[Der :Freischreiber-Newsletter]

vom 13.02.2017

Liebe Freischreiber und Freischreiberinnen,

Kaum zu glauben, dass erst Februar ist. Dieses nigelnagelneue Jahr hat jedenfalls recht turbulent vorgelegt. Apropos Turbulenzen: Wieder müssen wir mit der VG Wort aufmachen bzw. mit der Post, die derzeit viele Autoren von ihren Verlagen bekommen. Kritische Stimmen, zu denen wir unbedingt gehören, sagen „Bettelbriefe“ dazu. Denn große und kleine Verlage bitten in diesen Schreiben ihre Autoren, auf die Rückzahlung der Tantiemen zu verzichten, die die VG Wort laut BHG-Urteil zu Unrecht an sie verteilt hat – statt an die Autoren. Kurz zur Erinnerung: Seit dem Jahr 2012 hat die VG Wort diese Ausschüttungen „unter Vorbehalt“ an die Verlage ausbezahlt und auf das damals laufende Verfahren verwiesen. Den Verlagen ist also seit Jahren bekannt, dass dieses Geld vielleicht nicht ihres ist.

Dennoch lesen Autoren jetzt Sätze wie: „Die Abtretung des Verlegeranteils durch die Urheber ist der einzige Weg, die durch das BGH-Urteil für die Vergangenheit geschaffene Lage für uns als Verlag wirtschaftlich zu reparieren.“ Das ist ein seltsames Verständnis von Rechtsprechung. Als habe die etwas kaputtgemacht, was zuvor heil gewesen war. Oder: „Wir haben uns als Zeichen unseres Engagements für die Fortsetzung der gemeinsamen Wahrnehmung von Rechten von Autoren und Verlagen in der VG Wort entschieden, Sie darum zu bitten, von der durch die VG Wort eröffneten Möglichkeit Gebrauch zu machen…“ zu ergänzen ist: auf Ihr Geld zu verzichten. Das ist ein seltsames Verständnis von Engagement. Das schreibt übrigens kein vom Bankrott bedrohter Kleinpublizist, sondern der Fischer Verlag aus Frankfurt. Da geht sogar manchem Verleger der Hut hoch. So zitiert der Branchendienst Meedia Wolfgang Papst vom Verlag Pabst Science Publishers: „Mir ist das Selbstmitleid von Verlegern peinlich.“ Aber wir wollen an dieser Stelle auch nicht verschweigen, dass es zehn Autoren gibt, die für ihre kleinen Verlage wie den Verbrecher Verlag oder den Maroverlag in die Bütt springen und öffentlich erklären, sie wollen auf die Rückzahlung verzichten. Weil sie die Tantiemen der VG Wort für „leicht verdientes Geld“ halten.

Zum leicht verdienten Geld wird in Übersetzerkreisen gerade eine schwierige Frage diskutiert: Muss man eigentlich, wenn man auf sein Geld verzichtet, Schenkungssteuer abführen? Weil man ja was herschenkt? Und man auch sonst seine VG-Wort-Ausschüttung versteuern muss. Wir haben bei dem Anwalt Christian Beyer aus der VG-Wort-Rechtsabteilung nachgefragt, der zu allererst betont, dass die VG Wort aus rechtlichen Gründen keine verbindliche Rechtsauskunft geben kann.

Eine Antwort gab es trotzdem: „Bei dem Verfahren zum ,Verzicht auf Rückabwicklung zu Gunsten von Verlagen‘ ist davon auszugehen, dass ein derartiger Verzicht auf Rückabwicklung unter eine Nichtbeanstandungsregelung fällt, die die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder im Rahmen ihrer Sitzung vom 22. bis 24. November 2016 beschlossen haben.“ Was heißen soll: wohl eher nein. Wir halten Sie jedenfalls auf dem Laufenden. Lesen Sie unbedingt auch den Kommentar von Freischreiber-Vorstand Henry Steinhau zur Bettelbrief-Prozedur.

Weiter geht’s, immer noch mit der VG Wort: Die hat ihre außerordentliche Mitgliederversammlung vom 18. März 2017 abgesagt. Man brauche mehr Zeit, um einen geänderten Verteilungsplan auszuarbeiten. Denn die Rückzahlung der Tantiemen gilt nur für den Zeitraum 2012 bis 2016. Danach hat der Gesetzgeber verfügt, dass die Verlage wieder an der Ausschüttung beteiligt werden dürfen. Die ordentliche Mitgliederversammlung der VG Wort findet am 20. Mai 2017 statt, in der es dann um den neuen Verteilungsplan gehen wird.

Zurück zu den Turbulenzen, und diesmal ist die VG Wort selbst betroffen: Meedia hat geheime Post bekommen, in der ein ehrenamtlicher Funktionär der VG Wort nicht gut wegkommt. Er soll laut der geleakten Papiere stets per Business Class zu Sitzungen einfliegen, was gegen die Statuten der VG Wort verstößt, die seit 2009 innerhalb Europas nur Economy-Flüge zulassen. Nun ist der ehrenamtliche Funktionär recht betagt (82 Jahre). Da ist man geneigt, ein Auge zuzudrücken. Doch halt, der Mann beruft sich auf sein jahrzehntelanges (!) Gewohnheitsrecht. Das geht dann doch zu weit. Mehr zu Reisen und Tagen auf Kosten von Urhebern bei meedia.

Erfreuliche Nachrichten

Flugs zu erfreulichen Nachrichten: Constantin Seibt, ehemaliger Reporter der Schweizer Zeitung „Tagesanzeiger“, ist seit vergangenem Herbst frei und plant die journalistische Rebellion in Form eines Digitalmagazins. Motto: „Make journalism great again.“ Nach Seibts Überzeugung funktioniert der liberale Aufklärungsjournalismus nicht mehr, „weil ihm die Grundlagen entzogen wurden: gemeinsame Werte und die stille Übereinkunft, dass es eine Wirklichkeit gibt. In heutigen Debatten gibt es aber oft mindestens zwei Wirklichkeiten“, so der Schweizer. Wir drücken dem Projekt die Daumen. Mehr unter kontextwochenzeitung.de: „r wie rebellion“

Erfreulich II: Freischreiberin Silke Burmester hat den Bert-Donnepp-Preis 2016 erhalten, und zwar für ihre Verdienste als „Kriegsreporterin“ der „taz“. In der Jury-Begründung heißt es: Burmester habe eine Kunstfigur geschaffen, „die Medienkritik wenn schon nicht zum Krieg, dann aber jedenfalls zu einer Sportart erhob“. Und weiter: Rücksicht auf die Branche habe Burmester „radikal ignoriert“ und damit auch Kollateralschäden bei den eigenen Auftraggebern in Kauf genommen. Wir gratulieren der ehemaligen Kriegsreporterin von Herzen und wünschen ihr weiterhin so viel Rückgrat.

Erfreulich III: Das Mediennetzwerk Bayern vergibt ein Vollstipendium für freie Journalisten im Coding Bootcamp, das von April bis Oktober 2017 stattfindet: „Dort vermitteln Dozenten aus der Branche die Grundlagen von HTML, CSS und Javascript und helfen den Teilnehmern, erste eigene Webprojekte für das Tagesgeschäft zu programmieren.“ Da heißt es fix sein! Bewerbungsschluss ist am 20. Februar 2017.

Erfreulich IV: Das European Journalism Center (EJC) vergibt noch zehn Stipendien zum Thema Globale Gesundheit für freiberufliche Journalisten, „die in relevanten deutschen Medien veröffentlichen“, wie es in der Pressemitteilung heißt. „Die Stipendien über jeweils mindestens 10.000 Euro sollen die Präsenz der Thematik in deutschen Qualitätsmedien verstärken und einen Bezug zum Engagement Deutschlands in der Entwicklungszusammenarbeit herstellen.“ Bewerbungsschluss ist der 29. März 2017. Infos unter journalistenstipendien.org Kontakt: healthreporting@journalismgrants.org

Und noch etwas aus dem Los-Topf: Kostenlose Tickets gibt es für die Social Media Week in Hamburg, die vom 27. Februar bis zum 3. März stattfindet und sich u. a. dem Umgang mit Fake News widmet.

Freischreiber-Regioleiter Steve Przybilla aus dem Südwesten der Republik hat mit seiner Regiogruppe einen Themenabend zu „Journalismus und Stiftungen“ gemacht. Was er an nützlichen Links zutage gefördert hat, finden Sie hier: Wie Stiftungen Journalismus fördern, Recherche in der Stiftungsdatenbank, Programme der Bosch-Stiftung.

Hörstoff, Lernstoff, Lesestoff

Hörstoff: Ein Interview mit dem umtriebigen Freischreiber-Mitglied Alexandra Brosowski über Anrufe, die vier Jobs auf einmal vernichten, und die Tatsache, dass man trotz Krise und Krankheit angstfrei leben kann. Alexandra Brosowski lebt in Schleswig-Holstein und hat das Online-Magazin „Luise von der Pelzwiese“ gegründet. Hier im eigenstimmig-Podcast kann man ihr zuhören.

Lernstoff: Das Medienbüro Hamburg bietet Seminare für freie Journalisten an. Darin geht es unter anderem um: Einführung in den Wirtschaftsjournalismus (30.6.–1.7.2017), Multimediales Storytelling (1.4.–2.4.2017) oder Themen finden und verkaufen (24.11.–25.11.2017). www.medienbuero-hamburg.de

Lesestoff I: Die Medizinjournalistin und Freischreiberin Cornelia Stolze klärt auf über die erschreckend häufig gestellte Fehldiagnose Demenz
„Verdacht Demenz. Fehldiagnosen verhindern, Ursachen klären – und wieder gesund werden“, Herder Verlag, 2016. Link zum Buch.

Lesestoff II: Und von Freischreiber-Förderer Christian Sauer ist ein Buch über die Führungskraft ‚Stellvertreter‘ erschienen: „Der Stellvertreter – Führen aus der zweiten Reihe“, Hanser, 2016. Link zum Buch.

Und zum guten Schluss: Vor lauter Turbulenzen ist ein Thema ziemlich in den Hintergrund gerückt, das Freie noch vor einem Jahr sehr beschäftigt hat – die Scheinselbstständigkeit. Die Initiative Nachrichtenaufklärung hat es nun wieder aus der Versenkung geholt und ihm einen Platz unter den Top Ten der vernachlässigten Nachrichten eingeräumt.

Das war es wieder von uns. Wir wünschen allseits fröhliche Tage und stets eine steife Oberlippe bei allen Stürmen, die kommen und gehen. Bleiben Sie uns gewogen.

Ihre Freischreiber