vom 08T06:44:20+00:00.04.2020
09. April 2020
Schaut hin
Liebe Freischreiber*innen,
liebe Kolleg*innen,
in den vergangenen Wochen haben wir unter dem Stichwort #seidsolidarisch viel über unsere Lage gesprochen. Redaktionen sollen Freien gegenüber solidarisch sein – richtig so! Auch sonst geht es in den Medien vor allem darum, Arbeitsplätze und die Wirtschaft zu retten. Auch richtig. Wir alle stehen vor großen Herausforderungen, freie Journalist*innen inbegriffen. Bei all diesen berechtigten Sorgen fällt aber auf, wie sehr wir uns in diesen Tagen um uns selbst drehen.
Im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos leben derzeit knapp 20.000 Geflüchtete, darunter viele Kinder. Sie sind unter menschenunwürdigsten Bedingungen zusammengepfercht, haben kaum Zugang zu Wasser und Nahrung, von Hygiene und Virenschutz ganz zu schweigen. Das Lager ist von der Außenwelt abgeriegelt, Hilfsorganisationen verlassen es. Sollte an diesem Ort das Coronavirus ausbrechen, käme das einer Katastrophe gleich. Selbst die konservative „Welt“ spricht in diesem Zusammenhang von einem „Sinnbild der Schande“. Die Hilfsorganisation Mission Lifeline hat nun eine politische Kampagne gestartet, um das Lager zu evakuieren. Auch wir als Journalist*innen stehen in der Verantwortung, gerade in Krisenzeiten die schwächsten Menschen nicht aus den Augen zu verlieren.
Wir Freischreiber*innen rufen deshalb dazu auf, die mediale Aufmerksamkeit wieder über Corona hinaus zu streuen. Berichtet über die Missstände, schaut wieder oder weiterhin über euren Horizont – und, auch das, über die eigenen Sorgen hinweg. Für uns als freie Journalist*innen geht es in diesen Tagen um die wirtschaftliche Existenz. Für viele andere Menschen steht das Leben auf dem Spiel.
Unterstützung für freie Journalist*innen
First things first. Denken Sie sich hier einen galanten Übergang. Dabei wollten wir es gar nicht aussprechen: das Wort. Und was dahintersteckt, was uns den Kopf verdreht, was uns nicht schlafen lässt oder was uns ganz entspannt in der Hängematte schaukeln lässt, weil sich ja doch nichts ändern lässt – je nach Temperament und Kontostand und Wetterlage. Dieses eine Wort, das mit „C“ anfängt und „orona“ endet, wird auch diesen Newsletter dominieren, da hilft nix, da müssen wir durch. Und – ja, in den ersten drei Absätzen stand es schon zweimal drin, richtig gezählt.
Aber weiter in Sachen Krisenbewältigung. Es sei gleich allen die große FAQ-Sammlung für Freie zur Corona-Krise ans Herz gelegt: Man kann diese Seite wie eine Machete nutzen, um sich einen Weg durch den Dschungel an Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten zu schlagen. Geführt, betreut, geleitet von Katharina Jakob und Oliver Eberhardt vom Freischreiber-Vorstand, und – und das ist entscheidend – sie wird von ihnen fortlaufend aktualisiert. Mit Stand von jetzt – wo dieser Newsletter geschrieben wird – steht das zehnte Update online. Und dabei wird es nicht bleiben. Freischreiber-Mitglieder bekommen Antworten aus erster Hand dazu bei der nächsten Freischreiber-Mittagspause am 14. April.
Und jetzt sozusagen die Werbung, eine leise Ermahnung, eine aufrechte Bitte: Wir stellen alle Informationen, die wir haben, allen zur Verfügung. Wirklich jedem. Und zugleich sind wir ein Verband, der von seinen Mitgliedern lebt – und auch von deren Mitgliedsbeiträgen. Und so einen Blog aufzusetzen, zu pflegen und auf Stand zu halten, das ist handfeste Arbeit. Rund um die Uhr. Das macht man nicht so nebenbei. Von daher: Werden Sie Mitglied bei Freischreiber, was ohnehin eine coole Idee ist. Oder unterstützen Sie die Arbeit des Redaktionsteams via Steady.
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So. Die FAQ enthalten Informationen zu den Bundesmitteln, um freien Journalist*innen zu helfen, die Krise zu überstehen. Und dann die Fördermöglichkeiten der Bundesländer, alle nacheinander. Plus eine Passage zu Möglichkeiten der Grundsicherung, dem Leistungsverweigerungsrecht (wird erklärt), anderen Fördermöglichkeiten vom VG-Wort-Sozialfond über Wohngeld bis zum Kindergeldzuschlag. Und auch erste Informationen, was die Auftraggeber*innen derzeit tun oder auch nicht, finden sich. Ganz wichtig: keine Scheu. Keine Scheu, die derzeit (!) möglichen Möglichkeiten der Grundsicherungen in Anspruch zu nehmen, denn die allerallermeisten Unterstützungsleistungen beziehen sich auf die reinen Betriebskosten wie Miete, Telefon, Versicherungen etc., aber so gut wie nicht (da gibt es regionale Unterschiede) auf die Sicherung des Lebensunterhalts (den Kaffee, die Butter, die Brötchen).
So sei Oliver Eberhardt vom Freischreiber-Vorstand zitiert: „Fürs tägliche Leben sollen sich die Leute an die Grundsicherung halten, die auf dem ALG II / Hartz-IV-System aufbaut. Von dessen miserablen Ruf sollte man sich nicht abhalten lassen. Denn zumindest für ein paar Monate lässt man die Zügel kräftig schleifen: Es wird nicht geprüft, ob man Vermögen hat, es sei denn, man hat mehr als 60 000 Euro, und auch die Einkommensermittlung bei Selbstständigen wurde kräftig eingedampft.“ Hier geht es zu den übrigens jetzt sehr übersichtlichen Antragsformularen. Auch wichtig: Man muss seinen Antrag nicht persönlich beim zuständigen Jobcenter abgeben. E-Mail oder Brief reichen.
Corona & Co: Sternstunde für regionalen Journalismus?
Die Zapp-Redaktion hat ein Spezial zum Thema „Journalismus in Zeiten von Corona“ veröffentlicht. Kollege Daniel Bouhs hat einen Beitrag darüber gemacht, wie freie Journalist*innen durch die Krise kommen und bei Freischreiber-Vorständin Anna Heidelberg-Stein gedreht: „Freie Journalisten: selbstständig und solidarisch?“ Außerdem haben die Kolleg*innen weitere Journalist*innen in der ersten Woche des Kontaktverbots begleitet. Hier gibt es die komplette Sendung.
taz2-Redakteur Volkan Agar schreibt über die Corona-Hilfen für freie Journalist*innen und hat dazu auch mit Freischreiber-Vorstandsmitglied Oliver Eberhardt gesprochen, der zum Beispiel kritisiert, dass die Kriterien von Bundesland zu Bundesland nicht nur sehr uneinheitlich sind, sondern gerne auch von jetzt auf gleich geändert werden, ohne das zu kennzeichnen.
Alexander Graf hat sich für „Übermedien“ dezidiert unter den Freien Journalist*innen umgehört und versucht, auch die Lage der Verlage zu sondieren: „Wie für viele andere Freiberufler und Selbstständige brechen für freie Journalistinnen und Journalisten gerade harte Zeiten an. Termine und Veranstaltungen fallen komplett weg, das öffentliche Leben liegt jenseits von Corona weitgehend brach. Über was also berichten? Und wie mit den finanziellen Engpässen umgehen?“ Sein Resümee – das soll nicht verschwiegen werden – fällt nicht allzu optimistisch aus: „Der entscheidende Faktor ist Zeit. Wenn die Werbeerlöse nicht bald stabilisiert oder durch andere Einnahmequellen kompensiert werden können, sieht es düster aus. Unter Umständen wird man dann einen gnadenlosen Selektionsprozess in der Medienlandschaft erleben – sowohl bei den Verlagen, als auch bei den freien Journalisten. Wer in der Lage ist, sich rasch weiterzuentwickeln, anders zu arbeiten und passende Inhalte zu erzeugen, wird vielleicht bestehen. Für andere könnte die Corona-Krise tatsächlich das Ende im Journalismus bedeuten.“
Die immer wieder zu empfehlende Sendung „Breitband“ im Deutschlandfunk widmete sich in seiner aktuellen Ausgabe der Frage, wie viel unserer Privatsphäre sind wir bereit aufzugeben, um das Virus einzudämmen – oder ist das die falsche Frage? „Die Corona-Krise hat viele Facetten. Diese Woche sprechen wir über das Potenzial von Überwachung, fehlgeleiteten Technikglauben im Silicon Valley und über ein Spiel, das Hoffnung in tristen Zeiten verbreitet.“
Und: Sternstunde für regionalen Journalismus? Der Medienwissenschaftler Klaus Meier wiederum sieht in einem Interview für schwaebische.de die Chancen für einen kritischen Regionaljournalismus steigen: „Die Journalismusforschung, Berufsverbände und viele andere weisen seit Langem darauf hin, dass kritischer und unabhängiger Journalismus systemrelevant für die Demokratie und eine offene Gesellschaft ist. Dass er jetzt in der Corona-Krise auf dieselbe Stufe gehoben wird wie Gesundheitsberufe, darauf sollten wir auch nach dieser Krise noch zurückkommen, wenn es darum geht, wie wir als Gesellschaft einen unabhängigen Journalismus auch finanziell langfristig ermöglichen können oder gegen Angriffe von demokratiefeindlichen Gruppierungen schützen.“
Seminare, Preise & Wettbewerbe
Alles online: Neue Kurse gibt es bei der Reporterfabrik – zum Beispiel zum Thema ,Die neuesten Suchtools in Social Media‘. Die Berliner Journalistenschule hat etwa das Seminar „Sprache und Stil – verständlich Schreiben“ mit Freischreiberin Beate Krol im Angebot. Und auch die Akademie der Bayrischen Presse hat auf Webinare umgestellt – zum Beispiel zum Thema „Magazinjournalismus I“, unterrichtet u.a. von Freischreiberin Andrea Mertes.
Wo gibt es Geld für meine Corona-Recherchen? Die Wissenschaftspressekonferenz WPK hat just einen „Recherchefonds Covid-19“ aufgelegt: „Mithilfe dieses Fonds möchte die WPK journalistische Recherchen unterstützen und ermöglichen, die sich mit der grassierenden Coronavirus-Pandemie, ihren Ursachen, Hintergründen und gesellschaftspolitischen Effekten befassen.“ Wie man sich bewirbt und was man wissen muss, hier erfährt man es. Noch wichtig: „Die Bezugnahme ist ausdrücklich nicht nur auf medizinische/epidemiologische Fragestellungen begrenzt. Vielmehr sind zum Beispiel auch technische, datenschutzrechtliche, bildungs-, ernährungs-, umwelt- oder gesellschaftspolitische Fragestellungen förderwürdig, sofern sie im Zusammenhang mit der öffentlichen und fachlichen Debatte rund um Covid-19 stehen.“
Der National Geographic COVID-19 Emergency Fund for Journalists “will distribute support ranging from $1,000–8,000 USD for local coverage of the preparation, response, and impact of this global pandemic as seen through evidence-based reporting.” Eine gute Übersicht zu verschiedenen Finanzierungsquellen für die Berichterstattung über COVID-19 hat das Global Investigative Journalism Network zusammengestellt: New Sources of Media Funding on the COVID-19 Pandemic.
Ganz klassisch, in sonorem Ton gehalten und sozusagen beruhigend mutet die neue und nächste Ausschreibung der Otto Brenner Stiftung an, die unter dem Titel „Kritischer Journalismus – gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten“ gestartet ist. Wie im Vorjahr liegen wieder 47.000 Euro bereit, die es zu verteilen gilt. In welchen Kategorien, wie die Einreichung zu erfolgen hat und alles Weitere erfährt man hier.
So, das wars schon wieder. Also fast. Denn wir möchten nicht unerwähnt lassen, dass es in diesen, nun ja, nicht einfachen Zeiten immer wieder Projekte gibt, die versuchen, nicht den Kopf allzu sehr hängen zu lassen, und an denen man vielleicht ein wenig naschen kann. Sehr gefällt uns etwa das Berliner DJ-Projekt „United we stream“, bei dem jeden Abend in einem Berliner Club aufgelegt wird – für uns daheim vor dem Bildschirm. Allein die digitale Uhr, die da runterzählt, hat was …
In diesem Sinne: Hören Sie nicht mit dem Denken auf, bleiben Sie so kritisch wie entspannt, tanzen Sie ein bisschen (das hilft!), und bleiben Sie vor allem gesund!
Ihre
Freischreiber*innen
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