sie auf der Straße oder in den sozialen Medien verbal oder gar physisch angegriffen werden.Um es noch einmal zu veranschaulichen: Im Fall des rbb sind also mehr als 40 Prozent der rbb-Beschäftigten, die gleichzeitig einen Großteil der kritischen Berichterstattung stemmen, stimm- und damit machtlos sowie mit prekären Arbeitsbedingungen konfrontiert.

Damit entfällt eine immens wichtige interne Kontrollfunktion, die möglicherweise manch Krise verhindert hätte.

Freienvertretungen in betroffenen Öffentlich-Rechtlichen fordern schon lange Sitze in Personalvertretungen und anderen Kontrollgremien, kurzum mehr Mitbestimmungsrecht.

Wir fordern, wie die Freienvertretungen auch, angemessene Honorare und soziale Absicherung, damit wir von unserer Arbeit leben und weiterhin unabhängig und kritisch berichten können.

Frau Raab, Sie sagten es vorhin: Wir müssen über Kontrolle und Teilhabe sprechen, über Veränderungen der Strukturen. Auch Sie sprachen dies an, Frau Pfab: Teilhabe und Dialog mit den Nutzer:innen der Programminhalte sei wichtig. Ich stimme Ihnen zu, aber erweitern Sie den Kreis der Menschen, mit denen Sie in den Dialog treten, um Ihre freien Mitarbeiter:innen.

Sie können viel über Transparenz und Compliance sprechen. Aber planen Sie Neustrukturierungen und Reformen bitte nicht erneut ohne die Freien!“

Die Medienanstalten haben nicht nur eine Verantwortung den Konsument:innen der Programminhalte gegenüber, sondern ebenso ihren freien Mitarbeiter:innen. Denjenigen, die zu großen Teilen die Programminhalte produzieren. Freischreiber steht für Gespräche zur Verfügung.

Hintergrund:

Am 22. September trafen sich auf Einladung der SPD-Fraktion Medienschaffende sowie Menschen aus Politik und Medienlandschaft im Deutschen Bundestag zum Medienpolitischen Dialog. Das Thema: „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk – wie geht es weiter? Transparenz und Compliance für mehr Bürgernähe“.


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