Helpline: „In vielen Fällen reicht es schon, zuzuhören“
Seit November 2023 können Journalist:innen bei mentaler Belastung die kostenlose Helpline von Netzwerk Recherche e. V. (NR) anrufen. Kürzlich wurde die Helpline für ein zweijähriges Förderprogramm der Bundesregierung ausgewählt. Ein Interview mit dem Projektleiter Malte Werner.
Von Elisa Kautzky
In den Medien selbst ist das Thema „Mental Health” sehr präsent. Welche Rolle spielt die mentale Gesundheit innerhalb des Journalismus?
Malte Werner: In den letzten Jahren ist die Aufmerksamkeit für das Thema mentale Gesundheit im Journalismus gewachsen. Auf Konferenzen wird darüber diskutiert, in Medienmagazinen ausführlich darüber berichtet. Vor allem bei jungen Kolleg:innen ist das Interesse hoch. Das merken wir auf den Veranstaltungen, auf denen wir präsent sind. Ihnen fällt es viel leichter, offen und ehrlich über ihre Gefühlswelt zu sprechen, als so manch älteren Kolleg:innen.
Wie steht es denn um die Mental Health von Journalist:innen?
Die Arbeitsbelastung ist sehr hoch. Seit der ersten größeren Medienkrise um die Jahrtausendwende kamen viele zusätzliche Aufgaben zum täglichen Pensum hinzu. Zunächst war es „nur” die Website, um die man sich noch kümmern musste, dann kam Social Media. Zeitgleich wurden Arbeitsplätze drastisch reduziert. Das sorgt natürlich für noch mehr Arbeitsverdichtung und Stress. Zudem leiden insbesondere Freie oft unter prekären Arbeitsbedingungen mit niedrigen Honoraren und einer volatilen Auftragslage. Wer alleine im Home-Office arbeitet, hat keine Ansprechperson, bei der man sich auch mal „ausheulen“ oder „auskotzen“ kann.
Dazu kommt Hate Speech im Internet: Journalist:innen werden gezielt angefeindet, von einzelnen Internettrollen oder in konzertierten Aktionen. Immer öfter schwappt der virtuelle Hass auch in die wirkliche Welt: Auf Demos von Rechtsextremen oder Corona-Leugner:innen werden Journalist:innen bedroht und angegriffen. Als ich noch zur Uni ging, hieß es immer, man solle als Journalist:in auf keinen Fall Security zu einer Demo mitnehmen, weil das eine Barriere schaffe zwischen uns und den Menschen vor Ort. Heute ist es Standard, dass Journalist:innen mit Sicherheitsteams dort unterwegs sind.
Wie kann die Helpline da Abhilfe schaffen?
Die Helpline ist eine unabhängige, anonyme und kostenlose Telefonberatung für mental belastete Journalist:innen. Unser Anspruch ist nicht, einen Therapieersatz zu leisten, sondern ein kollegiales Gespräch anzubieten. Unsere Peers sind ebenfalls Journalist:innen. In vielen Fällen reicht es schon, wenn sie einfach zuhören und das Gegenüber merkt, mit dem Problem nicht allein zu sein. Bei Bedarf überlegen wir gemeinsam, wie man aus einer bestimmten Situation rauskommen kann. Dafür nehmen wir uns viel Zeit. Für jedes Gespräch planen wir etwa 45 Minuten ein.
Wie kam es zur Gründung der Helpline?
2021 kamen die europäischen Kolleginnen des Dart Center for Trauma and Journalism von der Columbia University in New York auf uns zu, die an traumasensitiver Berichterstattung forschen. Die Idee war, gemeinsam etwas für Journalist:innen auf die Beine zu stellen. Das Dart Center hat die psychologische Expertise, wir haben die Kontakte in die Branche. So entstand die Helpline. Das Peer-Support-Konzept ist ein ganz neuer Ansatz im Journalismus. Wie gesagt, unsere 14 Peers am Telefon sind keine ausgebildeten Psycholog:innen, sondern Journalist:innen, also Kolleg:innen, die sich neben ihren normalen Redaktionszeiten und freien Aufträgen Zeit nehmen, um anderen zu helfen.
Viele von ihnen haben bereits eine Zusatzqualifikation wie Coaching oder Therapieerfahrung. Dennoch haben alle einen viertägigen Workshop absolviert, in dem sie in Techniken wie aktives Zuhören und psychologische Erste Hilfe geschult wurden. Unsere Peers kommen aus ganz Deutschland und sind in verschiedenen journalistischen Formaten vertreten.
Wie kann man euch erreichen?
Die Helpline ist viermal die Woche erreichbar für jeweils zwei Stunden offene Sprechzeit: Montag und Dienstag von 18 bis 20 Uhr, Donnerstag von 16 bis 18 Uhr und Freitag von 8 bis 10 Uhr. Ihr könnt also einfach anrufen unter der +49 (0) 30 75 43 76 33. Bei Bedarf können wir aber auch einen Termin außerhalb der Sprechzeiten ausmachen. Dafür reicht es, uns eine E-Mail zu schreiben an helpline-ät-nrch.de. Bisher hatten wir noch nicht genug Geld, um die Sprechzeiten auszuweiten, aber dank einer Förderung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), Staatsministerin Claudia Roth, können wir unser Angebot ab dem Frühsommer deutlich vergrößern.
Kann man auch aus dem Ausland anrufen?
Ja, das geht, dann entstehen nur die normalen Telefongebühren für ein Gespräch nach Deutschland.
Wer hat bisher bei euch angerufen?
Die meisten Anrufer sind Frauen, aber auch ein paar Männer haben die Nummer gewählt. Alle rufen wegen beruflichem Stress an. Es ist nicht immer der einzige, aber immer der Hauptgrund. Manchmal kommt privater Stress dazu. Oft steht die Gefahr von Burnout im Raum. Von den Betroffenen, die seit dem Start am 2. November angerufen haben, waren etwa ein Drittel Freie. Insgesamt sind wir zufrieden, wie das Angebot angenommen wird. Aber wir hatten angesichts der Zahlen zu mentalen Belastungen eigentlich mit noch mehr Anrufen gerechnet.
Woran liegt das?
Natürlich muss sich so ein Angebot erstmal etablieren. Aber wir hören immer wieder, dass Leute meinen, ihr Problem sei nicht wichtig genug oder sie würden anderen die Zeit wegnehmen, die es viel nötiger hätten. Und in Wirklichkeit sitzen wir da und warten auf Anrufe. Vielleicht müssen wir noch stärker klarmachen: Man muss nicht traumatisiert aus einem Kriegsgebiet kommen, um bei uns anrufen zu dürfen. Es kann auch ein Verkehrsunfall in der Lokalzeitung sein, über den man geschrieben hat, der einen wochenlang verfolgt. Oder eine Deadline, die einen stresst. Leider bleibt es eine große Überwindung, sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht. Wenn man sich dann entschließt, die Nummer zu wählen, sind wir da.