Liebe Kollegen und Kolleginnen,
es ist zugegeben ein paar Tage her, als einen Kollegen und Kolleginnen anriefen, um einen erst über den massiven Stellenabbau beim Medienkonzern Gruner + Jahr und dann über den Verkauf desselben zu informieren. War einerseits zu erwarten, zeichnete sich schon seit langem ab, überrascht seltsamerweise dann aber doch.
Und was denken Freischreiber darüber? Nun: „Bei allen Schreckensmeldungen. Wir bleiben dabei: Um den Journalismus ist uns nicht bang – was wir erleben, ist eine Krise der Verlagskaufleute, denen seit Jahren nicht mehr eingefallen ist, als Kostenlosexemplare und Aboprämien. Schlimm genug für Journalisten, die ihre Leidenschaft und ihr Können in den Dienst einst so stolzer Häuser gestellt und darauf vertraut haben, dass es dort Leute gibt, die ihr Geschäft verstehen“ – so formulieren wir es in einem offenen Schreiben an Frau Jäkel.
Um gleich eines festzuhalten: Die Idee aber, dass in Zukunft wir freien Journalisten nun plötzlich die G+J-Blätter zum Billighonorar mit interessanten Geschichten versorgen, wird nicht funktionieren. Oder um es einmal anders zu sagen: Frei sind wir sowieso, auch Kummer gewohnt und der Glanz der frühen Jahre („Du schreibst für „Brigitte“? – toll! Da hast du's ja geschafft …“) ist seit langem verflogen. Und so schlagen wir schlicht eine nüchterne Geschäftsbeziehung vor: gute Texte gegen gutes Geld.
Sehr hübsch ist in diesem Zusammenhang übrigens ein neuer Medienbegriff: der der „Vermoosung“, den Thomas Knüwer bei seinen Betrachtungen über die Krise bei Gruner und Jahr mal so eben eingeführt hat: „Freie Autoren, die sehr lange mit einem Objekt zusammen arbeiten, zeigen die gleiche Vermoosung wie fest angestellte Journalisten. Die Lieferungen werden unzuverlässiger und qualitativ schwächer, Anweisungen der betreuenden Redakteure werden zu Hinweisen, die man gepflegt ignoriert. In einer traurigen Symbiose ketten sich diese langjährigen Freien an langjährige Angestellte und mutieren zu einem Tumor, der Teile eines Objektes komplett für den Leser töten kann. Dass diese Situation entsteht – und sie ist häufig zu beobachten – ist natürlich auf ein anderes, systemrelevantes Problem von Medienhäusern zurückzuführen: In Verlagen ist die Personalführung traditionell unterirdisch, erst recht in Redaktionen.“
Und das reale Chaos bei G+J? Wer sich dafür ernsthaft interessiert, der schaue hier und hier. Nur so der Vollständigkeit halber …
Natürlich ist uns nicht entgangen, dass „Krautreporter“ mittlerweile auf Sendung ist. Aber wie wir so sind, lassen wir uns ein wenig Zeit, schauen erst mal, was nun zu lesen ist und heben oder senken nicht in Sekundenschnelle den Daumen. Und – ist doch ganz anständig unaufgeregt, was dort geboten wird. Sehr schön fand unsereins etwa den Artikel von Peer Schader: „Warum Pakete immer dann ankommen, wenn wir nicht zu Hause sind“. Auch nicht verkehrt: Lars Brandts mäandernde, literarische Reportage über Amerika, die auch vom Autoren selbst erzählt: „Ich muss daran denken, wie ich war: mit 22. Ich studierte im dritten Semester Geschichte und Literaturwissenschaft, war gerade in eine WG gezogen, Gabelsberger Straße 15, zwei Zimmer im dritten Stock eines Gründerzeithauses an der Bahnstrecke Köln-Bonn. Ich wohnte mit einem Sozialarbeiter, der lieber Musiker sein wollte, einer Geographin, die sich als Künstlerin verstand, und einem Chinesen namens King zusammen. King arbeitete in einem China-Restaurant. Wenn er zu Hause etwas kochte, dann meist in Olivenöl oder Tomatensoße eingelegten Fisch. Er legte die Dosen einfach auf die Herdplatte und wartete, bis sie platzten.“
Das möchte man doch lesen, oder?
Großes, zusammenfassendes Lob und ein bissel Verständnishilfe für die traditionellen Zeitungsleser gab es übrigens auch von der „Die Welt“: „Um guten Journalismus muss man sich indessen keine Sorgen mehr machen. Er wird gerade von den Krautreportern gerettet. Ihre von Lesern (der "Crowd") finanzierte Website ist erst seit neun Tagen in Betrieb, doch schon steht fest: Es gibt wieder einen Ort, an dem nicht Klickgier, Synergieeffekte, Suchmaschinen-Optimierer und Popup-Werbung herrschen – sondern nur Journalisten, denen endlich niemand mehr in den Arm fällt. Der Krautreporter Tilo Jung zum Beispiel lässt in seinen Interviews die Leute reden, was sie nur wollen, so viel sie nur wollen.“ Und weiter: „Auch dass der Medienjournalist Stefan Niggemeier sich 33.000 Anschläge Zeit nimmt, um Udo Ulfkottes Buch "Gekaufte Journalisten" zu filetieren, das Menschen mit ADHS schon nach ein paar Absätzen für Unfug halten, ist ein Zeichen dafür, wie ernst hier der Beruf des Journalisten noch genommen wird. Hier behauptet er nicht bloß, dass er ein Bullshit-Detektor ist, hier analysiert er den Bullshit. Für altmodisch sozialisierte Gemüter ist Krautreporter eine Erlösung, ein wenig so, wie es Manufactum für Menschen war, die keine Lust mehr auf Teigabstecher aus Plastik statt Edelstahl hatten.“
Und selbst? „Wir gewinnen täglich neue Abonnenten, wenn das nicht abebbt, dürften wir das zweite Jahr erleben. Es ist aber noch zu früh, um darüber zu spekulieren. Ein großes Ziel im nächsten Jahr wird die Arbeit der Community werden. Das sind die Benefits, die wir bieten wollen. Seminare, Lesungen oder Städtetouren. Ein Weg zurück in die analoge Welt. Das können Facebook und Google nicht bieten. Eine Community zu schaffen, die eine Seele hat und nicht nur auf Wachstum und Skalieren abzielt“, sagt Krautreporter Richard Gutjahr im Interview mit dem „Standart“. „Das innovative Moment bei Krautreporter ist der intensive Dialog mit der Crowd, mit der Community“, so auch Frederik Fischer und Jessica Weber, die bei „Krautreporter“ zuständig für den Dialog mit den Lesern sind, im Interview mit der „Die Zeit“. Und sie begründen, warum das Lesen der Texte umsonst ist, aber das Kommentieren dieser kostet, wie folgt: „Es entspricht dem Netz, dass Information frei geteilt werden kann. Als Netz-natives Medium können wir das nicht ignorieren. Wir wollen keine harte Bezahlschranke, aber wer Krautreporter unterstützt, soll das Gefühl haben, dazuzugehören. Das Produkt des Journalismus ist die Community, die durch ihn entsteht. Journalismus ist nur das Bindemittel, der Anker dieser Communitys. Das macht traditionellen Journalismus nicht weniger relevant, verändert aber das journalistische Produkt und folglich zu einer anderen Einschätzung, wofür man Geld verlangt. Das ist aber ganz ausdrücklich meine persönliche Meinung.“
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Dies und das
„Ein Dachgeschoss-Loft in einer ehemaligen Fabrik in Berlin-Neukölln. Marie Meimberg steht am Kochblock und macht Käse-Spätzle, viele Käse-Spätzle. Eine Auflaufform voll steht schon im Backofen, in eine zweite schichtet sie abwechselnd frische Nudeln und Käse. Kerzen brennen, große Weingläser stehen bereit, im Hintergrund läuft unaufdringliche Jazzmusik, quer durch den großen, offenen Wohnbereich hängen noch Girlanden von einer Geburtstagsfeier in der letzten Woche, in der Ecke steht ein Fußball-Kicker.“ So atmosphärisch nett beginnt ein Bericht von Stefan Niggemeier über … ja, über was? Eine ganz normale Wohngemeinschaft? Einen Erwachsenenabend nach einem gemeinsamen Urlaub samt kommender Diashow? Oh, nein! Wir sind bei YouTubern zu Hause – bei diesen Leuten, die (angeblich) nicht vom PC weg zu kriegen sind. Genauer: beim Verein „301+“, zu dem sich ein Schwung junger Leute zusammengeschlossen hat, um in der wirren-schnellen Welt der Blogs und YouTubes lieber über Inhalte zu sprechen denn allein über Reichweite: „Uns verbindet die Sorge um den guten Content und die Community.“ Und: „Viele von uns wollen nicht nur Fans, sondern Leute, mit denen wir uns austauschen, wo Dialog entsteht.“
Dialog? Austausch? „Ich bin nicht gekauft. Kein Chefredakteur hat mich angerufen und mich um diesen Artikel gebeten oder mir irgendetwas angeboten. Ich bin nicht als PR-Söldner im Dienste der Leitmedien unterwegs und finde, um dies gleich vorauszuschicken, nicht alles gut, was ARD und ZDF senden oder was im Spiegel, in der ZEIT, in der FAZ oder in der Süddeutschen steht, sondern ich ärgere mich mitunter über den real existierenden Journalismus, über manche Selbstgerechtigkeit und einen Skandalisierungsfuror, der mich frösteln lässt“, schreibt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in der „Die Zeit“ und widmet sich der allgemeinen Skepsis bis Verachtung gegenüber der journalistischen Berichterstattung: „Die Medienverdrossenheit, der dramatische Vertrauensverlust in die Orientierungs- und Informationsleistung des Qualitätsjournalismus, findet öffentlich nicht statt; vermutlich, weil sich hier, weitgehend unbemerkt, eine Bewegung formiert hat, die sich kaum als Bewegung und gewiss nicht als soziales oder politisches Milieu fassen lässt. Sie ist radikal im Urteil, aber weltanschaulich pluralistisch, nicht eindeutig rechts oder links. Ihre Gemeinsamkeit ist allein der böse Blick auf das Treiben von Journalistinnen und Journalisten.“
Pörksens Empfehlung: „Die Aufgabe des Qualitätsjournalismus wird es sein, auf die Ad-hoc-Attacken, die Einsprüche und die Ideen der Leser und Zuschauer dialogisch und im Sinne einer kritischen Partnerschaft zu reagieren. Es gilt, eine Art Mittelweg zu entdecken, der sich nicht opportunistisch einem vermeintlichen Publikumswillen und der Diktatur der Klickzahlen beugt oder aber selbst in die Abwertungsspirale einsteigt und jede kritische Regung pauschal als Shitstorm gekaufter Trolle oder dumpfes Gröhlen eines digitalen Mobs verunglimpft. Berechtigte Medienkritik und echte Grenzüberschreitungen (und die gibt es natürlich) sind aus dieser Perspektive unbedingt ernst zu nehmen – auch in dieser Hinsicht war die kürzlich erfolgte Entschuldigung von Thomas Roth (ARD) für Fehler in der Ukraine-Berichterstattung, die Zuschauern aufgefallen waren, ein positives Fanal.“
Freischreiberiges
Freischreiber Uli Kreikebaum hat jetzt die Biografie "Superjeilezick – Das Leben ist ein Rockkonzert" bei Kiepenheuer&Witsch veröffentlicht, die sich der kölschen Band „Brings“ widmet: „2000 stand die Band vor dem Aus – gerettet hat sie der Hit „Superjeilezick“ und der Einstieg ins Karnevalsmusikgeschäft. „Brings“ sind die einzige deutsche Mundartband, die in den vergangenen Jahren ein Stadion mit 50 000 Menschen gefüllt hat.“
Freischreibers Webinare
Nach der erfolgreichen Premiere zum Thema „Honorare verhandeln“ (Mitglieder können sich die Aufzeichnung des Webinars übrigens über unsere Webseite ansehen), findet das zweite Webinar in der Reihe „#10Webinare“ in Kooperation mit dem Forum Journalismus und Medien (fjum) Wien statt: „Webinar N°2: Pimp your Themenvorschlag: Wie man Redaktionen Texte und Themen vorschlägt“. Und das am 26. November ab 16 Uhr.
Per Mail oder per Telefon? Kurz und knapp oder schön opulent? Einer Redaktion Themen anzubieten, erfordert eine Menge Entscheidungen. Je weniger man über eine Redaktion weiß, desto schwieriger ist es, die richtige Form und den richtigen Ton zu treffen. In diesem Workshop geht es um die Kontaktaufnahme, um eine aussagekräftige Selbstvorstellung, um das prägnante und zugleich reizstarke Exposé.
Profis zeigen, was sie haben, ohne ihr Thema ganz aus der Hand zu geben. Sie denken sich in die Konzepte der Redaktion hinein, ohne deshalb als Besserwisser aufzutreten. Sie verkaufen ihr Thema geschickt, ohne das Blaue vom Himmel zu versprechen. Der Workshop zeigt typische Fehler bei der Auftragsakquise und gibt Tipps für Kundenkontakte, aus denen eine für beide Seiten gedeihliche Zusammenarbeit werden kann.
Referent ist Christian Sauer. Wir nutzen für das Webinar Adobe Connect. Zum Webinarraum kommt ihr über diesen Link.
Warum es sich immer wieder lohnt Mitglied bei Freischreiber zu sein – und zu werden!
Denn die Veranstalter der Journalistenkonferenz „Wissenswerte“, die in diesem Jahr vom 24.-26. November in Magdeburg stattfindet, sind an uns herangetreten und bieten allen Freischreibern einen ermäßigten Eintrittspreis an. Und so gilt: Freischreiber, die sich bis 17.November um 12:00 Uhr online registrieren, erhalten einen Rabatt auf die Teilnahmegebühren (Dauerkarte für Journalisten 118,- € anstatt 148,- €; Tagesticket Montag: 60,- €; Tagesticket Dienstag: 75,- €). Hier geht’s zur Registrierung.
Die Tagung findet diesmal in Magdeburg und mit neuer Programmstruktur statt: „Mehr Praxis, mehr Dialog“. Beginn: Montag, 24.November, im Maritim Hotel in Magdeburg. Deutschlands wichtigste Konferenz für Wissenschaftsjournalisten geht zum elften Mal an den Start und erwartet rund 450 Teilnehmer aus dem deutschen Sprachraum: „Das Programm greift auch in diesem Jahr hochaktuelle Themen auf – etwa die Unterhausdebatte „Ebola – Berichterstattung zwischen Pandemie und Panikmache“, das Werkstattgespräch „Neu am Markt: WIRED, Krautreporter, c‘t Wissen“ oder die wissenschaftlichen Workshops zu Grüner Gentechnik, Sozialen Innovationen, Impfschäden und Dual-Use-Problematik. Technikaffine Teilnehmer sollten sich das OnlineCamp „Fact-Checking in Social Media“ und die beiden Workshops „Die besten Apps“ und „Drohnen, Daten, Roboterjournalismus“ vormerken.“
Preise und Stipendien
Ausgeschrieben ist auch dieses Jahr der „Wächterpreis der Tagespresse“: „" Couragierte Reporter auszeichnen, die in "Wahrnehmung von staatsbürgerlichen Rechten", "den Kampf um eine saubere Verwaltung aufnehmen", " Übergriffe der Bürokratie oder anderer Machtgruppen" recherchieren und darüber berichten und dabei ohne Rücksicht auf Namen und bestehende Verhältnisse Missstände schonungslos aufdecken, dies ist das Ziel des " Wächterpreis der Tagespresse ". So hat es die Stiftung, die die Preise vergibt, formuliert.“
Einsendeschluss ist der 30. November. Vergeben werden Preise in Höhe von 10.000, 6.000 und 4.000 Euro. Was in den letzten Jahren bei den „Wächters“ ankam, erfährt man hier.
Sie sind zwischen 20 und 40 Jahre alt? Sie tummeln sich in der Welt des digitalen Journalismus? Dann aufgepasst: „Seit zwei Jahren ist das VOCER Innovation Medialab eine sehr gefragte Anlaufstelle für deutschen Mediennachwuchs, der mit digitalem Journalismus experimentieren möchte. Zum Jubiläum widmet das Medialab mit Unterstützung der Johanna-Quandt-Stiftung zwei Stipendien neuen Erzählformen und Wegen im Wirtschaftsjournalismus. Diese Ausschreibung läuft bis 26. November 2014. Das Fellowship beginnt im ersten Quartal 2015.
Angesprochen sind Journalisten und Journalismus-affine Medienmacher zwischen 20 und 40 Jahren mit Schwerpunkt Innovation (in Darstellung und Inhalt) sowie Medieninformatiker oder Web-Designer, wenn sie journalistisches Interesse nachweisen können. Journalistische Vorerfahrung oder Ambitionen sollten vorhanden sein. Ein besonderes Interesse für das Fachgebiet Wirtschaftsjournalismus wird vorausgesetzt. Teambewerbungen sind möglich.“
Die Stiftung Weltbevölkerung schreibt den seit 2007 bestehenden Journalistenpreis „Weltbevölkerung“ zum ersten Mal in Form von Reisestipendien aus. Damit soll es Journalisten ermöglicht werden, redaktionelle Beiträge zum Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdynamiken, Entwicklung und Gesundheit in Afrika südlich der Sahara zu recherchieren und zu veröffentlichen. Teilnehmen können Redakteure und freie Journalisten.
Die Reisestipendien umfassen die Finanzierung von Flug, Unterkunft, Verpflegung, lokalem Transport und Übersetzer für eine ca. einwöchige Reise nach Afrika südlich der Sahara. Finanziert werden bis zu drei Recherchereisen, die bis ca. Ende März 2015 realisiert werden sollen.Einsendeschluss ist der 30. November 2014.
So. Das war's schon wieder. Und der Rausschmeißer? Uns ist angesichts des bevorstehenden Wochenendes gerade ein wenig nach Reisen zumute. So wie früher – mit dem Finger auf der Landkarte, nur moderner. Gefunden haben wir dazu auf einer hübschen Liste von 75 Tools für den investigativen Journalisten eine Weltkarte, die einlädt, viele Zeitungen und Zeitschriften dieser Erde zu besuchen. Und so schauen wir bei „Sosialurin“ auf den Färöer Inseln vorbei, blättern in der „Samoa News“ oder wollen wissen, was „La Opinión“ aus Südargentinien zu berichten weiß. Und das ist erst der Anfang!
In diesem Sinne
Ihre Freischreiber
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