Steady macht aus Lesern, Hörern und Zuschauern zahlende Mitglieder. Das Magazin Übermedien, das Satire-Magazin Postillon, der Bildblog und der Podcast Wochendämmerung gehören zu den erfolgreichsten Projekten auf der Plattform. Mit dem Titanic Magazin hat sich auch eine klassische Medienmarke für Steady entschieden. Jakob Vicari hat Steady-Mitgründer und Freischreiber Sebastian Esser gefragt, wie freie Journalisten auf Steady erfolgreich werden – und warum freie Journalisten sich damit so schwertun.

(Bild: Martin Gommel)

Wie steht ihr geschäftlich da?
Gut! Die Steady-Publisher machen inzwischen mehr als 100.000 Euro Umsatz im Monat. Davon bekommen wir eine Provision von zehn Prozent. Ende 2015 hatten wir zum Start 350.000 Euro von der Google Digital News Initiative bekommen. Inzwischen haben außerdem eine Reihe von Business Angels in Steady investiert.

Warum tun sich viele freie Journalisten so schwer mit Steady?
Wenn Journalisten die ihnen angeborene Scheu mal überwunden haben, tun sie sich eigentlich nicht schwerer als andere Publisher. Viele Journalisten versuchen es halt gar nicht! Klar, als Freier ist man oft zuliefernder Dienstleister. Man arbeitet für und mit Redaktionen. Das ist eine völlig andere Rolle als Verkäufer der eigenen Arbeit direkt an das eigene Publikum. Ein Zulieferer in der Automobilindustrie verkauft ja auch keine Autos. Da helfen wir neuen Steady-Publishern aber gern. Am allerbesten funktionieren bei Steady Projekte, die schon eine Community haben. Es gilt die 3-mal-5-Faustregel: Von fünf Prozent der Community bekommst du im Schnitt fünf Euro. Allerdings nur, wenn du fünfmal danach fragst.

Was verkauft ihr?
Es sind jedenfalls keine Abos. Und es geht auch nicht um Spenden. Unsere Publisher verkaufen Mitgliedschaften. Für ein erfolgreiches Mitgliedschaftsangebot sind drei Sachen ausschlaggebend, die alle mit „P“ beginnen. Erstens braucht es Passion. Die Mitgliedschaft muss wichtig sein, weil mir als Mitglied das Thema wichtig ist, die Haltung, die Marke oder etwas anderes an dem Medium. Es braucht zweitens Privileges, also etwas Exklusives. Im Zweifel sind das Inhalte hinter einer Paywall. Das kann aber auch ein exklusiver Podcast sein oder das Interview in voller Länge. Und drittens braucht es Participation. Die zahlenden Mitglieder wollen im inneren Kreis sein und die Möglichkeit zum Austausch mit den Journalisten beklommen. Wenn diese drei Dinge zusammenkommen – passion, privileges, participation –, kann ich ziemlich genau voraussagen, wie viel Geld du auf Steady verdienen kannst.

Einige Projekte zeigen, wie viel sie einnehmen, andere halten das geheim. Was ist der richtige Weg?
Bei uns kann man frei wählen. Ich glaube aber, Transparenz hilft. Man wird ja nicht stinkreich. Eine Summe ist einfach ein gutes Kommunikationstool. Was spricht dagegen zu sagen: Wir brauchen 2000 Euro, damit das für uns wirtschaftlich überhaupt Sinn ergibt.

Wie viel sollte ich vorbereiten?
Du brauchst eine Idee, die sich in zehn Sekunden erzählen lässt. Das können Journalisten! Viele Publisher brauchen nach dem ersten Kontakt ein bis zwei Jahre, bis sie endlich zu Steady kommen. Die ärgern sich dann immer über das verschenkte Geld in der Zwischenzeit. Ich sage: Mach’s halt sofort! Was soll schon passieren?

Es war ein in dieser Form einmaliger Vorgang: 19 freie Journalist*Innen der Eßlinger Zeitung traten diesen Sommer zwei Wochen in den Ausstand, um bessere Honorare durchzusetzen – mit Erfolg! Freischreiber hat die Truppe getroffen, um das Geheimnis ihres Streik-Erfolgs zu ergründen. Hier die fünf wichtigsten Lektionen, die wir erfahren haben:

  • Organisiert euch!
    Medienbetriebe sind für freie Journalist*Innen oft eine Blackbox: Wir nehmen Termine wahr, schreiben Artikel, und ab damit in die Redaktion, natürlich per E-Mail. Redakteur*Innen bekommen wir nur selten zu sehen, geschweige denn andere Freie. Dementsprechend schwierig gestaltet sich der Zusammenhalt. Nicht so bei der Eßlinger Zeitung. Dort treffen sich die Freien schon seit den 1990er-Jahren regelmäßig zum Austausch. Man kennt sich, man trifft sich, man organisiert sich. Der persönliche Kontakt macht die Esslinger zu einer schlagkräftigen Truppe.
  • Haltet zusammen!
    Für Verlage sind Freie ein – günstiges – Mittel zum Zweck. Was dabei oft vergessen wird: Wir sind für sie unersetzlich. Gerade in Zeiten, in denen viele Redaktionen personell bis zur Schmerzgrenze ausgedünnt wurden, geht ohne externe Hilfe gar nichts. Die Eßlinger Zeitung schaltete während des Freien-Streiks sogar Anzeigen, um neue Freie zu gewinnen. Wir sind stärker, als wir zunächst vermuten. Aus diesem Wissen heraus sollten wir verhandeln.
  • Sucht Unterstützung!
    Je mehr Mitstreiter, desto besser. Auch innerhalb des Verlagshauses suchten sich die Esslinger Freien Verbündete, z.B. aus den Reihen des Betriebsrats und der Redaktion. Von Verdi erhielten sie außerdem gewerkschaftliche Unterstützung.
  • Informiert die Öffentlichkeit!
    Im stillen Kämmerlein verhandeln? Keine gute Idee. Um den Druck zu erhöhen, kommunizierten die Esslinger Freien ihren Streik nach außen. Sie schrieben Bundestagsabgeordnete an, informierten Gemeinderäte, Vereine und Leser*Innen. Viele waren ernsthaft überrascht von den Bedingungen, zu denen Journalist*Innen arbeiten müssen; manche drohten sogar mit Abo-Kündigungen. Das trifft Verlage mehr als jeder Appell ans gute Gewissen.
  • Zieht die Sache durch!
    Auch wenn es schmerzt, zwei Wochen nicht zu arbeiten, auch wenn manche Themen noch so interessant erscheinen mögen: Zieht die Sache durch! Keine Extrawürste, keine Alleingänge. Nur so baut ihr genug Druck auf, um eure Forderungen durchzusetzen.

 

Mark Heywinkel ist stellvertretender Redaktionsleiter und Head of Development von ze.tt. Als solcher verantwortete er in Zusammenarbeit mit der Berliner Agentur Palasthotel  die Entwicklung von fax, einem System für Redaktionen, um die Themen-Angebote freier Journalisten besser zu organisieren. Unterstützt hat das Projekt die Digital News Initiative von Google. Mark ist außerdem Autor des Ebooks „Liebe deine Freien„. Freischreiber-Vorstandsmitglied Jakob Vicari hat ihn zu fax befragt.

Die Kommunikation zwischen Redaktionen und Freien ist oft schwierig. Mark, wie seid ihr auf die Idee für fax gekommen?
Mark Heywinkel: Ich war selbst drei Jahre Freelancer und habe eine teils anstrengende Kommunikation mit Auftraggebern erlebt. Manchmal wusste ich nicht, ob Themenvorschläge angekommen sind, noch diskutiert werden oder ich sie anderen Redaktionen anbieten kann. Als Freelancer muss man oft nachhaken. Als ich bei ze.tt als Redakteur angefangen habe, habe ich mir auf die Fahne geschrieben, die Freienkommunikation zu verbessern. Durch persönliche Treffen, Guidelines für die Zusammenarbeit und eine transparente Kommunikation wollte ich dafür sorgen, dass unsere Freien gerne für ze.tt schreiben. Sebastian Horn, der damals ze.tt-Chefredakteur war, hatte irgendwann die Idee für ein eigenes Tool und hat sie bei der Google Digital News Initiative eingereicht. Nach seinem Weggang zu Zeit Online habe ich die Entwicklung übernommen.

Wie habt ihr vorher Freie organisiert?
Wie es in vielen Redaktionen üblich ist, haben wir die Kommunikation per Mail abgewickelt und Tabellen mit unseren Kontakten geführt. Die Mail-Kommunikation haben wir so weit optimiert, dass wir sie in einem zentralen Postfach gesammelt haben, um dafür zu sorgen, dass im Krankheitsfall immer jemand einen Blick auf die Vorschläge haben kann. Aber es ist schwierig, in einem Pool von 120 Leuten Daten, Fähigkeiten und Verfügbarkeiten abzufragen.

Und das ändert fax?
Ja. Jetzt sind alle Pitches und Kontaktdaten zentral an einem Ort auffindbar. In fax können freie Journalistinnen und Journalisten uns unmittelbar informieren, an welchem Ort sie sich befinden, was ihre Expertise ist und wie wir sie am besten erreichen können. Als nächstes Feature wünsche ich mir einen Status wie „verfügbar“, „auf Auftragssuche“ oder „im Urlaub“. Damit wir den direkten Draht noch mehr stärken.

Wie seid ihr in der Entwicklung vorgegangen?
Wir haben zuerst Workshops gemacht, mit dem Team, der Agentur Palasthotel, aber auch mit Freien von außerhalb. Aus dem Konglomerat der Ideen ist fax entstanden. Wir wollten ein Tool nicht nur für uns, sondern für alle Redaktionen schaffen. Deshalb steht es auch unter der MIT-Lizenz für Open-Source-Software.

Was war die wichtigste Erkenntnis?
Nach dem Workshop haben viele Freie gesagt: Wir wollen nicht über ein unpersönliches Tool abgewickelt werden. Wir haben deshalb darauf Wert gelegt, fax freundlich und persönlich zu gestalten. Nicht nur Freelancer*innen können dort ein Profil anlegen, auch Redakteur*innen können sich persönlich mit einem eigenen Profil präsentieren. Mein Lieblingsfeature ist der Realtime-Chat zu einzelnen Themenvorschlägen. Das ist der direkte Draht in die Redaktion, viel unmittelbarer als eine E-Mail. Dazu sehen die Freien zu jeder Zeit den Status ihres Exposés oder Artikels. Diesen Einblick gab es vorher ja nicht. Viele Redaktionen sind ja immer noch Blackboxes, was ihre Workflows angeht.

Wie geht es weiter?
Erste Redaktionen haben sich schon gemeldet, weil sie fax interessant finden und es möglicherweise bei sich einsetzen wollen. Man kann das natürlich aber auch andersherum nutzen: Als Freienbüro könnte man es bei sich auf einem Server installieren und Redaktionen ein Ideenangebot zur Verfügung stellen. Und: Das System steht auf Github. Wir hoffen, dass sich Leute finden, die es weiterentwickeln.
Download: Fax auf Github