vom 05T04:38:49+00:00.05.2020
05. Mai 2020
Was würde Mutter Beimer tun?
Liebe FreischreiberInnen, liebe KollegInnen, liebe FreundInnen von Freischreiber,
vor gut einem Monat lief in der ARD die letzte Folge der „Lindenstraße“, nach 34 Jahren, in denen sie zum deutschen Fernsehinventar gehört hatte. Die „Lindenstraße“ – am Ende war das vielleicht gar nicht mehr so klar – war einst geradezu revolutionär gewesen, sie brachte schmerzhafte Themen in die noch von Eiche rustikal geprägten Wohnzimmer der deutschen Vorwendezeit, Menschen starben an HIV, der biedere Familienvater wurde untreu, unheilbar Kranke dachten über Sterbehilfe nach. Die „Lindenstraße“ polterte nicht brutal-plakativ in die Stube, sie war – mit dem damaligen medialen Tempo gemessen – am Puls der Zeit, nahm Kontroversen die Spitzen und machte sie leichter begreiflich.
Keine Sorge, das hier ist immer noch der Freischreiber-Newsletter, der Twist zum Journalismus kommt schon: Als JournalistInnen können wir uns ein Beispiel an der „Lindenstraße“ nehmen, gerade jetzt, wo Corona so viele neue Fragen und Verwerfungen aufgebracht hat. Klar, wir können unterhalten, aber an einem nicht mehr allzu fernen Punkt in der Zukunft werden wohl alle Jogginghose-im-Homeoffice-Kolumnen auserzählt sein. Viel wichtiger ist jetzt, gründlich zu recherchieren und kluge, schlüssige Antworten für die unzähligen Aspekte der Krise zu finden. Wir brauchen in diesen rasenden Zeiten auch immer wieder neue Formate, die Informationen und Wissen womöglich griffiger vermitteln können als ein gedruckter 15.000-Zeichen-Text.
Wie das aussehen kann, dürfen wir im Freischreiber-Vorstand gerade aus nächster Nähe beobachten, denn – so viel Eigenlob sei erlaubt – gleich ein Drittel unserer Mitglieder ist für den Grimme-Online-Award 2020 nominiert: Zum einen Nicola Kuhrt, die mit ihrem Kollegen Hinnerk Feldwisch-Drentrup auf MedWatch seriöse Antworten auf womöglich gefährliche medizinische Berichterstattung findet. Zum anderen Anna Heidelberg-Stein und Jakob Vicari, die zusammen mit einer ganzen Reihe von KollegInnen auf #bienenlive das Leben dreier Bienenköniginnen zum Erlebnis machten.
Ebenfalls aus den Reihen der Freischreiber stammt Katharina Nocun, deren Podcast „Denkangebot“ in der GOA-Kategorie Information nominiert ist.
Schon einen Schritt weiter, nämlich mit dem Nannen-Preis geehrt, ist seit vergangener Woche Freischreiberin Vera Deleja-Hotko, die in einem aus MitarbeiterInnen des „Spiegels“ und der „Süddeutschen Zeitung“ bestehenden Team an der Aufdeckung der „Ibiza-Affäre“ um den damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gearbeitet hatte. Zumindest ein Freischreiber-Sympathisant ist Rezo, der mit seiner „Zerstörung der CDU“ die Kategorie Web-Projekt des Nannen-Preises gewinnen konnte. Wir gratulieren ganz herzlich!
Diese Aufzählung zeigt, wie vielfältig preiswürdige journalistische Arbeit heute sein kann – und dass eines sie eint: Sie überrascht, klärt auf und schafft Orientierung in verwirrenden Zeiten. Es ist eben unsere Aufgabe als JournalistInnen, die Welt zu ergründen, Wissensstände zu vermitteln, dem Unbekannten – wie die „Lindenstraße“ – auch manchmal den Schrecken zu nehmen. Die Riffreporter machen das weiterhin vor, die Plattform bietet seit Wochen einen Corona-Schwerpunkt mit gewissenhaftem, tief recherchierten Wissenschaftsjournalismus – und steigenden Zugriffszahlen auf die aktuell fast 90 Artikel zur Krise.
Die Schüler der Reportageschule Reutlingen mussten in den vergangenen Wochen zwar auf Präsenzunterricht verzichten, doch untätig waren sie nicht: Sie erstellten das Vid-Magazin und befassten sich damit, wie es in der Welt mit und nach Corona weitergehen wird.
Orientierung in der Krise zu bieten, das beschäftigt aber auch uns Freischreiber seit Wochen. In der öffentlichen Wahrnehmung rangiert die Lage der freien JournalistInnen weit hinten. Unsere FAQ zu den Soforthilfen in Bund und Ländern ist ein Beispiel dafür, wie dynamisch unsere Situation ist. Zuerst wollten wir lediglich die wichtigsten Fragen zu den Soforthilfen kompakt zusammenfassen. Bald aber zeigte sich, wie hastig und mit heißer Nadel viele Regeln und Hilfen gestrickt worden waren. Die AutorInnen und Freischreiber-Vorstandsmitglieder Katharina Jakob und Oliver Eberhardt schlagen sich daher in jeder freien Minute und in vielen Nächten durch das Dickicht der Behördentexte, immer mit dem einen Ziel: die Hilfen verständlich zu machen. Das „Medium Magazin“ nennt die Freischreiber-FAQ in seiner jüngsten Ausgabe eine „pointierte Übersicht“ für freie JournalistInnen.
Auf unserem Blog Freienbibel stehen die FAQ weiterhin ganz oben, das sechsköpfige Redaktionsteam arbeitet aber auch intensiv daran, für weitere Aspekte des Freien-Daseins Orientierung und Unterstützung zu bieten – und klar, dass im Moment fast alles einen Corona-Unterton hat, denn diese Krise schlägt nicht zuletzt eben bei den wirtschaftlich weitgehend ungeschützten freien JournalistInnen hart durch. Wie sehr, das hat Jakob Vicari im Interview mit dem „Medium Magazin“ kurz und knapp dargelegt. Auf die Frage, wie die Medienhäuser auf das mit der Forderung nach Solidarität verbundene Freischreiber-Manifest reagiert haben, sagt er: „Wir haben Solidarität eingefordert. Und bekamen einen Auftragsstopp. Keine Pointe.“
Umso mehr freut uns das Vertrauen vieler FreischreiberInnen in den Verband. Viele treffen sich fast wöchentlich in den Freischreiber-Mittagspausen (nächster Termin ist eine Spätschicht am 6.5.), entwickeln bei Slack Ideen für neue virtuelle Lagerfeuer (s. unter „Freischreiberiges“), sogar eine ganze Reihe neuer Mitglieder konnten wir in den vergangenen Wochen willkommen heißen. Das freut die Freischreiber-Community natürlich wahnsinnig – und wir können es kaum erwarten, uns wieder „in echt“ zu treffen. Bis dahin bleiben wir tapfer, arbeiten unerschrocken weiter und machen trotz aller Widrigkeiten den guten Job, den, den wir lieben, ja?
Freischreiberiges
Zur ersten Zoom-Spätschicht trifft sich die Freischreiber-Regionalgruppe Rhein-Neckar am Mittwoch, 6. Mai, ab 19 Uhr. Thema des Abends: „Traut euch! Wie journalistische Unternehmer gegründet haben“. Mit dabei sind Eric Seitz, Herausgeber des Online-Magazins WOW Ludwigshafen, und Michael Dostal, Herausgeber des Genuss-Magazins VielPfalz. Freischreiber-Mitglieder können sich hier anmelden.
Das Magazin GEOlino hat Freischreiber-Vorständin Nicola Kuhrt dabei begleitet, wie sie für die gemeinnützigen „Lie Detectors“ eine sechste Klasse in Hamburg über Fake News aufklärte.
Die Berliner Reporter-Akademie und Freischreiber bieten am 12. und 13. Mai einen Positionierungs-Crashkurs als Webinar an. Die Details gibt es hier:
Digitaler Crashkurs Positionierung: Wie du erfolgreich deinen Marktwert steigerst. Jetzt anmelden zum Crashkurs mit Michael Obert / Reporter Akademie Berlin am 12. & 13. Mai jeweils 18-19:30 Uhr (Online / Zoom).
Freischreiber-Mitglieder bekommen auch Sonderpreise für die anstehenden Kurse bei der Reporter-Akademie – und zwar noch bis übermorgen, 7. Mai! Los geht es mit dem Seminar Train-the-Trainer vom 1. bis 5. Juni, vom 1. bis 3. Juli läuft dann die Masterclass Reportage, gefolgt von „Gut leben als Freier“ (6./7. Juli) und dem Training für AuslandreporterInnen am 8. und 9. Juli. Die Anmeldung erfolgt jeweils direkt über die Akademie.
Dies & das
Noch mal zum Thema neue Formate: Unter dem Titel „Umrisse“ schreibt Ronja von Wurmb-Seibel ein Buch – und veröffentlicht hier jeden Freitag ein neues Kapitel. „Umrisse“ soll ein Plädoyer dafür werden, nicht an der Krise zu verzweifeln, sondern Mut und Zuversicht zu finden.
Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) bietet auch im akademischen Jahr 2020/2021 erfahrenen freien und festangestellten JournalistInnen die Möglichkeit eines Gastaufenthaltes an. Für die Dauer von sechs Wochen bis drei Monaten können die StipendiatInnen eigene Recherchen verfolgen. Bewerbungsfrist ist der 31. Mai 2020. Das Rechercheinteresse der JournalistInnen soll einen Bezug zu den Forschungsarbeiten am WZB haben. Weitere Informationen zum Programm und zur Bewerbung gibt es hier.
Die Robert-Bosch-Stiftung legt ein neues Förderprogramm für die „Kommunikation wissenschaftlich fundierter und zielgruppengerechter Informationen zur Corona-Pandemie“ auf. Um finanzielle Unterstützung können sich WissenschaftlerInnen, WissenschaftsjournalistInnen, aber auch YoutuberInnen sowie Beschäftige der Kreativ-, Pflege-, Gesundheits- und Bildungsbereiche bewerben. Alle weiteren Infos zur Ausschreibung gibt es hier.
Der Fritz-Schösser-Medienpreis des AOK-Bundesverbands zeichnet JournalistInnen aus, die sich „in umfassender und allgemeinverständlicher Weise mit der Gesundheitspolitik in Deutschland auseinandersetzen“. Der Preis ist mit insgesamt 20.000 Euro dotiert. Die Bewerbungsfrist endet am 30. Juni 2020. Das Online-Bewerbungsformular finden Sie hier.
Das Medienhaus VRM in Mainz und die Lingen-Stiftung (Köln) loben einen nationalen Recherchepreis aus, um den regionalen Qualitätsjournalismus zu stärken. Adressaten des Wettbewerbs sind jüngere JournalistInnen von Lokal- oder Regionalzeitungen sowie journalistisch unabhängige Onlinemedien mit regionalem Bezug bis einschließlich 35 Jahre. Prämiert werden Beiträge, die sich durch exzellente Recherche-Arbeit im regionalen Journalismus auszeichnen und im Zeitraum von 01. Mai 2019 bis 30. April 2020 publiziert wurden. Der Gutenberg-Recherchepreis ist mit insgesamt 15.000 Euro dotiert. Die Bewerbungsfrist läuft noch bis 15. Mai. Alle Infos gibt es hier.
Die Nielsen Norman Group hat einmal mehr untersucht, wie sich das digitale Leseverhalten der Menschen verändert, und ihre Ergebnisse in einem Report zusammengefasst. Wichtig ist demnach, die Spannung aufrechtzuerhalten, inhaltlich relevant zu bleiben und nicht zu schwafeln. Wir hoffen, dass uns dies wieder einmal gelungen ist.
Bleiben Sie gesund!
Ihre FreischreiberInnen
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