Der Anfang ist gemacht. Eine erste kleine Gruppe freier Journalisten aus der Mannheim, Heidelberg, Karlsruhe und Speyer ist am 22. Februar 2017 zum ersten Treffen der neu gegründeten Regionalgruppe Rhein-Neckar nach Speyer gekommen. Reger Austausch offenbarte die gemeinsamen Themen und Fragestellungen:

Müsste es ein Mindesthonorar oder Pauschalen bei Tageszeitungen geben?

Welchen Mindesttagessatz empfiehlt Freischreiber?

Welche Neuerungen sieht das neue Urheberrecht vor?

Warum lohnt sich die Mitgliedschaft bei der VG Wort?

Muss ich das Einverständnis und Recht am Bild von Protagonisten erneut einfordern, wenn ich meine verfassten Artikel auf meiner Webseite veröffentliche?

Was bringt das Portal Torial für mein Selbstmarketing?

Einmal mehr bemerkenswert waren die unterschiedlichen Nischen, in denen freie Journalisten heute tätig sind, auch wie versucht wird, die größtenteils unterirdischen Honorare bei Tageszeitungen mit besser bezahlten Tätigkeiten auszugleichen.

Wir nehmen auf: Die Themen Crowdfunding, Verhandlung mit Auftraggebern, Geld verdienen mit Blogs interessieren die Freien. Wir werden dazu thematische Stammtische organisieren. Vorher aber wird es weitere Kennenlern-Stammtische in wechselnden Städten unserer Region geben.

Notiert euch: An einem Mittwochvormittag Ende März/Anfang April macht das nächste Freischreiber-Frühstück in Mannheim Station (Location wird noch genannt).

Alle freien Journalisten in der Rhein-Neckar-Region laden wir herzlich ein. Bringt Kolleginnen und Kollegen mit sowie aktuelle Themen.

Auf bald beim Freien-Stammtisch in Mannheim!

Für alle, die nicht auf der Mitgliederversammlung waren, hier eine Zusammenfassung. Viel Spaß beim Durchsehen!

– eine Präsentation mit den Infos vom Vorstand und der Geschäftsstelle als PDF

– das Protokoll

 

Freischreiber Peter Dörrie erhält einen großen Teil seiner Honorare von Kunden aus dem englischsprachigen Ausland, vor allem aus den USA. Beim Treffen der Rhein-Main-Freischreiber hat er uns in einem spannenden Vortrag berichtet, wie er das macht und was in seinen Augen die Vorteile sind. Grob zusammengefasst haben wir gelernt:

  • Es gibt deutlich mehr englischsprachige als deutschsprachige Medien, die potentielle Kunden sind. Darunter finden sich auch viele Nischenmagazine, die man bedienen kann
  • Viele US-Blogs zahlen Honorare, sind also bereits professioneller als jene aus Deutschland
  • Auch mit nicht ganz perfektem Englisch hat man die Chance, etwas zu verkaufen
  • Die Honorare sind, sehr grob gesagt und nach Peters Eindrücken, mit jenen in Deutschland zu vergleichen. Ausnahme: Online-Medien zahlen teils besser, weil online in den USA bereits mehr Geld verdient wird.
  • Der Kontakt mit anglophonen Redakteuren läuft informeller ab, bei Exposés hält man sich deutlich kürzer als in Deutschland

Außerdem hat Peter erklärt:

  • welche Geschichten sich für den anglophonen Bereich besonders eignen
  • wie man die Gefahr sprachlicher Fauxpas auf Englisch minimiert
  • wie man anglophone Redaktionen kontaktiert
  • wie man im Ausland Rechnungen stellt, was steuerlich und rechtlich zu beachten ist und wie man das Geld am besten überweisen lässt
  • wie man sein journalistisches Profil einfach auch für internationale Kunden aufbereiten kann
  • wie man transparent macht, wenn man einen Text oder ein Thema schon in Deutschland verkauft hat

Websites, die Peter empfiehlt:

  • qz.com, vox.com, theatlantic.com, vice.com (spannende US-Websites)
  • leo.org, linguee.com, thesaurus.com (für Übersetzungen)
  • slack.com (von Peter gelobte Kommunikationsplattform)

Bei Fragen: peter@peterdoerrie.com

Protokoll des Freischreiber-Regio Berlin am 20. Januar, 19-22:30 Uhr an Gemmas Wohnzimmertafel in Charlottenburg.

Krautreporter: Bilanz und Ausblick des ambitionierten Journalismus-Projektes

Sebastian Esser ist Jahrgang 1976 und arbeitete als Politik- und Medienredakteur u.a. bei dem Medienmagazin V.i.S.d.P. und der deutschen Vanity Fair. Danach gründete der Berliner Journalist u.a. das Startup Spredder. Krautreporter startete 2013 zunächst als Crowdfunding-Plattform zur Finanzierung journalistischer Projekte. Rund 250.000 Euro Umsatz machte die Plattform, wurde aber laut Esser „nicht richtig wahrgenommen“, die Unterstützung der einzelnen Projekte ermöglichte keine kontinuierliche Arbeit.

Nach dem Vorbild von De Correspondent aus den Niederlanden gründete Esser die Krautreporter neu als journalistische Plattform für Hintergrundberichte und Reportagen. Online ging das Projekt im Juni 2014 und wurde in den Medien stark wahrgenommen und diskutiert, zum Teil mit zu hohen Ansprüchen und Erwartungen („Nun zeigt mal, dass ihr es besser könnt als die Zeit“).

Wir sind kein Massenmedium, wir suchen unsere Nische“, betont Esser

Das Bezahl-Modell von Krautreporter: Für einen Beitrag von fünf Euro im Monat können Mitglieder alle Texte lesen und kommentieren, frei zugänglich ohne Abo sind nur ein Teil der Texte. Nach einem Jahr muss im Juni 2015 das Abo verlängert werden, von 15.000 Erstabonnenten blieben 5.000. Ein Erfolg, findet Esser, ähnliche Abozahlen habe zum Beispiel taz.de. „Wir sind kein Massenmedium, wir suchen unsere Nische“, betont Esser. „Und wir sind nicht gescheitert. Unsere Leser bezahlen für guten Journalismus.“

Die Redaktion besteht heute aus rund zehn Redakteuren und einem festen Stamm von freien Autoren, die 500 Euro pro Artikel bekommen. Die Redaktion arbeitet vorzugsweise mit ihr bekannten Autoren zusammen, da die Zusammenarbeit mit anderen in der Vergangenheit oft nicht gut geklappt habe, so Esser. „Krautreporter besteht auf exklusive Geschichten, ist für die Freien aber ein Abnehmer unter vielen“, erklärt Esser. Die Autoren behalten die Nutzungsrechte an ihren Artikeln, die Redaktion vermittelt lediglich, wenn Interessenten sie nachdrucken wollen.

Ziel von Krautreporter ist es, ein vertrauensvolles Medium zu schaffen, dass Hintergründe erklärt. Dabei muss die Redaktion im Gegensatz zu anderen Online-Medien, keine Themen abdecken, kann ihre Leser für die Recherche nutzen und einen anderen Zugang suchen.

Bewertungen von Lesern findet Esser nicht hilfreich und Fragen an die Leser „Was wollt ihr wissen“ enden oft mit frustrierendem Input („Schreibt doch mal was über TTIP“). Viele Leser erwarten offenbar die klassische Trennung „Journalist liefert, Leser liest“ auch bei den Krautreportern. Mitarbeiten wollen offenbar nur wenige Leser.

Deutlich besser klappt die Einbindung der Community bei der Recherche

Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen diskutierten Mitglieder in einer Facebook-Gruppe den Verlauf des Absturzes. „Das ist gegen spekulative Berichte sehr nützlich“, so Esser. Bei der Aufnahme eines Mitgliedes wird auch nach deren Hobbies gefragt, rund 2000 Mitglieder sind Journalisten. Auch nach den ersten Anschlägen in Paris auf Charlie Hebdo wurden die Mitglieder befragt, ob sie etwas zum Stimmungsbild in Frankreich beitragen können.

Ebenfalls sehr gut klappe es, Input und Fragen am Anfang einer Recherche zu sammeln. Zum Beispiel: „Wie sieht es an eurem Bahnhof aus?“ Hier gab es in der Vergangenheit eine starke Leserbeteiligung.

Nächste Ziele der Krautreporter sind die Umwandlung in eine Genossenschaft nach dem Vorbild der Taz. 90 000 Euro Kapital sind so bereits eingesammelt worden. Beteiligen können sich Nutzer mit einer Einlage ab 250 Euro.

Neben-Projekte: Yalla Deutschland und Write that down

Ebenfalls neu ist das Projekt Yalla Deutschland, ein Videoportal „für, von und über Flüchtlinge“ mit Beiträgen in arabischer und deutscher Sprache.

Ein Vertrag mit Blendle wurde bereits geschlossen, Esser erwartet aber zunächst keine nennenswerten Umsätze über dieses Paid-Content-Portal. Bei den Krautreportern sollen in Zukunft zwei Drittel der Texte hinter der Paywall stehen, nur für Mitglieder zugänglich sein. Und man wolle in Zukunft noch mehr für die Mitglieder tun, so Esser.

Auch das Crowdfunding-Portal für Journalismus gibt es noch, es heißt jetzt Write that down und ist europaweit ausgerichtet und in mehreren Sprachen online.

Ein journalistisches Online-Projekt hat auch Pauline Tillmann gestartet, sie berichtete kurz über ihre Erfahrungen mit Deine Korrespondentin, einem internationalen Online-Magazin von Frauen für Frauen. Nach einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne mit 6500 Euro Startkapital klappte die dauerhafte Finanzierung durch Bezahlinhalte nicht, zu wenige Abos wurden abgeschlossen. Tillmann bietet heute Geschichten aus aller Welt an und führt „Deine Korrespondentin“ als Content-Agentur weiter. Ein „zartes Pflänzchen“ sei so entstanden, sagt Tillmann.

Freischreiber-Aktivitäten 2016

Abschließend gaben die Freischreiber-Vorstandsmitglieder Carola Dorner und Henry Steinhau Auskunft über die Freischreiber-Aktivitäten 2016. Dazu gehören unter anderem die Mitgliederversammlung am Freitag, den 22.4.2016, in Hamburg, an die sich die Verleihung des Himmel-und-Hölle-Preises anschliesst, sowie – am darauf folgenden Samstag, den 23.4.2016 – eine Konferenz zum Thema Erfolg und Scheitern: Was funktioniert für Freie? 

Vorschläge für Himmel- und Hölle-Preis können ab sofort von den 700 Mitgliedern eingereicht werden.

Protokoll: Helge Denker

Fünfzehn Frankfurter Freischreiber haben am letzten Donnerstag gelernt: Frust gehört dazu – aber es gibt Resilienzmuskeln, und die kann man trainieren. Übungsvorlagen für Mitglieder im Anhang…

Resilienz also ist wie Yoga im Hirn – Dazu hatten wir am 22.10 einen feinen Coaching-Abend mit Kathrin Mink, die uns super in das Thema eingeführt hat. Danke an sie, an Felix Ehring, der den Abend organsiert hat – und alle, die da waren und – echt Freischreiber – sich auf das Thema und aufeinander eingelassen haben.
Außerdem ging nach sechs Jahren eine kleine Ära zu Ende – Felix trägt jetzt das grüne F in die Rhein-Main-Welt und leitet ab jetzt die Freischreiber-Regionalgruppe hier. Großartig!

Für alle Mitglieder: im Anhang ein Resilienz-Selbstcheck und 10 Gebote der Gelassenheit (aus dem 19. Jahrhundert :-)

Die 10 Gebote der Gelassenheit

Selbstcheck_Resilienz

Protokoll des Treffens der Berliner Freischreiber am 23. April mit Hauke Gierow von „Reporter ohne Grenzen“.

Wie lassen sich Informanten und vertrauliche Informationen im journalistischen Alltag besser vor fremdem Zugriff schützen? Diese spannende Frage beantwortete Hauke Gierow von “Reporter ohne Grenzen” und berichtete über die Bedeutung von digitaler Sicherheit für Journalisten. Hauke Gierow hat Politik und Sinologie studiert und u.a. bei der Open Knowledge Foundation gearbeitet. Bei Reporter ohne Grenzen beschäftigt er sich derzeit schwerpunktmäßig mit der Rolle westlicher Firmen bei der Überwachung von Journalisten weltweit. Er gab den Berliner Freischreibern eine Reihe praktischer Tipps für den journalistischen Alltag, um unsere Arbeit und unsere Informanten vor Überwachung besser schützen zu können.

Dank Edward Snowden wissen wir heute, wie umfassend Internet und Telekommunikation von Geheimdiensten überwacht werden. Auch liefert der BND offenbar seit Jahren Daten an den amerikanischen Geheimdienst NSA über Firmen und Personen in Deutschland und der EU. Auch in Deutschland gibt es mindestens 20 Firmen, wie zum Beispiel FinFisher und Trovicor, von denen bekannt ist, dass sie Spionage-Software herstellen (Stichwort “Bundestrojaner”). Die Rechtslage für dessen Einsatz in Deutschland ist derzeit noch unklar. Im Herbst will das BKA einen selbst entwickelten Trojaner einsatzbereit haben.

Der Export einiger dieser Technologien wird neuerdings in der so genannten “EU-Dual-Use-Verordnung” geregelt, die Produkte betrifft, die zivilen und militärischen Zwecken dienen können. Dazu gehört auch z.B. auch so genannte IMSI-Catcher, mit denen man die Kommunikation von Handys abhören kann.

Von Überwachung und Angriffen betroffen sind u.a. auch Facebook-Konten und Twitter-Accounts. Diese werden z.B. in autoritären Staaten gekapert und für Verunglimpfungen von Journalisten missbraucht. Reporter ohne Grenzten berichtet über solche Aktionen.

Bei der Frage, was man lieber einem Unbekannten weitergeben würde, das Handy oder die Geldbörse, entscheiden sich viele für die Geldbörse, da auf dem Handy mehr persönliche Informationen gespeichert sind. Es stellt sich daher die Frage, wie man diese Daten besser schützen und sicher verschlüsseln kann.

Eine gute Möglichkeit bietet zum Beispiel das Jabber-Chat-Protokoll, das eine sichere Verschlüsselung bieten und weniger Meta-Datenüberträgt als E-Mail-Kommunikation. Für die sicherer Verschlüsselung von E-Mails bietet sich zum Beispiel das kostenlose PGP an (“Pretty Good Privacy”). PGP arbeitet mit einem öffentlichen und einem geheimen Schlüssel und wird derzeit nur wenig von Reaktionen benutzt, sondern eher von einzelnen, investigativen Journalisten. Diese können damit zum Beispiel sicherer digitale Briefkästen anbieten, um ihre Informanten besser schützen zu können. Dies ist besonders in nicht-demokratischen Staaten notwendig.

Die Nachteile von PGP sind: eine schlechtere Durchsuchbarkeit (Volltext-Suche), ein problematischer Zugriff per Webmail (E-Mails werden nicht entschlüsselt angezeigt).
Auch müssen beide Sender und Empfänger mit PGP verschlüsseln. Und auch ist der Einsatz in bestimmten Ländern problematisch, die angekündigt haben, diesen zu verfolgen (zum Beispiel Großbritannien, weitere Infos hier).

Journalisten wird allgemein empfohlen, bei einem Kontakt mit einem Informanten auf eine unverschlüsselte Kommunikation per Handy, E-Mail, Messenger oder SMS zu verzichten und bei einem persönlichen Treffen das Smartphone zu Hause zu lassen. Oder es auszuschalten und den Akku herauszunehmen. Denn Geheimdienste werten auch Bewegungsdaten aus, die Smartphones aufzeichnen. So lässt sich auch feststellen, ob man statt regelmäßig Mittwochs zum Sport zu gehen, zu Hause geblieben ist oder sich mit einem Informanten getroffen hat.

Wichtig sei es auch, sensible Daten auf der Festplatte zu verschlüsseln, zum Beispiel mit Bitlocker für Windows 7 oder File Vault (im Mac OS enthalten).

Für Smartphones gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, berufliche E-Mails zu sichern und zu verschlüsseln. Samsung hat dazu das Programm “Knox” auf seinen Android-Geräten vorinstalliert. Ein weiterer Praxis-Tipp: möglichst nicht alle Daten auf einem Gerät speichern.

Mit meet.jit.se lässt sich eine einfach zu bedienende Online-Verschlüsselung für Audio- und Videochats einrichten.

Allgemein sollte man darauf achten, sicherer Passwörter, Zwei-Schritt-Authentifizierung und einen aktuellen Virenscanner zu verwenden und alle Software-Updates zu installieren.

In offenen WLAN-Netzen sollte immer ein VPN (“Virtual Private Network”) eingerichtet werden. Einige autoritäre Staaten kappen allerdings diese sicheren Verbindungen, blockieren Dienste wie Google Mail und verbieten den Einsatz von Verschlüsselung.

Bei der Entsorgung von Computern und PC sollte man, wenn möglich, die Festplatte sicher löschen oder ausbauen und zerstören. Das sichere Löschen gilt auch für den Verkauf von gebrauchter Hardware. Haukes Tipp zum Weiterlesen: Tactical Tech – Security in a box.

Freischreiber- Vorstandsmitglied Henry Steinhau berichtete zuvor ausführlich von der letzten Mitgliederversammlung und der Verleihung des “Himmel und Hölle”-Preises in Hamburg. Kritisiert wurde von Mitgliedern, dass der Sprecher von Gruner & Jahr die Vergabe des Hölle-Preises auf der Preisverleihung kritisierte und keine öffentliche Antwort erfolgte. Auch hätte man die Mitglieder unmittelbar nach der Preisverleihung informieren können. Der “Himmel und Hölle-Preis” steht auf dem Prüfstand und soll ggf. überarbeitet und auf eine andere Basis gestellt werden.

Der Mitgliederbeitrag von Freischreiber soll zum 1.7.15 auf 14 Euro pro Monat (168 im Jahr) angehoben werden. Eine Umfrage hatte zuvor nach der Akzeptanz der Mitglieder gefragt. Die Zahl der Mitglieder liegt derzeit bei knapp 600. Steigende Mitgliederzahlen führen zu steigenden Kosten, so Steinhau. Auch hier soll eine Information aller Freischreiber-Mitglieder zeitnah erfolgen.

Am 20.6.15 wird das traditionelle Sommerfest bei Henry in Berlin stattfinden. Eine Einladung folgt.

Protokoll: Helge Denker

Um die Frage, wie man seine Arbeitszeit sinnvoll nutzt, ging es am 3. März an Gemmas Wohnzimmertafel. Freischreiberin Beate Krol gab wertvolle Hinweise zu dem Thema. Neben ihrer Arbeit für Radio, Print, TV und Online hat sie Kommunikationspsychologie am Friedemann Schultz von Thun Institut in Hamburg studiert. Im Wesentlichen ist ihr Input im Freischreiber-Webinar „Zeitmanagement“ hier zu finden. (mehr …)

Was bedeuten die jüngsten Entwicklungen bei Gruner + Jahr (G+J) – Entlassungen bei GEO und Kündigung der gesamten Textredaktion von Brigitte – und wie waren die Erfahrungen bei Vorläufern in anderen Redaktionen/Verlagen? Darüber sprachen wir beim Berliner Freischreiber-Regionaltreff am 15.01.2015 mit Katja Kullmann und Nataly Bleuel

Zu Beginn der Sitzung schlugen die beiden Referentinnen vor, diesmal keine Einzelreferate zu halten sondern gleich  Erfahrungen zum Thema aus der ganzen Runde zu sammeln, zumal auch die im November als eine von 14 Kolleginnen in unterschiedlichen Bereichen mit ihrer Entlassung konfrontierte GEO-Reporterin Gabriele Riedle anwesend war.  Ihr teilten die Vorgesetzten damals die neue Sachlage unverblümt mit. Gleichzeitig unterstellte man: „Du wirst doch weiter für uns schreiben!“. Sie darauf hin: „Nicht unter diesen Umständen!“.  Die Antwort: „Doch, Du wirst schon!“

Dabei sind auch die Honorare für Freie bei GEO in letzter Zeit teilweise drastisch gesunken. Beispiel: einer der freien Reporter, der früher für eine  über viele Wochen recherchierte, sehr umfangreiche Reportage 5000 EUR erhielt, bekommt jetzt nur noch 3500.

Gabriele Riedle hatte ihre Empörung und ihre Zukunftsängste in einem in der Tagespresse und auf newsroom.de verbreiteten offenen Brief formuliert, der viel Aufsehen erregte. Interessanter Nebeneffekt: Die Bertelsmann-Konzernleitung in Gütersloh soll, wie gerüchteweise zu hören war, durchaus nicht begeistert gewesen sein, dass Gruner + Jahr es nicht vermocht hatte, die Kündigungen geräuschlos über die Bühne zu bringen.

Die verbliebenen RedakteurInnen bei GEO, bei Brigitte und in anderen Redaktionen werden nun, so die Befürchtung der Anwesenden überfordert  sein und die freien Autorinnen können von ihnen kaum mehr eine kompetente Betreuung ihrer Manuskripte erwarten.

Ein schräges Detail aus den G+J–Interna: kurz nach den aufsehenerregenden Entlassungen soll eine der Redaktionen die hinterbliebenen NochmitarbeiterInnen zu einem Workshop eingeladen haben. Darin trat nicht genannt sein wollenden TeilnehmerInnen zufolge eine Psycho-Trainerin aus der Schule der Sterbebegleiterin Elisabeth Kübler-Ross auf. Diese weihte die  Anwesenden in die verschiedenen Stadien des Loslassens beim Sterben ein: vom Sichaufbäumen bis zum Sichschicken in das Unvermeidliche. Dann fragte sie: „Und in welcher Phase sind Sie?“

Verschiedene Vorwände für die Auswahl aber das gleiche Resultat:

Die Entlassungen bei GEO und Brigitte sind nicht die ersten und sicherlich nicht die letzten bei Gruner + Jahr. Kündigungen gab es bereits bei „Stern – Gesund leben“ und .bei Gala kündigte man erst die gesamte Grafik und die gesamte Bildredaktion und stellte dann einzelne wieder ein. GEO entwarf , offenbar um die Sozialauswahl zu umgehen, eine Konstrukt aus eng gefassten sogenannten Schlüsselkompetenzen für Redakteure in Bereichen wie Medizin, Astronomie, Archäologie, die noch gebraucht würden. Nicht spezialisierte, so genannte „GeneralistInnen“ wurden jedoch gekündigt. . Erwartet wird, dass das Schlüsselkompetenzen-Konstrukt ein Modell sein wird, um demnächst ältere und teurere RedakteurInnen etwa auch beim Stern loszuwerden, denn die Kündigungswelle dürfte noch längst nicht am Ende sein.

Ein langer Abschied:

Katja Kullmann war beim Jahreszeiten-Verlag als Ressortleiterin Reportagechefin beim Monatsmagazin PETRA. Nach einem halben Jahr kam die Delegation einer Unternehmensberatungsfirma ins Haus und verordnete Kurzarbeit. Kurz darauf wurde die PETRA-Chefredakteurin geschasst. Nach den zweieinhalb Monaten Kurzarbeit folgten drei Monate Dienst wie vorher. Danach entließ man – nach einer außerordentlichen Betriebsratsversammlung – alle schreibenden RedakteurInnen des Jahreszeiten Verlags. In den Readktionen – etwa bei PETRA, FÜR SIE, MERIAN und VITAL – blieben nur sogenannte kreative Kernteams erhalten. Der Betriebsrat sagte: Es gibt weiterhin Arbeitsmöglichkeiten, von nun an auf freier Basis, aber wir müssen vorsichtig sein – wegen Scheinselbständigkeit.

Glanz und Elend der Scheinselbständigkeit 

Berichtet wird, dass es bei Gruner + Jahr  eine ganze Reihe nicht angestellter RedaktuerInnen gibt, die dort zu 100% ihren Job im Hause ausüben, sozusagen „undercover“ –  ohne Schild an der Tür und ohne Diensttelefon.  Die Scheinselbständigkeit von AutorInnen wird heute kaum mehr juristisch untersucht oder verfolgt. Die Mehrheit der anwesenden FreischreiberInnen ist darüber nicht unglücklich und sieht in der Scheinselbständigkeit eine der wenigen Möglichkeiten noch „irgendwie durchzukommen“.

Und die Betriebsräte?

Allgemeine Erfahrung von FreischreiberInnen in von Entlassungen und Kurzarbeit betroffenen Journalen: die Gewerkschaften spielen bei diesen Vorgängen eine Nullrolle. Oft sind sie von den Vorgängen völlig überrumpelt (bei PM, NEON). Vermutung einiger Anwesender: wahrscheinlich fühlen sie sich nur dafür verantwortlich, um die Stellen der fest Angestellten zu kämpfen und auch da nicht um alle gleichermaßen. Als Gabriele Riedle nach ihrer Entlassungsankündigung eine Redaktionsbeirätin bei GEO zum Thema „Zukunft des Journalismus“ mit immer kleineren Redaktionen und immer mehr Freien ansprach, antwortete diese: „Um dieses Thema kümmern sich die Freischreiber“.

Fazit:

Gabriele Riedle: Es wird künftig zwei Sorten von Journalisten geben. Erstens einige wenige Verwaltungsjournalisten, die in den Redaktionen sitzen und die Abläufe organisieren. Zweitens Grauwert-Lieferanten, d.h. unterbezahlte Schreiberlinge, die sich selbst quersubventionieren (durch reiche EhepartnerInnen, Sozialämter, andere Jobs wie BergführerIn usw.). Subventioniert werden so aber vor allem auch die Verlage, die ihren „content“ damit von anderen bezahlen lassen.

Katja Kullmann: Die sogenannten Kreativ-Branchen haben ursprünglich als erste, schon in den 90er Jahren, das erprobt, was heue längst auch in der übrigen Wirtschaft Usus ist: man schält das Unternehmen wie eine Zwiebel. Leistungen werden outgesorced, Leih- und ZeitarbeiterInnen beschäftigt. Um den minderwertigen, zurückgebliebenen Rest zu verkaufen, entfaltet man PR-Hektik und gibt viel Geld für so genannte Image-BeraterInnen aus. Was dabei auf der Strecke bleibt ist die Wertschätzung für gute Facharbeit und solides Handwerk.

Zweitverwertungstendenz: klammheimlich oder gar nicht!

Bei Eltern wurde der Inhalt der Zeitschrift in Ebooks zweitverwertet, ohne dasss man die AutorInnen davon in Kenntnis setzte.

„Sonntag Aktuell“, die regionale Sonntagszeitung der Verlagsgruppen Stuttgarter Zeitung, Südwest Presse (Ulm) sowie dem Mannheimer Morgen  puschte ihre Auflage durch einen Deal mit der Münchner Abendzeitung, demzufolge diese einen Großteil des Inhalts übernimmt. Für freie Sonntag-Aktuell AutorInenn bedeutete dies das Aus für die Zweitverwertung ihrer Artikel in anderen Münchener Zeitungen.

Anderenorts wird Zweitverwertung durch Schutzklauseln verhindert: „Du darfst bei uns frei schreiben, dafür aber nicht bei dieser oder jener Konkurrenz!“

Vorbeugen!

Wir sollten uns die klein gedruckten Rahmenvereinbarungen in den von uns unterschriebenen Verträgen immer genau und gegebenenfalls mit fachlicher Unterstützung anschauen, ehe wir unterschreiben. Oft lassen sich hier durch Verhandlungen noch Änderungen erzielen. Außerdem: Stets Augen offen halten und Zweitverwertungen sofort bei der VG-Wort melden!

Wie reagieren die Freischreiber auf derartige existentielle Bedrohungen?

1.) Wichtigste Aufgabe nach Nataly Bleuel: schreiben, was los ist! Viele von uns haben dazu die Möglichkeit, vor allem auf den Seiten von Tageszeitungen. Bisher ist aber die Presseberichterstattung über die Vorgänge hinter den Kulissen der großen Magazine lückenhaft und einseitig.

Bleuel weist auch darauf hin, dass die meisten hoch gestellten ManagerInnen großer Zeitschriftenverlage die mickrigen Honorare ihrer freien Autoren gar nicht kennen. Sie meint: es ist ihnen gleichrangigen Kollegen gegenüber, peinlich, wenn wir ihre diesbezügliche Inkompetenz bloßstellen. Ihr Image in der Branche sei ihnen am wichtigsten.

2.) Die Idee, eine Art Fairness-Siegel an Redaktionen zu vergeben, verwarf die Mehrheit der Anwesenden nach langer Diskussion. Vor allem mit dem Argument: Bewertungen von Redaktionen erfolgen ja bereits durch den Himmel-und-Hölle-Preis.

3.) Inspiriert fühlten sich die meisten durch die Idee für eine neue Video-Spot-Kampagne. Möglichst viele Freischreiber- Mitglieder sollten sich darin an eine Episode aus ihrem Berufsleben erinnern, in der sie sich von Auftraggebern besonders hintergangen, gedemütigt, unterbezahlt  und geprellt fühlten. Diese Episode erzählen sie dann aber nicht selbst sondern legen sie einem „Paten“ in den Mund: einem möglichst prominenten oder einer im öffentlichen Bewusstsein lebendigen  Figur (z.B. der „Schlecker-Verkäuferin“).  Ziel dieser Angriffe sollten ganz konkrete Personen sein: RedakteurInnen, VerlagsmanagerInnen usw.

Protokoll: Barbara Kerneck

Wird spendenfinanzierter Investigativ-Journalismus in Zukunft die Recherchen von immer mehr Medien ergänzen? Ein Abend mit Jonathan Sachse vom Berliner Recherchebüro Correctiv.org.

Jonathan Sachse ist 29 Jahre alt, Sport-Journalist, Doping-Experte, Fördermitglied bei Freischreiber und festangestellter Redakteur bei Correctiv. Laut Selbstdarstellung auf der Webseite “das erste gemeinnützige Recherchebüro im deutschsprachigen Raum”. Correctiv will “investigativen, aufklärenden Journalismus für jeden Verlag, für jeden Sender in Deutschland erschwinglich und zugänglich machen.” Gelernt hat Jonathan Sachse sein journalistisches Handwerk an einer privaten Medien-Akademie. Nach einer Station bei einer Social-Media-Agentur begann er 2011 seine journalistische Arbeit, u.a. für das ZDF, ARTE, Deutschlandradio, Spiegel online und Zeit online.

Die Tour de France begleitete er als Freier Journalist auf eigene Faust. Sachse arbeitet gern in journalistischen Teams, dabei lernte er auch Daniel Drepper kennen, der heute ebenfalls bei Correctiv arbeitet. Das Thema “100 Jahre Tour de France” hat er 2013 zusammen mit seinem Kollegen Philipp Katzer als multimediale Geschichte bei Zeit Online vorgeschlagen, sie wurde angenommen und als “Scroll-Dossier” umgesetzt.

Beim Correctiv kümmert sich Sachse um “investigative Geschichten, die klassische Medien nicht haben.” Sein Ziel: “Struktuell Misstände angehen”. Correctiv (Motto: “Recherchen für die Gesellschaft”) wird ausschließlich durch Spenden finanziert. Die Initialfinanzierung von je einer Million Euro in den nächsten drei Jahren kommt von der Brost-Stiftung, hinter der die Familie der einstigen WAZ-Gründer steht. Finanziell unterstützt wird sie aber auch durch die Rudolf-Augstein-Stiftung. Auch von der Schöpflin-Stiftung kommen 100 000 Euro, Correktiv ist als gemeinnütziger Verein anerkannt und kann Spendenbescheinigungen ausstellen. Zu den Themenschwerpunkten gehören auch Bildung und Kultur, so bildet Correctiv u.a. auch Datenjournalist aus und bietet Weiterbildungen für an Journalismus interessierte Bürger an. In Zukunft sind auch Online-Tutorials zu Themen wie investigative Recherche geplant.

Ein weiteres Ziel ist es, sich in Zukunft verstärkt durch Mitgliedsbeiträge zu finanzieren, um weniger von großen Spenden abhängig zu sein, so Sachse. Anfang 2015 hat Correctiv rund 400 Mitglieder, die 60 bis 100 Euro Jahresbeitrag zahlen. Dafür erhalten sie Specials, wie zum Beispiel ein exklusives Print-Magazin mit den besten Geschichten. Im Büro in Berlin-Mitte arbeiten heute etwa 15 fest Angestellte und insgesamt mit Freien und Kooperationspartnern fast 50 Mitarbeiter unter der Leitung von David Schraven, der das Recherche-Resssort der Funke-Gruppe geleitet hat,.“Die Hirachien beim Correctiv sind flach”, so Sachse.

Auf der Webseite von Correctiv, findet sich, neben den investigativ recherchierten Geschichichten, auch eine Crowdfunding-Plattform zur Schwarm-Finanzierung weiterer Geschichten. Die Mitarbeiter beraten und helfen hier auch dabei, eine Idee auszuarbeiten, zu präsentieren und das richtige Format für die Geschichte zu finden (Print, Online, Radio, TV, Buch oder Comic). Und Correctiv hält während der Recherche den Kontakt zum Reporter und steht dafür gerade, dass die Geschichte auch fertig wird. Notfalls werde eine unfertige Arbeit auch von Kollegen übernommen, so Sachse.

Möglichst früh werden bei den investigativen Geschichten kooperationswillige Medien als Partner dazugeholt. Die Geschichte erscheint dann zunächst exklusiv bei dem Medium, in der Regel mit einem Hinweis auf Correctiv und den Namen der Autoren. Etwas später geht die Story auch bei Correctiv.org online. Für das Medium ist der Beitrag kostenlos, schriftliche Verträge werden dazu in der Regel nicht geschlossen. Diese Vorgehensweise wurde von den Freischreiber-Mitgliedern kontrovers diskutiert. Auch die Auswahl der Autoren, die nicht unbedingt ausgewiesenen Experten sein müssen, wurde kritisch hinterfragt.

Als Beispiel für eine multimediale Correctiv-Geschichte stellte Sachse “Flug MH17” vor, eine Snowfall-ähnliche Story über den Abschuss einer Maschine der Malaysia Airlines über der Ostukraine. Sie wurde in Kooperation mit dem Spiegel (Cordt Schnibben) veröffentlicht, erschien in Print und als Online-Geschichte. Die Audio-Kommentare des Reporters wurden bei Soundcloud hochgeladen und die Punkte auf seiner Reise in Google Maps markiert. Die Flugbewegungen über der Ostukraine am Tag des Absturzes und danach wurden mit Hilfe von Open Data City und Flightradar 24-Daten gezeigt. Zwei Teile der Recherche wurden als grafische Reportage umgesetzt – gezeichnete Bilder in Schwarzweiss zum Durchklicken. Eine Langfassung der MH17-Story erschien auf Correctiv.org. “Die schönere Geschichte lief bei uns”, berichtet Sachse.

Ein anderes Beispiel ist eine Recherche über Spendengelder, die als Bußgelder zum Beispiel  bei der Einstellung eines Verfahrens von deutschen Gerichten verhängt werden. An wen diese Spendengelder gehen, wird nicht überwacht, Correctiv dokumentiert Fälle, in denen Bußgelder an Vereine gingen, die von Richtern gegründet oder geleitet wurden. Die Geschichte wird ergänzt von einer Datenbank, mit der Leser selber recherchieren könne, an welche Vereine die Gelder geflossen sind, zum Beispiel den ADAC. Die Story wurde in Kooperation mit der Münchener Tageszeitung “TZ” realisiert.

Eine weitere investigative Geschichte beschäftigte sich mit “Tödlichen Keimen in Krankenhausern”, die in Kooperation mit der “Zeit” realisiert wurde. Hier gab es Kritik an der Expertise der Autoren und den veröffentlichten Zahlen zu möglichen Todesfällen aufgrund multiresistenter Keime.. die auch in der “Taz” veröffentlicht wurde. Sachse räumt ein, dass die Zeit für die Recherche, etwa vier Monate, zu knapp gewesen sei und ein frühzeitig vereinbarter Abgabetermin mit der Zeit ein Fehler gewesen sei.

Ein weites Thema, zu dem seit längere Zeit recherchiert wird, sind die deutschen Sparkassen. 417 gibt es in Deutschland, sie sind auskunftspflichtig und trotzdem intransparent, gewähren Vorstandsmitgliedern hohe Pensionen, verkaufen nebenbei Versicherungen und schwächeln oft in der Beratung. Viele Ansätze für eine investigative Recherche, findet Sachse – und möchte dafür auch interessierte Bürger gewinnen, die als freie Journalisten aktiv werden und beginnen, über ihre Sparkasse zu recherchieren. Ein lohnendes Thema, eine echte Langzeit-Recherche. “Wir betreiben kein klassisches Nachrichtengeschäft”, betont Sachse abschließend.

Protokoll: Helge Denker, 18.02.2015

Protokoll des Freischreiber-Regionaltreffens Berlin am 18.11.2014, 19:30 bis 22 Uhr

an Gemmas Wohnzimmertafel in Charlottenburg.

Von der Erfindung der Zukunft erzählen: Jakob Vicari berichtet von seiner Arbeit als Redaktionsmitglied beim deutschen Magazin “Wired”.

Jakob Vicari bezeichnet sich selbst gern als “überzeugten Freien” und ist seit vielen Jahren Freischreiber-Mitglied. Für die Neuauflage der deutschen Ausgabe des US-Magazins “Wired” ist er nach Berlin gezogen, nachdem der neue Chefredakteur Nikolaus Röttger ihm einen Vertrag als festangestellter Wissenschaftsredakteur angeboten hat. 2011 war der erste Versuch des Verlages Condé Nast, Wired auf dem deutschen Markt zu etablieren, nach nur vier Ausgaben gescheitert. Als Beigabe zur GQ gestartet, wurde die deutsche Wired zunächst eingestellt. Condé Nast versuchte damals mit dem Ansatz “Wir sind alle Geeks” die globale Medienmarke in Deutschland zu etablieren.

Heute arbeitet  die deutsche Redaktion von “Wired 2.0” in der Linienstraße 144 in Berlin-Mitte relativ unabhängig von der US-Ausgabe und bemüht sich um einen konsequent deutsche Sichtweise auf Geschichten, selbst wenn diese in den USA spielen. Das führt unter anderem dazu, dass ein deutscher Reporter in die USA fliegt, um dort eine Geschichte vor Ort für das deutsche Magazin zu schreiben. Auf die schnelle 1:1 Übersetzung eines US-Artikels wird eher verzichtet. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass über ein Thema aus der Dezember-Ausgabe wie “ 3D-Brille Oculus Rift in der Medizin“ aus einer spezifisch deutscher Perspektive oder auf deutsche Art berichtet wird.

Die Redaktion Online- und Print sind eng verzahnt. Am Online-Auftritt arbeiten gefühlt schonmal doppelt so viele Journalisten, wie am Print-Heft, produziert werden hier neben Nachrichten auch “web-only-Inhalte” und Multimedia-Stories, wie zur “Rosetta”-Landung.

Für eine Mitgliedschaft von 45 Euro im Jahr bekommt man das Print-Abo (zehn Ausgaben im Jahr), Zugang zum Paid-Content der Webseite und in Zukunft auch Zugang zu Events (sowie ein Abo-Geschenk). Wired bietet, neben Magazin und Webseite, auch Fortbildungsseminare für Führungskräfte zu digitalen Themen an.

Das Wired-Motto heute lautet: “Wir erzählen von der Erfindung der Zukunft” und die Grundhaltung ist laut Jakob “zukunftsoptimistisch” und “technologieverliebt”. Die deutsche Wired richtet sich nicht nur an Nerds, wie es die US-Ausgabe tut, sondern bildet ein sehr breites Spektrum ab. Dementsprechend hoch ist das wirtschaftliche Ziel gesteckt: Eine Auflage von 120000 Stück. “General Interest statt Spezialmagazin”, lautet jetzt die Devise. Das Magazin soll auch ohne Vorwissen lesbar sein.  Alles Heftinhalte werden auch online gestellt, landen aber hinter der Paywall.

Wer für das Heft schreiben will, sollte die typische Wired-Perspektive einnehmen können. Laut Jakob suche die Redaktion regelmäßig freie Autoren für Technologie-Themen, sie können auch gern selbst Themen anbieten (jakob.vicari@wired.de). Bezahlt werde “fair”, nach Aufwand per Tagessatz, wobei die Höhe Verhandlungssache sei. Ein guter Ansatz für Freie sei es, sich die ersten Ausgaben von Wired anzuschauen und der Redaktion die Geschichten anzubieten, die fehlen würden.  Vier bis sechs Redakteure kümmern sich schwerpunktmäßig um die zehn Ausgaben pro Jahr, buchen Freie Autoren, schreiben aber auch selbst Geschichten für Print und Online. Gefragt sind neue Ideen, nicht “Mehr-vom-Gleichen”-Stories. Ein gutes Beispiel seien die Titelgeschichte zum Ich im digitalen Zeitalter, der Erfinder der Hologramm-Technologie für Promis, oder der Bergbau mit Bakterien in Sachsen aus der ersten Ausgabe.

Jakob hat zuletzt eine Reportage über die wichtigen Rohstoffe Seltene Erden, die in einem kleinen Ort in Ostdeuschland gefunden wurden, geschrieben und ein Portrait über Ijad Madisch, den Gründer von “Research Gate”, ein Social Network, das sich an Forscher aus allen Bereichen der Wissenschaft richtet. Dazu hat er Madisch ein halbes Jahr lang begleitet.

Online-Multimedia-Reportagen, wie über den Supercomputer Watson oder zur Landung von “Rosetta”, werden zusammen mit einer externen Agentur erstellt.

Die deutsche Website sei heute komplett “made in Berlin”, erklärt Jakob. Der Verlag versuche, Geld mit Print zu verdienen, stecke aber mehr Redaktions-Kraft in Online. Auch eine App zum deutschen Heft “gibt es”. In der erfolgreichen US-App von “Wired” kostet ein Jahresabo etwa 17 Dollar für zwölf App-Ausgaben.

“Keine Angst vor dummen Fragen”:  Astrid Herbold berichtet von ihren Erfahrungen als freie Wissenschaftsjournalistin für verschiedene Medien. 

Astrid Herbold bezeichnet sich selbst augenzwinkernd als “Wissenschaftsjournalistin wider Willen”; sie sei in den “Erklär-Journalismus” eher zufällig hineingerutscht und suche dabei immer den “Normaloblick” auf komplizierte Themen.

Astrid schreibt u.a. für das Wissen-Ressort des Berliner Tagesspiegels und für Zeit Online über Themen, wie die Probleme mit dem Verleih von  E-Books in Bibliotheken, den vom Aussterben bedrohten deutschen Dativ und Open Acess, den freien Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und anderen Materialien im Internet.

Astrid sagt, sie sei “leicht entflammbar für wissenschaftliche Themen” und ist davon überzeugt, dass sich sorgfältige Vorbereitung auszahlt. Sie liest viele Aufsätze, Studien, Paper und besucht Kongresse zu sehr speziellen Themen.

Das Einarbeiten in diese Themen macht ihr großen Spaß und fördert immer neue Erkenntnisse zutage, zum Beispiel, dass nicht der deutsche Genitiv bedroht ist, sondern der Dativ. Und dass “wegen des Wetters” eigentlich falsches Deutsch ist. Auch sperrige Themen versucht sie immer wieder “auf Mainstream zu bürsten”. Mit Erfolg: die Anfragen aus den Redaktionen nehmen zu und zu sehr speziellen Themen wie  Open Acess wird sie immer wieder beauftragt.

Für einen Wissenschaftsartikel bekommt sie zwischen 250 und 300 Euro, dazu kommen teilweise noch Zweitverwertungshonorareen.  Das Ganze sei oft eine Mischkalkulation. “Die Spezialisierung bringt mich beruflich weiter”, erklärt Astrid überzeugt. Sie plädiert dafür, dass Freie “mehr querdenken” und überlegen sollten, wo ihre Geschichte noch hineinpassen könnte. Und sie spricht sich dafür aus, diese Spezialthemen nicht nur anzubieten, sondern auch den Redaktionen gegenüber zu kommunizieren – zum Beispiel auf der eigenen Webseite.

Der Technologie-Dreh, erklärt Astrid, werde in den Redaktionen immer wichtiger. Diese sind ihrer Erfahrung nach für jeden Autor dankbar, der schwierige wissenschaftliche Themen auch verständlich aufschreiben kann.

Wissenschaftsjournalisten dürften kein Problem damit haben, den Experten auch blöde Fragen zu stellen und komplizierte Themen “wie in der Sesamstraße” zu erklären, sagt die promovierte Germanistin.  Sie findet viele Themen “wahnsinnig spannend”. “Man findet immer einen Dreh”, davon ist sie überzeugt und betont, dass Wissenschaftler die dankbarsten Interview-Partner seien, die meist froh sind, über ihre Arbeit sprechen zu können. Kein Wunder, dass ihr die Arbeit so viel Spaß macht.

Presseausweis, Webinare, Himmel-und-Hölle-Preis: Neues aus dem Freischreiber-Vorstand

Henry Steinhau aus dem Freischeiber-Vorstand berichtete über den Stand der Dinge in Sachen Presseausweis 2015, der erstmals von den Freischreiber selbst zusammen mit anderen Verbänden herausgegeben wird. Eine Info dazu ist per E-Mail an bereits die Mitglieder verschickt worden. Der Presseausweis wird nur an Mitglieder gegen 38 Euro Kostenbeitrag vergeben und sei “keine Rabattkarte”, so Henry. Darüber gab es eine kurze Diskussion in der Runde.

Der Himmel-und-Hölle-Preis soll in Frühjahr 2015 wieder vergeben werden, im Moment werde über die Jury-Zusammensetzung entschieden. Anschließend werden Vorschläge gesammelt.

Der Preis wird voraussichtlich im Rahmen der Mitgliederversammlung in Hamburg vergeben. Henry weist noch einmal auf den “Code of Fairness” hin, der die Zusammenarbeit mit den Redaktionen verbessern soll, als erste Redaktion haben die Krautreporter diesen Code unterschrieben, weitere Gespräche laufen derzeit mit der ZEIT (Giovanni di Lorenzo), die Interesse signalisiert hat.

Diskutiert wird im Vorstand derzeit, ob in Zukunft eine optionle Berufs-Haftplicht für Freischreiber-Mitglieder angeboten werden soll.

Nach den ersten Webinaren gab es eine große Nachfrage. Die Mitschnitte sie sind im Mitglieder-Bereich der Webseite nach wie vor  abrufbar. Das nächste Thema ist am kommenden Mittwoch der “Elevator-Pitch”, also eine Art kurze Vorstellung, mit der man sich Auftraggebern und Interessenten präsentieren kann.

Die nächste Vorstandsitzung findet am 15. Dezember in Berlin statt.

Das letzte Treffen der Regionalgruppe Berlin in 2014 wird sich um das Thema “Magazine ohne Schreiber: Was bedeuten die jüngsten Entwicklungen bei G+J und wie waren die Erfahrungen bei Vorläufern in anderen Redaktionen/Verlagen?“ drehen. Darüber sprechen die Journalistinnen Katja Kullmann und Nataly Bleuel am Donnerstag, 11. Dezember um 19.30 Uhr an Gemmas Wohnzimmertafel in Charlottenburg.  Anmeldungen bitte an: gemma.poerzgen@gmx.net

Protokoll: Helge Denker