[Der :Freischreiber-Newsletter]

vom 30.05.2014

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

haben Sie auch noch so einen Henri-Nannen-Preis im Regal herumstehen? Und überlegen jetzt: einschmelzen oder abstauben? Ja, manchmal merkt man erst hinterher, in wessen Namen man da gesegelt ist. Dabei hat man vorher mehr als ein Dutzend mal gelesen, dass man mit seiner Bewerbung für den Henri-Nannen-Preis bei der Jury des Henri-Nannen-Preises und dem Antreten in festlicher Kleidung (Anzug, Kosttüm oder wenigstens Jackett statt Hoodie) bei der Vergabe des Henri-Nannes-Preises im Rahmen der Henri-Nannen-Preisübergabe-Gala etwas mit diesem Henri Nannen zu tun bekommt, der – formulieren wir es mal so – nun kein Widerstandskämpfer im Dritten Reich war. Und jetzt?

Daher schnell zu etwas ganz anderem: der Zukunft! Die vor allem stets eines ist: ungewiss. Auch rätselhaft und launisch, unzuverlässig gar, so wie es derzeit nicht klar ist, ob es Krautreporter gelingen wird, die erforderlichen 15.000 Unterstützer zu gewinnen, um ihr tägliches Online-Magazin auf den Weg zu bringen.

Davon unbenommen wird gerade unter freien Journalisten heftig diskutiert, wie sinnvoll und damit unterstützenswert das Krautreporterprojekt überhaupt ist. Wir haben die Debatte, die besonders bei Facebook unter Freischreibern voller Leidenschaft geführt wird, mal zusammengefasst: „Ich überlege noch. 1., weil ich es komisch finde, wenn Journalisten Journalisten finanzieren und man sich das Geld so hin und her schiebt (sollte die Kohle nicht von “echten” Lesern kommen?), und 2. (hängt mit 1. zusammen), weil ich ganz offenbar nicht Zielgruppe bin bei dem, wie sich die Sache langfristig tragen soll: Bezahlen, um zu kommentieren und an Texten mitzuarbeiten – hey, das ist mein Job und dafür will ich bezahlt werden, nicht umgekehrt“, so formuliert es Eva-Maria Schnurr, langjährige Vorstandsfrau von Freischreiber. Und bezweifelt, dass allein das Wagnis eines solchen Projektes wirklich den neuen Journalismus voran bringt.

Freischreiberin Gemma Pörzgen, an deren Wohnzimmertafel regelmäßig der Berliner Freischreiber-Stammtisch tagt, meint: „Ich glaube die Langfristigkeit des Projekts ist weniger wichtig als die Erfahrungen, die man damit sammeln kann. Auch im Scheitern (aber erst nach der Startphase!) können wichtige Erkenntnisse ruhen, die uns alle sicherlich weiterführen. Tatsächlich glaube ich, dass die wichtigste Herausforderung sein wird, echte Leser zu finden!“

Lutz Fischmann, Geschäftsführer unseres Partnerverbandes der freien Fotografen „Freelens“ dagegen erklärt typisch hamburgisch gestimmt: „Kinners – einfach mal 60 Euro in den Ring schmeißen. Das sind zwei Pizzen, ne Pulle Wein, ein geteiltes Tiramisu und zwei Espressi. Damit tun wir uns doch auch nicht so schwer?“

Und die „Krautreporter“-Macher? Haben sich neulich online und moderiert von Julian Heck verschiedensten Fragen und Anmerkungen gestellt: ergeben gut 54 Minuten Gespräch, die einen auf Stand bringen.

Und wo wir gerade bewegte Bilder geschaut haben, gehen wir doch noch mal schnell in das seltsam grellgrüne Studio von „DWDL“, wo es an einem dreieckigen Tisch im Gespräch mit Richard Gutjahr um die Netzblase, ums Generieren, um Team Player, ums Labeling und natürlich auch um Krautreporter geht: „Leute, die nie was riskieren, die nie was tun, die hinterher immer alles besser wissen, die gehen mir bis hier …“, so Gutjahr leicht angefasst, darauf hingewiesen, dass erst knapp über 5.500 Unterstützer dabei sind.

Aufrufe

Liebe Menschen aus dem Ruhrgebiet und benachbarten Gebieten,
wer hat Lust gemeinsam mit mir einen Stammtisch für Freischreiber, Freischreiber-Freunde und –Interessenten aufzubauen? Ich bin Freischreiber-Gründer und –Mitglied der 1. Stunde und übernehme gerne die organisatorische Arbeit, wenn ich etwas Unterstützung erhalte. Als Tagungsort schlage ich das Kolpinghaus am Bahnhof in Gelsenkirchen vor, weil es leicht zu erreichen ist und weil man hier (kleiner Gruß an den Oberbürgermeister Dirk Elbers) besonders gemütlich „tot über dem Zaun“ hängen kann. Also bitte mailen an nikofecht-at-erzfreunde.de oder an nikofecht-at-icloud.com.

Dies und Das

Haste ma' 'nen Euro?! Denn schon wieder kommen Mister und Miss Crowdfunding um die Ecke gestiefelt! Aber diesmal geht es um die Leserschaft, die im Mittelpunkt steht: Geboten wird eine neue Plattform, auf der Journalisten Themen anbieten. Finden die Leser das jeweilige Thema interessant, spenden sie dafür einen Euro. Ist genügend Geld zusammen gekommen, setzt sich der Journalist oder die Journalistin hin und erarbeitet den Artikel, der dann grafisch gut aufgearbeitet als „digitales deep“ zu empfangen ist. Das lobenswerte Team, dass sich diese Idee ausgedacht hat, trägt übrigens einen hübschen Namen: „deepr journalism“.
 

Journalisten recherchieren täglich im Schnitt 163 Minuten. Mit umgerechnet zwei Stunden und 43 Minuten entspricht dies in etwa einem Drittel eines achtstündigen Arbeitstages“, hat eine Studie von „ResponseSource“ und „Bitkom Research“ ergeben, für die man 1.300 Journalisten befragte. Spannend: Zwar nutzen 90 Prozent das Internet zum Überblicken der allgemeinen Nachrichtenlage, für die eigene Recherche wird es dagegen weit weniger kontaktiert: nur 62 Prozent überprüfen im Netz ihre Quellen. Soziale Netzwerke werden nur von knapp 30 Prozent angezapft.
Nachdenkenswert ein weiteres Ergebnis: 38 Prozent der Befragten würden für die Online-Leistungen des Mediums, für das sie arbeiten, selbst kein Geld bezahlen wollen! Und auch interessant: Nur elf Prozent aller Befragten lehnen Crowdfunding ab; also 89 Prozent befürworten es – aber nur sieben Prozent haben schon mal Geld dafür gegeben oder selbst ein solches Projekt angeschoben. Sollte das alles ein Hinweis auf einen gewissen Trägheitsfaktor unter uns sein?
 

„Hilfe, er sagt, ich muss zur Marke werden”, jammern gerade viele junge Journalisten, denen ich vorgeworfen habe, als “Digital Natives” keinen Schimmer von der professionellen Nutzung sozialer Medien zu haben. “Nein”, sage ich da. “Wenn Du Social Media als reine Selbstdarstellungsnummer verstehst, haben wir uns komplett missverstanden. Niemand muss zur Marke werden.” Aber: Wer heute als Journalist publizistische Schlagkraft entwickeln möchte, sollte verstehen, wie soziale Netzwerke funktionieren“, so donnert Karsten Lohmeyer von Lousypennies in den digitalen Raum. Und er bricht eine Lanze für einen offensiven Gebrauch der gar nicht mehr so neuen sozialen Medien. Denn: „Zielgruppen anzusprechen gehört zum journalistischen Handwerk. Übrigens ist das zielgruppengerechte Formulieren von Texten und Überschriften – insbesondere für den Titel – ein klassisches, journalistisches Handwerk. Jeder Print-Journalist, der möchte, dass sein Medium aus der Masse am Kiosk heraus sticht und gekauft wird, sollte es beherrschen.“
 

Gute, alten Zeiten? Gute, alten Zeitungen? „Ein alter Nachbar von mir ist Pressesprecher. Wenn wir uns treffen, reden wir oft auch über die Arbeit. Gestern war so ein Abend. Wir saßen beim Bier. Er sprach über das, was er gerade so macht, und irgendwann sagte er, seine Pressemitteilungen würden ja mittlerweile kaum noch verändert. Einen Moment lang dachte ich, er spricht über seinen Chef, aber dann verstand ich, es geht um die Redakteure. Die Zeitung ist für ihn ein PR-Werkzeug, das immer besser funktioniert.“ So beginnt ein neuer Lokalblog: Der langjährige Lokaljournalist Ralf Heimann der „Münsterschen Zeitung“ hat nämlich dort gekündigt und versucht es nun auf ganz andere Weise mit www. Operation-harakiri.de: „Vor ein paar Wochen habe ich angefangen, darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn sich mein Leben nur ein kleines bisschen ändern würde – wenn ich nicht mehr für die Zeitung arbeiten würde. Der Plan muss mir ziemlich unglaublich vorgekommen sein. Anders kann ich mir im Nachhinein jedenfalls nicht erklären, warum ich diesen Ordner auf meinem Desktop „Operation Harakiri“ genannt habe. Wer Harakiri begeht, richtet sich selbst zugrunde. Das hatte ich nie vor. In dem Ordner habe ich Ideen gesammelt, die ich mir als Plan für die Zukunft vorstellen konnte. Für den Blog habe ich den Namen dann trotzdem behalten. Dafür hätte ich einige Erklärungen, aber keine besonders guten.“
Nun – wir werden diesen neuen Lebensweg aufmerksam und vor allem wohlwollend verfolgen: Nicht, dass der Mann doch noch zum Wakizashi greift …
 

Vom Lokalen noch schnell ins große Europäische: Um den Medienpluralismus innerhalb der EU sorgen sich die Initiativen „European Alternatives“ und die „Alliance Internationale de Journalists“. Wer dabei ist, was gefordert wird und wie man sich auf dem Laufenden halten kann, hier gibt es mehr Informationen, und auch hier werden wir am Ball bleiben.

Reporter-Forum

Auf dem diesjährigen Reporter-Forum wird Freischreiber Henry Steinhau eben Freischreiber vertreten: „PR-Problem der Freien“, so der Titel einer zweiköpfigen Podiumsrunde mit dem freien Journalisten Moritz Gathmann: „Wir werden seinen „Fall“ besprechen und das PR-Problem der Freien diskutieren, als Freier für PR-Auftraggeber zu arbeiten, um mit Journalismus über die Runden zu kommen.“ Termin: 13. Juni, 12 Uhr, Workshop 2c.

Tagungen

„Die Digitalisierung schreitet mit großen Schritten voran. Auch – oder: vor allem – viele Journalisten drohen, den Wandel zu verpassen. Doch statt sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam die Zukunft dieser unverzichtbaren Branche zu gestalten, verlieren sich die Journalistengenerationen in Schwarzmalerei, Existenzangst und Grabenkämpfen“, schreiben die Veranstalter des „VOCER Innovation Day“ und wollen „dazu beitragen, die Gräben zu überwinden sowie jungen Medienmachern und Journalisten mit klassischer Laufbahn die Angst vor der Zukunft nehmen“.
Wann? Samstag, 28. Juni 2014, 10 bis 18 Uhr (Einlass: 9:30 Uhr). Anmeldeschluss: 5. Juni 2014. Wo? SPIEGEL-Verlag, Ericusspitze 1, 20457 Hamburg. Für wen? Die Konferenz richtet sich an innovationsfreudige Nachwuchsjournalisten ebenso wie Journalisten und Führungskräfte aus etablierten Medienunternehmen. Kostenbeitrag? 40 Euro Normalpreis, 15 Euro für Studierende (Nachweis bitte per Mail an medialab-at-vocer.org).
 

„Building Blocks for the New News – Business Models in Formation.“ Und von daher: „Let’s talk about business models for the future. Paywalls & mobile sales, entrepreneurial journalism, crowdfunding, new investors, new ideas: There are business models that work – beyond traditional ads and circulation. Discuss top trends and best practices with global media leaders and find out how to grow successfully“ – so kündigt sich der internationale Medienkongress „MID_14“ an, der am 13. Juni in Wien stattfindet und Referenten von New York über Oxford, St. Gallen und Berlin eingeladen hat, um das Beste vom Neuesten zu erkunden.
 

Wer dagegen schon mal wissen will, was auf dem beliebten Treffen von „Netzwerk Recherche“ Anfang Juli geboten wird, kann jetzt einen Blick in das dortige Tagungsprogramm werfen, wo auch Freischreiber gut vertreten ist – und sich noch anmelden.
 

So. Das war's schon wieder. Wir stürzen uns jetzt in die tägliche Arbeit, recherchieren, twittern, schreiben, denken und lassen die Kaffeemaschine glühen – nachher ist ja schon wieder Wochenende und man hat wieder nicht alles geschafft!

In diesem Sinne
Ihre Freischreiber

FREISCHREIBER TERMINE
 

Hamburg

Nächster Termin: 30. Juni, nämlich der letzte Montag im Monat. Referent und Thema – wird schnellstmöglich nachgereicht. Ort und Zeit: wie immer um 19.30 Uhr, wie immer mit Elbblick im Oberstübchen, Fischmarkt 27 (überm Golden Pudel Club, am Ende der Hafenstraße, nicht am Fischmarkt selbst). Und wie immer bitte kurze Anmeldung an: bjoern.erichsen-at-gmail.com.

 

Berlin

Zum Thema „Daten und Datenjournalismus“ veranstaltet der Freie Marvin Oppong das Recherche-Lab IV am 20. Juni 2014 in Berlin. Neben Recherchen mit Excel und OpenRefine geht es auch um die School of Data und Textmining. Tame-Mitgründer Torsten Müller wird das Lab mit seinem Wissen zu Media Verification & Curation bereichern. Die Anmeldung ist ab sofort möglich. Nähere Informationen zum Programm und zur Anmeldung sowie die Dokumentation der bisherigen Recherche-Labs auf der Homepage des Recherche-Labs.