vom 22T13:11:03+00:00.04.2020
22. April 2020
Von gestrafften Honoraren und räudigen Marabus
Liebe Freischreiberïnnen, liebe Kollegïnnen und liebe Freundïnnen von Freischreiber,
normalerweise platzt unser Redaktionsordner vor Nachrichten, die wir unbedingt im nächsten Newsletter unterbringen wollen. Jetzt ist er fast leer. Und was sich darin befindet, handelt von Corona. Wir stellen fest, dass sich unser Blick verengt, obwohl die Welt jenseits des Virus nicht zum Stillstand gekommen ist. Das ist eine bedenkliche Entwicklung. Sie hat viel damit zu tun, dass wir im Moment nicht so recherchieren können wie sonst. Und natürlich auch damit, dass die Corona-Krise für viele freie Kollegïnnen der perfekte Sturm ist: weitgehender Auftragsstopp, keine Kinderbetreuung, kaum noch Vor-Ort-Recherchen, kaum noch Einkommen. Und verdammt viele Sorgen, wie und ob es weitergeht.
Wir müssen berichten!
Aber wir sind Journalistïnnen, wir müssen berichten, was abgesehen von Corona auf der Welt geschieht. So wie es diese Kollegïnnen tun, deren Artikel oder Dokumentationen wir hier verlinken, etwa zu den Flüchtlingslagern in Moria (Wiener Zeitung) und Syrien (Arte). Oder zum Voranschreiten der Klimakrise (Correctiv) und der Suche nach Lösungen (Riffreporter). Oder zum Einknicken (Tagesspiegel) des Bundesinnenministeriums vor der AfD. Oder über den Rückschritt in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (falter.at), wenn es keine Kinderbetreuung gibt. Dieser Rückschritt betrifft vor allem Frauen, die sich vorkommen müssen wie auf einem Katapult in die Fünfzigerjahre. Das sind drängende Probleme, die darauf warten, dass wir sie aufgreifen. Doch wie berichten, wenn wir nicht am Ort des Geschehens sein dürfen? Darauf haben die Freischreiberïnnen Anja Reiter und Jakob Vicari im Freischreiber-Bibel-Blog acht gute Antworten aufgeschrieben, Stichwort: Daten statt Taten. Oder: kollaborative Recherche.
Mehr als nur berichten will Freischreiberin Jeannette Hagen, die in den vergangenen Jahren als Berichterstatterin im Flüchtlingslager Moria war. Sie hat mit ihrer Kollegin Heike Pohl eine Petition für die umgehende Evakuierung des Lagers gestartet, mit der sie ausschließlich prominente Stimmen sammelt. Verbunden mit der Hoffnung, dass diese Stimmen sich mehr Gehör verschaffen können, als das bislang der Fall war.
Das Klimaprojekt „Am Puls der Erde“ von Freischreiber Raphael Thelen und Theresa Leisgang ist fürs Erste unterbrochen. Die beiden Klimareporterïnnen mussten ihre Reise von Südafrika bis in die Arktis wegen der Corona-Pandemie an der Grenze zu Malawi beenden. Raphael schreibt: „Wir sind tatsächlich leider zurück, es ging irgendwann nicht mehr weiter: Gerade als wir nach Malawi einreisen wollten, wurde dort der Ausnahmezustand ausgerufen, und die Einreise von Drittstaatlern untersagt, nach Mosambik konnten wir aber auch nicht zurück, weil dort mittlerweile das Gleiche galt. Die Grenzbeamten waren großartig und wollten gern helfen, konnten aber auch nichts tun. So sind wir vier Tage da festgehangen, bis wir es mithilfe der deutschen Botschaft geschafft haben, eine Ausnahme zu erwirken, mehr als ein 48-Stunden-Transitvisum war aber leider nicht drin, und das auch nur unter der Bedingung, dass wir gleich nach Deutschland ausfliegen. Wir haben das auch alles im Podcast von Louis Klamroth erzählt und sehen das jetzt als Auszeit, in der wir uns neu sortieren. Und letztlich passt es auch ins Konzept der Reise, denn Corona stellt uns ja auch die Frage, wie wir als Individuen und Gesellschaft mit Krisen umgehen können.“ Wir sind gespannt, wie es weitergeht und hoffen auf eine baldige Fortsetzung dieses wichtigen Projekts.
Nun zu Corona: Welche finanziellen Hilfen und andere Formen der Unterstützung es für freie Journalistïnnen gibt, finden Sie stets aktualisiert in unserer umfangreichen FAQ auf dem Freienbibel-Blog. Mit Updates zu den staatlichen Hilfen und ihren stetigen Veränderungen, einer ausführlichen Anleitung, wie man die Grundsicherung beantragt, und mit einem Fünf-Punkte-Plan, der freie Kollegïnnen durch die Krise helfen soll. Stichwort: Geschäftsmodelle überprüfen.
Das wird, fürchten wir, auch dringend notwendig sein. Die Funke Medien Gruppe hat laut Turi2 die Honorare von Freien „nicht gestrichen, sondern allenfalls gestrafft“ (bei einem mittleren Bruttostundenhonorar von 26,91 Euro). Liebe freie Journalistïnnen, wenn Sie Ihre Geschäftsmodelle überdenken: Streichen Sie Ihre Beiträge für die genannte Medien-Gruppe nicht, aber straffen Sie sie entsprechend.
Apropos: Wie Freie am besten ihre Honorare berechnen und ihre Kundïnnen sortieren, erklärt Freienbibel-Redakteur Jan Schwenkenbecher in seinen BASICS-Beiträgen auf dem Freienbibel-Blog. Da geht es um sehr krumme Summen (269,02 Euro pro Tag), aber auch um Waschbären, die Glanz in die Hütte bringen, und räudige Marabus, von denen sich fernhalten sollte, wer auf einen grünen Zweig kommen will. Am selben Ort schreibt Lokalreporter und Freischreiber-Vorstand Jens Eber über die alten Zöpfe des Terminjournalismus und verrät, wie Freie sich im Lokaljournalismus unentbehrlich machen. All das und etliches mehr versammelt sich auf dem Blog der Freienbibel, die nach und nach zu einem Buch heranwachsen soll, der Freienbibel 2 – sieben Jahre nach der ersten Bibel, die nun ja doch in die Jahre gekommen ist. Deshalb aktualisieren wir sie nicht, sondern schreiben sie nigelnagelneu. Hier auf Steady kann man uns dabei unterstützen.
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Freischreiberiges
Die Freischreiberin Katharina Nocun hat mit ihrer Co-Autorin Pia Lamberty ein Buch über Verschwörungstheorien geschrieben. In „Fake Facts“ untersuchen die Autorinnen unter anderem, „wie sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft durch Verschwörungstheorien radikalisieren und die Demokratie als Ganzes ablehnen“. Erscheint am 29. Mai bei Lübbe und kostet 19,90 Euro im Hardcover und 14,90 als E-Book.
Der Freischreiber-Honorarreport 2020 ist in Vorbereitung, und einer seiner Väter ist der Datenjournalist und Freischreiber Michel Penke. Mit dem Team von Correctiv ist Michel Penke nun auf der Nominierungsliste des Nannen-Preises gelandet, mit „Wem gehört Berlin?“ in der Kategorie Web-Projekt. In bester Gesellschaft mit Freischreiber-Bro Rezo, der ebenfalls für den Nannen-Preis nominiert wurde mit seinem legendären Video „Die Zerstörung der CDU“. In der Kategorie „Investigative Leistung“ ist Freischreiberin Vera Deleja-Hotko als Teil des SZ-/Spiegel-Teams auf der Nannenpreis-Nominierungsliste vertreten, mit der „Ibiza-Affäre“, die ja diverse Steine ins Rollen gebracht hat. Wir gratulieren von ganzem Herzen und drücken die Daumen!
Dies & das
Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e. V. (acatec) vergibt den PUNKT-Preis für Technikjournalismus und Technikfotografie. Texte und Beiträge können für die Kategorien „Tagesaktuell“ und „Hintergrund“ bis zum 19. Mai 2020 eingereicht werden. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert. Hier steht mehr dazu.
Die Riffreporter haben eine digitale Veranstaltungsreihe mit der Münchner Stadtbibliothek auf den Weg gebracht. Sie heißt „Froschgesang und Seifenklang – gemeinsam mit Wissenschaftsjournalist*innen die Welt digital erkunden“. Wer schon immer mal Riffreporter live und in Farbe sehen wollte, hat heute am 22. April ab 18 Uhr die Gelegenheit dazu bei „Meet the Riff!“. Da präsentieren sich die Umweltprojekte der Riffreporter in einem 60-minütigen Expertïnnen-Slam. Unter anderem mit dem „Pandemic Silence Project“, das die stiller gewordene menschliche Welt in der Zeit des Lockdown dokumentiert.
Die Reihe beginnt anlässlich des Earth Days und endet am 5. Juni mit dem Welt-Umwelttag. Die nächsten Riff-Termine (27. April und 29. April) drehen sich um die „Pandemie der Frösche“ und um „Abwehrkräfte“.
Ein kleines großartiges Mini-Musical zweier Hamburger Musikerïnnen begeistert uns gerade sehr, das erste #stayathome-Musical. „Wir sind nicht systemrelevant“, singen Lukas Nimschek und Franziska Kuropla, „denn wir können nur tanzen und singen.“ Aber was ist das für ein „nur“!
Das war es wieder von uns. Bleiben Sie gesund, bleiben Sie zuversichtlich, bleiben Sie uns gewogen.
Ihre Freischreiberïnnen
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