VG Wort-Versammlung: Bericht Theo Kierdorf
Liebe Kollegen,
ich bin seit einigen Jahren Mitglied der VG Wort (Berufsgruppe 3, Übersetzer), aber an diesem Wochenende zum ersten Mal auf einer Mitgliederversammlung gewesen. Warum noch nicht früher? Ein Blick in die VG-Wort-Satzung zeigt, dass in der VG Wort ein nicht einmal ständestaatliches, sondern im Grunde vormärzliches Demokratieverständnis herrrrrscht. (Mehr dazu später.) Hält man dem eine Kosten-Nutzen-Einschätzung entgegen, so ist klar, daß die einmal jährliche Fahrt alternierend nach Berlin oder München (Warenwert zwischen 300 und 500 Euro pro Person), nicht dafür steht, keinerlei Einflussmöglichkeiten wahrnehmen zu können.
Die aktuelle Situation ist natürlich eine andere, zumal für mich eigentlich seit einigen Jahren im Raum stand, ob ich mich zu einer Verjährungsklage aufraffen sollte. Das habe ich zwar letztlich nicht getan, aber der anfängliche Umgang der VG Wort mit dem BGH-Entscheid in Sachen Vogel beunruhigte mich doch so sehr, dass ich mich sehr gründlich mit der Materie befasste. Dazu zählte die Auseinandersetzung mit dem Urteil, mit den vom Börsenverein angestossenen und protegierten Gesetzesänderungsvorhaben, mit dem neuen Verwertungsgesellschaftsgesetz (VGG) und natürlich mit den zahlreichen Meinungsäußerungen der verschiedenen Parteien.
Soweit die Gemengelage „am Anfang des Tages“. Nun zur Veranstaltung selbst.
Die VG Wort hat nicht einmal eine schriftlich fixierte Geschäftsordnung, wichtige Regularien wie die der Berufsgruppenzugehörigkeit bzw. der Möglichkeiten des Berufsgruppenwechsels, der Wahrnehmung fremder Mandate und vieler anderer Dinge sind weder in der Satzung noch in irgendwelchen „Ausführungsbestimmungen“ (das wäre dann so eine Art Geschäftsordnung) klar fixiert und werden nach meinen persönlichen Erfahrungen willkürlich gehandhabt, natürlich immer mit guten Gründen, aber eben ohne jede rechtliche Grundlage. Da sitzt dann eine Sekretärin, die sich seit Jahren am Telefon auf „Gewohnheitsrechte“ beruft. Ist halt so einer von den alten Vereinen aus den 1950ern, ähnlich der GEMA oder auch dem ADAC, alles ehrenwerte Institutionen mit guter Klientelpolitik, in der man als wichtiger Einzelne, als mächtige Interessengruppe oder wenn man die „richtigen Leute kennt“, trotz alliiertenverordneter Demokratie noch gewisse „Gestaltungschancen“ hatte. Die „Abstimmungsproblematik“ wurde durch eine doppelte Minderheiten-Sperrklausel (eine Stimme mehr als ein Drittel in einer Berufsgruppe, und das sowohl im bei wichtigen Entscheidungen vorgeschalteten Verwaltungsrat als auch in der nachgeordneten Mitgliederversammlung – was da übrig bleibt, ist „gediegen sortiert“) gut abgesichert. Außenanträge haben so gut wie keine Chance, und die „eigenen Leut“ kriegt man schon auf die Reihe. Die Gewerkschaft war durch gute Vertreterauswahl ebenfalls „eingebunden“, und so ließ man es sich lange gutgehen, manchmal buchstäblich mit „goldenem Besteck“ (belegt).
Die versprochene „Einweisung“, derentwegen ich eine halbe Stunde vor Beginn der MV vor Ort eingetroffen war, fand im Grunde nicht statt. Die Berufsgruppen kümmerten sich um neue Gesichter sowieso nicht, und so dämmerte mir erst im Laufe der Veranstaltung, dass eine „Beratung in den Berufsgruppen“ (aus irgendwelchen Gründen hatte ich das schriftlichen Infos entnommen) ohnehin nicht stattfand, sondern eigentlich nur im Plenum diskutiert, dann aber je nach Gegenstand in der Berufsgruppe oder im Plenum, mit jeweils anderen Mehrheitsregularien, abgestimmt wurde.
Strukturell war die MV offenbar als Beschlussmarathon gedacht, das durch ein in den Augen vieler befremdliches „Catering“ intensiviert werden sollte: Wasser und Fruchtsaft auf den Tischen, Kaffeeplörre in einem Nebenraum, keinerlei Plätzchen, nicht einmal Aldi, und draußen weit und breit nicht einmal ein Stand zum Brezeln-Selbstkauf. Der Erfolg war deutlich: Nicht zuletzt aufgrund von Unterzuckerung eine allgemeine Ungeduld und Ungehaltenheit zur Unzeit (oder vielleicht zur rechten Zeit?): als abgestimmt werden sollte.
Die Veranstaltung begann, und von Anfang an war deutlich, daß der Versammlungsleiter, Herr Franke (Vorsitzender des Verwaltungsrats in Personalunion), mit der Aufgabe überfordert war. Er hatte einfach nicht im Blick, was in der Versammlung vor sich ging, und tollpatschte ziemlich ungeschickt daher, vergeigte die Zuordnung von Anträgen und Wortmeldungen und dergleichen – und war vielleicht auch noch ein klitzekleines Bißchen befangen. Ich nehme an, im objektiven Umgang mit unterschiedlichen Meinungen und Interessen hat er einfach bisher wenig Erfahrung (wohl weil das bei der VG Wort auch nie ein großes Problem war – insofern verständlich).
Ich nehme auch an, die Tatsache, daß Mitgliedergruppen insgesamt 10 Anträge für eine Versammlung eingereicht hatten, war für die VG Wort ebenfalls absolutes Neuland. Vermutlich hat es dazu geführt, dass daraufhin der Verwaltungsrat und wer auch immer sonst (evt. hat Hinrich hier tatsächlich den Anstoss gegeben) in die Pötte gekommen sind und sich was Neues ausgedacht haben. Dem vermeintlichen Gegner die Zähne ziehen, könnte man das nennen. Zwischenfrage: Wieso eigentlich hat an die geänderten Punkte vorher noch keiner gedacht? Schließlich sitzen doch auch im Verwaltungsrat Urheber- und Journalistenvertreter (z. B. Herr Franke)? Ist die Untätigkeit „unserer“ Vertreter im Verwaltungsrat etwa der Logik der doppelten 1/3-Sperrminorität geschuldet?
Im Wesentlichen sollte gemäß den Änderungen in einer pünktlich zu Sitzungsbeginn vorgelegten überarbeiteten Beschlussvorlage (1) zwecks Gewährleistung von Anonymität die Abtretung von Nicht-Verleger-Beträgen an Verleger komplett in die VG Wort verlagert werden und sollten (2) die Journalisten einen ihnen zuvor nicht zugestandenen Betrag nun doch ausbezahlt bekommen.
Hier kommt nun ein Punkt ins Spiel, der die Rechtsberatung im Rahmen einer VG Wort-Versammlung betrifft. Auch in dieser Hinsicht ist eine umfassendere Perspektive notwendig. Ein Verlagsjustitiar (von Beck) sitzt im Vorstand, im Verwaltungsrat sitzen verschiedene Verlagsjuristen, auf irgendeine Weise hat Verdi es geschafft, den Pensionär RA Schimmel als ständig anwesenden juristischen Berater in die BG1 zu buxieren, aber der BG2-Untergruppe der Freischreiber wird die Zulassung eines Rechtsberaters für die MV verweigert. Wie gesagt, man muss die Dinge strukturell sehen, sonst kommt man nicht dahinter, was schiefliegt.
Nun eine persönliche Einschätzung angesichts der Konfrontation mit einem völlig neuen Beschlussantrag unmittelbar vor der anstehenden Entscheidung, offensichtlich mit heißer Nadel gestrickt, nicht einmal vom eigenen Anwalt prüfbar, womöglich noch selbst versehen mit zwei Stimmübertragungsmandaten von Leuten, mit denen ich vorher ein bestimmtes Abstimmungsverhalten vereinbart habe: Ich würde darüber gerne mit jemandem reden, den ich für unparteiisch und objektiv halte. Denn wenn ich etwas mitentscheide, das meine Mandanten gar nicht mittragen wollen, habe ich den schwarzen Peter. Es ist wirklich genauso wie bei einer Wohnungseigentümerversammlung: Klare Tagesordnung, klare Entscheidungsvorgaben zu den einzelnen Punkten rechtfertigt bestenfalls Eigenmächtigkeiten bezüglich marginaler Änderungen. Alles andere macht die Beschlüsse anfechtbar. Und Herr Dr. Staats hat ja – absolut gerechtfertigt – darauf hingewiesen, dass wir für unsere Beschlüsse in der MV haften. (Wenn wir also beschließen, daß wir uns etwas aus der linken in die rechte Hosentasche stecken wollen, sind letztlich auch noch wir selbst dafür verantwortlich.)
Tatsächlich war es so, dass die Freischreiber-Gruppe schon während der Debatte eine gewisse Bereitschaft hat erkennen lassen, die Beschlussvorlage mitzutragen, allerdings andererseits auch auf Unzulänglichkeiten des geplanten Verfahrens (z.B. hinsichtlich der Geheimhaltung von Nicht-Abtretungen der für kleine Verlage tätigen Urheber) hinwies, das aber eben gern mit dem eigenen Anwalt besprochen hätte. Helmuth Riewe, der übrigens nicht der Freischreiber-Gruppe, sondern dem DJU angehört, schlug dann die 20-minütige Pause und Besprechung der Vertreter der unterschiedlichen Ansätze vor, die vom Plenum abgelehnt wurde.
Das war der entscheidende Fehler. An diesem Punkt hätte man sich einen weitsichtigen Versammlungsleiter gewünscht. Ich persönlich würde unter den Vorstandsmitgliedern der VG Wort einzig Herrn Dr. Staats zutrauen, die Bedeutung eines solchen Moments zu erkennen. Er hat es aber leider nicht (oder es zumindest nicht geäußert). Niemand hat es erkannt. Statt dessen wurde der Pausenantrag niedergestimmt. Weil man ja die Macht dazu hatte, weil man sich mit einer anderen, grundsätzlichen Sicht der Dinge nicht auseinandersetzen wollte, die man für überzogen hielt.
Bei Twitter fand ich dazu einen treffenden Kommentar von Alexander Stirn @Stirn:
„Mein Highlight der heutigen #vgwort-MV: 20 Minuten lang abstimmen, ob 10 bis 20 Minuten Pause gemacht werden soll. Ergebnis: abgelehnt.“
Ich muss jetzt ein bißchen ausholen. Die Freischreiber-Gruppe hat sich irgendwann als Gegenposition zur gewerkschaftlichen Vertretung der Journalisten durch Verdi gebildet. Sie hat also berufspolitisch eine dezidiert andere Sicht als die gewerkschaftseigenen Kollegen – zumindest in einigen ihr wichtigen Punkten. So eine Positionierung verdient auch oder gerade in der heutigen Zeit vor allem eines: Respekt, nicht jedoch eine Behandlung als „Schmuddelkinder“, „nincompoops“ oder lästiges „Prekariat“. Das sind sehr engagierte Leute, die ihr Metier, schon gezwungenermaßen, sehr ernst nehmen, die mit aktuellen Umbrüchen (Internet usw.) völlig anders konfrontiert sind als die Masse der älteren, arrivierteren Kollegen, und die folglich in vielen Dingen eine völlig andere Sicht der Welt und auch der VG Wort-Welt haben.
Dies alles hat übrigens – man reibt sich erstaunt die Augen – überhaupt nichts mit Dr. Vogel zu tun, der ja eine viel weiter gehende Vorstellung von der Korrekturbedürftigkeit des Verwaltungsrat-Antrags hatte, die ich auch absolut nicht für ungerechtfertigt halte, mit der man sich aber, da es sich um einen „positiven“ Antrag handelte, dessen Annahme eine 2/3-Mehrheit erforderte, gar nicht erst zu befassen brauchte. Ich persönlich halte es für durchaus gerechtfertigt, sich mit der Frage zu befassen, wieso die VG Wort überhaupt quasi im Verlegerauftrag aktiv wird (ich kenne die Gegenargumente), wieso sie die einzufordernden Beträge nicht längst fällig gestellt hat, usw.
In somma wird in der VG Wort einfach zu vieles hinter verschlossenen Türen „geregelt“, man hält es nicht für nötig, Beschlussvorlagen mit plausiblen Erklärungen zu versehen (oder ihnen diese separat beizufügen), und man ist bisher immer noch damit durchgekommen, Versammlungsprotokolle erst gar nicht öffentlich zu machen, statt sie jedem Mitglied unaufgefordert zuzuschicken, geschweige denn die verschiedenen Parteien in die Formulierung einzubeziehen, um spätere Streitigkeiten zu verhindern.
Nun hat also eine „kleine Gruppe“ wohl erstmals einen wichtigen Beschluss vorläufig abgewehrt, weil sie eine eigene Meinung darüber hat und weil sie sich nicht überrumpeln lassen wollte, und die Kollegen, die vor allem eines wollen, nicht diskutieren nämlich, wenn es um die eigene Kohle geht, starten eine Verteufelungskampagne, meinen „mangelndes Denkvermögen“ bzw. „mangelnde Konsistenz des Denkens“ erkennen zu können, unterstellen ein „großes Maul“ und ergehen sich in ähnlichen Unflätigkeiten. Leute, so was ist einfach arm. Lasst es doch, und gebt euch die Mühe, mit Andersdenkenden ins Gespräch zu kommen. Auch Ilja Braun redet nicht einfach nur Blödsinn.
Wie geht es jetzt weiter? Oh je, Herr Dr. Staats muss in ein paar Tagen Verlegern im Rahmen einer sündhaft teuren Veranstaltung (400 € p.P.) erklären, wie sie sich nun verhalten können. Ist natürlich schlecht jetzt, nichts auf den Tisch legen zu können, sehe ich ein. Und die Urheber bangen, ob der Segen nun noch 2017 auf sie herabkommen kann. Dazu mal folgender Tipp: Eine Verteilung der zu erwartenden Nachzahlungen auf zwei Jahre hat steuerlich Vorteile.
Mein Resümée aus meiner ersten VG Wort-MV-Erfahrung: Die VG Wort hat einen Reformbedarf, den sie auf der Basis ihrer aktuellen Strukturen wahrscheinlich nicht wird bewältigen können. Dies zu schaffen würde ein Aufeinanderzugehen vieler Gruppen erfordern, die dazu offensichtlich (noch) nicht bereit sind. Die alten Ochsentouren über Verdi und andere etablierte „Verbände“ leisten nicht mehr das, was sie einmal konnten, und werden es aller Wahrscheinlichkeit nach auch nie mehr leisten. Da kann man noch so sehr versuchen, die Konflikte unter dem Deckel zu halten.
Übrigens bin ich gar nicht für den Ausschluss der Verleger aus der VG Wort. Aber Urheberrechte halten sie nun einmal nicht. Es muss also eine fundierte gesetzliche Möglichkeit geschaffen oder gefunden werden, sie zu beteiligen, und die existiert momentan nicht. Daran kommt niemand vorbei. Auch Frau Merkel und Herr Öttinger nicht. Ich sehe aber auch keinen Grund, weiterhin ohne solide rechtliche Grundlage weiterzuwurschteln. „House built on a weak foundation will not stand, oh no“ (Bellafonte’s Law).
Schöne Grüße
Theo Kierdorf