Faire Honorare
18. Juni 2013

Sie hat Bangladesch gesagt – z.Hd. Dr. Esser

Sehr geehrter Herr Dr. Rainer Esser, „Für Die Zeit zu arbeiten, macht sehr viel Freude.“ So sagten Sie Kollegin Silke Burmester am Wochenende in einem lesenswerten taz-Interview. Lesenswert ist das Interview nicht nur, weil die Kollegin die richtigen Fragen gestellt hat. Es wirft auch einen Blick auf die Welt eines Geschäftsführers, der ein wichtiges Segment des journalistischen Marktes, das der freien Journalisten, völlig aus dem Blick verloren hat. Naja, die sitzen ja auch im fernen „Bangladesch“ Berlin, wie Burmester die Missverhältnisse nennt. Wenn man Ihren Ausführungen über das schöne Leben der Freien so folgt, gewinnt man den Eindruck: Die Medienjournalistin ist besser über die Zustände in Ihrem Haus im Bilde als Sie. Nein, wir sind nicht glücklich. Nein, vielen Kollegen macht es keine Freude mehr, für „Die Zeit“ zu schreiben. Im Verhältnis zwischen dem, was Sie zu Recht an Kompetenz, Expertise, Rechercheaufwand, Textqualität von den freien Autoren erwarten, und dem, was Sie bereit sind dafür zu bezahlen, klafft eine geradezu beschämende Lücke. Wir hören immer neue Erfolgsgeschichten von Ihnen. Die „Zeit“ macht Rekordumsätze. Seit 2003 hat sich der Umsatz des „Zeit“-Verlags mehr als verdoppelt. Die Auflage steigt. Wir, die freien Autoren, müssen um jeden Euro feilschen. Für ein 6.000-Zeichen-Porträt zahlen Sie manch freiem Autoren 350 Euro, für ein 10.000-Zeichen-Interview (für das man etwa drei Tage kalkulieren muss) 500 Euro. Nein, Herr Dr. Esser, wir wollen nicht bei Ihnen festangestellt werden – womöglich als Reiseleiter, Weinverkoster oder Werbeheftchenmacher. Wir wollen fair behandelt werden und Honorare bekommen, die unserer Kompetenz und unserer Leistung entsprechen. Wie es Die Zeit in ihren Leitartikeln gerne für andere Berufsgruppen fordert. Sehr geehrter Herr Dr. Esser, wir haben versucht, Sie mit Keksen zu füttern, wir haben Ihrem Chefredakteur Briefe geschrieben und mit ihm diskutiert. Wir haben die miserablen Honorare veröffentlicht und mit ihren Redakteuren wieder und wieder diskutiert. Geändert hat sich nichts. Wenn sich jetzt jemand traut, Sie darauf anzusprechen, wie Kollegin Silke Burmester, dann geben Sie sich erst erstaunt. Dann schreiben Sie das Interview um und werfen der Kollegin hinterher Verzerrung vor. Sie schreiben in einem Kommentar unter dem Interview: „Sie hat wider besseren Wissens, um den Spin ihrer Geschichte zu erhalten, die Dinge verzerrt dargestellt.“ Dazu veröffentlichen Sie ohne Zustimmung Honorare, die die Kollegin für Artikel im Zeit-Magazin bekommen habe. Stefan Niggemeier nennt ihr Vorgehen treffend ein „Foul“. Denn was belegen Honorare, welche das Zeit-Magazin Deutschlands bekanntester Kolumnistin gezahlt hat, über die schlechten Honorare der „Zeit“ und die Almosen von „Zeit-Online“? Sehr geehrter Herr Dr. Esser, kehren Sie zurück auf die Sachebene, die Sie – nicht etwa Silke Burmester – verlassen haben, indem Sie die Kollegin als Klein Erna bezeichneten und versucht haben, die Kollegin auf unglaublich niveaulose Weise zu diskreditieren und zu entwürdigen. Wir sind schon überrascht, wie wenig sich der ausgebildete Journalist Esser auf dieses Interview vorbereitet hat. Sie konnten offenbar weder mit konkreten Zahlen dienen noch haben Sie sich informiert, mit wem Sie da ein Interview vereinbart haben. Dabei hatten Sie sogar Gelegenheit, dies im Zuge der Autorisierung nachzuholen. Das haben Sie offenbar versäumt. Es kann nicht sein, dass der Geschäftsführer einer großen Zeitung kritische Berichterstattung diskreditiert. Machen Sie die Honorare der „Zeit“, von „Zeit Online“ und „Zeit Magazin“ öffentlich und transparent. Geben Sie die Originalfassungen des Interviews frei. Und vor allem: Beweisen Sie Ihre Behauptung, Burmester hätte unsauber gearbeitet. Oder ziehen Sie Ihre Vorwürfe eindeutig und öffentlich zurück. Ihre Freischreiber Nebenan hat Stefan Niggemeier über Das Revanchefoul des „Zeit“-Geschäftsführers an Klein Erna berichtet.


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