Liebe Kollegen und Kolleginnen,
vorab
zwei Ansagen in eigener Sache: Das Portal
„Hostwriter“ ist an den Start gegangen; die Plattform, die weltweite Kontakte zu Journalisten schafft – ob man nun eine Couch zum Schlafen braucht, Tipps, wie man sich am besten ein Visum besorgt oder wer einem beim Übersetzen helfen kann.
Freischreiber-Mitglieder haben in den letzten Tage einen Code bekommen, mit dem sie sich auf einfache und lockere Weise dort anmelden können. Nur um mal kurz zu erwähnen: Es hat seine Vorteile, wenn man bei uns Mitglied ist!
Und dann hat Freischreiberin
Isabelle Buckow für uns die
aktuelle Freien-Umfrage des DJV
ausgewertet:
hier, nachdem sie vor fünf Jahren in unserem Auftrag freie Journalisten nach Einkommen, Arbeitszufriedenheit und Belastung gefragt hatte (hier
mehr). Ihr Fazit: „Fünf Jahre sind vergangen, trotzdem hat sich die Lage freier Journalisten kaum verändert. Die Arbeitsbedingungen vieler Freien sind immer noch schlecht. Das
größte Problem sind die katastrophal niedrigen Honorare, die an Freie gezahlt werden und die jeden Dritten in die Lage versetzen, Nebentätigkeiten ausüben zu müssen. Dennoch: Für die meisten Freien ist der Journalismus nach wie vor
mehr als nur ein Job. Er ist
eine Art Berufung, etwas, mit dem man sich verwirklichen möchte. Auch, wenn die Bedingungen nicht immer die besten sind.“
Und so gestimmt, machen wir ein Fass auf, denn für viel Wirbel sorgt derzeit das neue Magazin-Projekt von „Krautreporter“: Zwar soll weiterhin einzelnen Crowdfunding-Projekten eine Plattform geboten werden, aber man will zugleich ein eigenes, tägliches und vor allem digitales Magazin auf den Markt bringen. Dafür sollen in den nächsten vier Wochen 900.000 Euro gesammelt werden. Die Idee: Man zahlt pro Monat fünf Euro für ein Jahr im Voraus und erhält – wenn alles klappt – Zugang zu dem Magazin. Kommt nicht genug Geld zusammen, wird das Geld nicht abgebucht. Angedacht ist einem Schwung angedockter Autoren (darunter einige Freischreiber) eine monatliche Pauschale von etwa 2.000 Euro zu zahlen.
Das Medienecho war enorm – wobei auch eine gewisse Skepsis hier und dort durchschimmert, wie nahezu exemplarisch bei Daniel Bouhs in der „taz“ (http://www.taz.de/!138313/). Freischreiber-Newsletter findet das Projekt so interessant, dass es dazu mal ein kleines Interview bietet – und das mal nicht mit Krautreporterkönig Sebastian Esser, sondern mit
Rico Grimm, freier Journalist aus dem künftigen Magazinteam.
Herr Grimm, wie kam's, dass Sie dabei sind?
„Ich habe vor ein paar Monaten von Sebastian Esser einen Anruf bekommen: Wie geht’s? Was machst du? Wollen wir uns mal treffen? Wir kennen uns, weil ich mal auf Krautreporter ein Projekt gestartet habe. Und dann hat er mir erläutert, was sie vorhaben.“
Ihre erste Reaktion?
„Ich hab so reagiert so wohl wie alle Autoren reagiert haben, die angefragt wurden: 900.000 Euro – hmhm! Keine festen Themen – hmhm! Aber nach zwei Tagen Nachdenken habe ich gesagt: Doch, das kann funktionieren. Und habe zugesagt. Wobei ich selbst als freier Journalist klarkomme, wirtschaftlich gesehen brauche ich das nicht. Aber dieser Drive hat mich überzeugt! Dass mal endlich jemand sagt: Komm, wir hören auf zu reden, wir machen das jetzt einfach mal! Und zwar auf großer Ebene. Ein kleines Projekt zu crowdfunden, dass war vor zwei Jahren ganz cool. Alle haben gemerkt, das funktioniert. Aber das als komplettes Medium zu versuchen, das ist in Deutschland mal nötig. Und wenn man auf die Schnauze fällt, dann ist das eben so, aber man hat es wenigstens versucht.“
Gibt es eine feste Redaktion, gibt es ein festes Team – wie muss man sich das vorstellen?
„Erstmal der Verwaltungsüberbau, auch wenn das ein sehr hässliches Wort ist: Philipp Schwörbel ist der Geschäftsführer, der kümmert sich um die Zahlen. Sebastian Esser ist als Herausgeber für die Konzeption und die Außendarstellung zuständig. Und Alexander von Streit ist nach außen hin Chefredakteur, aber eigentlich hat er mehr die CvD-Dienste. Es gibt eine Koordinierung, aber es ist nicht so, dass Alexander von Streit morgens zehn Themen auf der Liste hat, die er dann verteilt, wie es in klassischen, tagesaktuellen Medien üblich ist. Wir wollen dieses Portal viel mehr von unten nach oben betreiben; wir setzen auf Impulse von uns Autoren und auf Anregungen, die von den Lesern kommen.“
Aber wer entscheidet am Ende?
„Darüber haben wir uns noch nicht detailliert auseinandergesetzt, aber das wird rechtzeitig geregelt werden müssen. Nur: Man sollte das Fell des Bären nicht vor der Jagd verteilen. Erst mal brauchen wir das Geld! Das ist viel wichtiger. Wir brauchen die Mitglieder, dann können wir uns unterhalten, wer wann welchen Artikel online stellen kann.“
Welche Chancen wird es für freie Journalisten geben, dazu zu kommen und auch etwas abzusetzen?
„Diese Chancen wird es definitiv geben. Wir sind ja alle, bis auf die drei, die ich eben genannt habe, Pauschalisten. Wir sind da nicht fest angestellt und wenn man sich die Pauschale anschaut, dann weiß man, dass wir alle nebenher unsere anderen Jobs weitermachen werden. Es wird also immer wieder Lücken geben und ich denke mal, es ist jetzt schon absehbar, dass wir bei einigen Themen eine offene Flanke haben könnten. Die Leute da draußen müssen sich anschauen, ob sie da etwas liefern können oder nicht. Es wird auch eine Fluktuation geben – wir sind kein closed shop wie bei den anderen Crowdfunding Projekten. Das ich Mitglied dieses Projektes geworden bin, hat natürlich auch mit Glück zu tun. Wenn man sich die Karrieren vieler Kollegen in den diversen Bereichen anschaut: Talent und Fleiß ist das eine – Glück sind die letzten 10 Prozent, die man aber unbedingt braucht.“
Die Parole lautet: 'Das Internet ist kaputt – wir kriegen das wieder hin!' Woher kommt dieses Selbstvertrauen?
„Ich persönlich habe zu oft gesehen, woran schon die Ideen scheitern können. Beim Online-Journalismus in den großen Häusern gibt es Arbeitsabläufe, die da durchgeführt werden müssen, weil die schon seit Jahren üblich sind, aber sie verhindern, dass neue Formate entwickelt werden oder sich neue Ideen durchsetzen. Wir dagegen sind ein kleines Team, wir haben eine flache Hierarchie und einen unmittelbaren Kontakt zu unserem Produkt. Beispiel: Wenn wir auf unserer Homepage etwas ändern wollen, dann können wir das sofort ändern. Wir müssen nicht bei einer fernen Zentrale anrufen, beim IT-Team, das dann eine Konferenz einberuft, wo ausdiskutiert wird, ob das neue Banner nun rechts oben oder links unten hin kommt. Wenn man sich unsere Autoren anschaut, dass zeichnen wir uns dadurch aus, dass wir was versuchen, das wir auch mal ein Experiment wagen.“
Nach den drei Herren, die Sie schon erwähnt haben, kommt in der Liste der Autoren als erste Frau Jessica Braun mit dem Ressort 'Gesellschaft und Ernährung'. Das wirkt sehr traditionell …
„Ich war an der Autorenauswahl nicht beteiligt, kann also nicht so viel dazu sagen. Es ist – und das ist meine persönliche Meinung – in jedem Fall ein Thema, dass man ansprechen muss. Wir sind uns dessen bewusst und bei unserem allerersten Planungsmeeting stand auf Liste: Zu wenig Frauen! Aber es wäre unfair bei dem, was wir gerade versuchen, den Frauenanteil zu einem entscheidenden Kriterium zu machen. Wir versuchen was, und dann können wir uns hinterher darüber unterhalten, ob und wie das gut war.“
Gesucht werden 15.000 Unterstützer. Bisher war es so: Journalisten unterstützten ein Projekt von Kollegen – getragen auch von der Phantasie: Vielleicht mache ich auch mal so eine Crowdfunding-Sache. Das wird nun nicht reichen …
„Auf keinen Fall! Wenn wir nur Journalisten, nur Medienleute erreichen, dann hätten wir am Ende des heutigen Tages alle zusammen. Wir müssen mehr Leute kriegen. Der niederländische ''De Correspondent“ hatte seinen Kampagnenstart bei der größten Talk Show des Landes, einem Äquivalent zu Günther Jauch's Show. Da hat der Frontmann in die Kamera gesagt: 'Hey, wir machen neuen Journalismus, unterstützen Sie uns!'. Ich hab gestern angefangen eMails an all die Leute geschrieben, mit denen ich Diskussionen zur Medienkrise hatte; die zu mir kamen und fragten 'Ey, warum macht der Spiegel das und die SZ jenes'; die mich immer in Haft genommen haben für das, was in der gesamten Branche zuletzt nicht gut gelaufen ist.“
Mal gerechnet: 900.000 Euro durch 365 Tage, macht 2465, 75 Euro, die pro Tag zu Verfügung stehen. Wie viel wird in die Honorare gehen?
„Mehr als die Hälfte! Wer 5 Euro im Monat zahlt, investiert mehr als 2,50 Euro in die Honorare, die Personalkosten. Man muss die Spesen, die Reisekosten, die wir haben werden, noch oben drauf rechnen. Ich würde sagen, dass wir als Projekt eine der besten Quoten haben, von dem was man zahlt und was dann direkt in den Journalismus fließt. Weil wir fast keinen Verwaltungsüberbau haben. Wir müssen auch keine riesige Anzeigenabteilung mitfinanzieren, denn wir werden anzeigenfrei sein.“
Abschließend: Wird es klappen?
„Am Anfang, als ich nur die kleinen, einzelnen Crowdfunding-Projekte im Kopf hatte, dachte: Niemals! Aber wenn man genauer nachdenkt, sind 15.000 nicht so viel. In Deutschland leben 82 Millionen Menschen, wenn man dann noch die deutschsprachigen Leser aus Österreich und die Schweiz dazurechnet, hat man einen Markt von 120 Millionen Menschen. Und wenn man sich die Statistik anschaut, wie viele Leute im deutschsprachigen Netz täglich unterwegs sind, was gelesen wird und wie viel auch gelesen wird – also: Das wird funktionieren.“