Liebe Kollegx*,
BAM! Miriam Meckel übernimmt ab Oktober das Steuer der Wiwo – mit diesem Quotenknaller melden wir uns zurück. Der Nachrichtendienst turi2 bescheinigt ihr eine „blitzsaubere Karriere“ im „Dreieck aus Politik, Medien und Hochschule.“ Und wir sind gespannt, wie sie ihren angekündigen analogen und digitalen „Biojournalismus“ (Mensch vor Maschine) dort künftig durchsetzen wird. Im Handelsblatt schrieb sie schonmal an gegen die Selbstzerstörungswut von Verlegerx* (und Kollegx*), sowas in der Art wie wie „Journalismus lebt!“. Im O-Ton: „Journalisten, die Haltung und Debatte im eigenen Medium für richtig und wichtig halten, müssen sich deshalb gegenüber Vereinnahmungsstrategien von Dritten resistent zeigen: gegenüber dem zunehmenden Druck der PR-Branche, gegen den Autorisierungswahn bei Interviews, durch den Gespräche bis zur Unlesbarkeit sinnentleert werden. Journalisten sollten das können. Sie werden auch in Zukunft gebraucht werden.“ Dass zu derart urdemokratischem Journalismus auch die Pressefreiheit vor den Ämtern gehört, kapiert die Koalition hoffentlich noch. Das Quorum zum Presseauskunftsgesetz allerdings ist leider gerade baden gegangen. Die 2424 Petitionszeichnerx* erreichten nicht mal die Hälfte der erforderlichen Stimmen. Petra Sorge, Online-Medienkolumnistin bei Cicero hat Recht behalten. Kurz vorher schrieb sie noch warnend: "Journalisten verschlafen die Pressefreiheit“ (auch geschlafen? Darum geht’s).
Wex* allerdings nie zu schlafen scheint, sind unsere Leserx*. Sie klicken oder greifen nicht nach dem Qualitätsprodukt, dass uns so am Herzen liegt, sondern und das hören wir in den letzten Monaten permanent, flättern am liebsten da, wo’s deftig zugeht oder lassen’s gleich selber verbal krachen (Sex, Drugs, Skandal). Die Zeit hat’s gerade nach dem Verriss des Buchs "Deutschland von Sinnen" erfahren (klick): Ein Schwall von analogen und digitalen Beschimpfungen ergoss sich über die Redaktion. Die wollte es dann genau wissen und fragte nach. Direkt angesprochen aber wollten die meisten dann lieber nichts sagen oder nicht „kotzen“ geschrieben haben. Ein paar mit Mut aber gabs und sie redeten mit den Redakteurx*. Stefan Willeke hat daraus ein Potpourri der Meinungen gemacht – und verteidigt die Rezension: „Natürlich stammt kaum jemand von uns aus einer Hartz-IV-Familie“. Und die Leser finden ungerührt: „Ihr Journalisten pflegt eure Sozialromantik.“
Das kann man der Titanic nun nicht nachsagen, doch auch deren Chef Tim Wolff, (hier gerade länglich bei Meedia interviewt) beklagt, dass die Leserx* immer dann am bösartigsten schimpfen, wenn die Titanic sich über das Medienverhalten gegenüber Promis lustig mache. Sie dächten dann, man wolle ihren Herz-Identifikationsfiguren wie Schumi ans Leder. „Der lustigste Vorwurf kam nach unserem Papst-Titel von Hilmar Klute von der Süddeutschen: Er schrieb, die Titanic sei zu einem Reaktionsmedium verkommen. Eine erstaunliche Aussage über ein Satire-Magazin. Wie anders könnte Satire denn funktionieren als reaktiv?“
Wir als Leserx* hätten dieses Interview ordentlich gekürzt, aber eine Stelle gefällt uns so gut, dass wir sofort bei dieser Redaktion zu schreiben anfangen wollen: „Wir sind die freieste Redaktion der Republik“.
Während wir Freie uns zunehmend vernetzen wollen/sollten/müssen – und uns daher vermehrt auf Plattformen wie torial.com oder hostwriter.org (= Couchsurfing für die weltweite Recherche, demnächst mehr dazu) tummeln, rutschen Kooperationen zwischen den großen Journalismus-Marken mehr und mehr ins unsaubere Zwielicht der Kungelei. In der harmlosen Variante sitzen dann auf Sandra Maischbergers Talksesseln gleich drei Kollegx* zum Quatschen. In der weniger harmlosen kann man verdeckte Nutzung öffentlich-rechtlicher Gelder vermuten. Hier sollte es eine Regelung und ein Kontrollorgan geben, findet René Martens von der taz in diesem lesenswerten Artikel: „Wenn sich immer mehr Journalisten verbrüdern, stellt sich aber die Frage, ob die noch unbefangen berichten können über etwaige Sauereien bei einem der Partner. Dass durch Kooperationen Abhängigkeitsverhältnisse entstehen, sei zumindest „eine abstrakte Gefahr“, sagt Karl-Heinz Ladeur, emeritierter Rechtsprofessor der Uni Hamburg und unter anderem spezialisiert auf Medienrecht.“ Mit diesen Gedanken im Hinterkopf erscheint auch das neue, kostenlose Internet-Reportagetool „pageflow“, das der WDR zur freien Nutzung ins Netz stellt, unter anderem Vorzeichen. Sicher ist es für die Zielgruppe – Freie, Bloggerx*, kleinere Web-Projekte von Initiativen, Verbände oder Studierende – interessant (link). Aber es werden sicher auch andere zugreifen. Hat man beim WDR geschaut, ob es einen privatwirtschaftlichen Anbieter gibt?