Dies und Das
„Dieser Text wird viele Menschen enttäuschen. Er handelt vom Ende einer schönen Lüge. Als der grosse Reporter Hanns Joachim Friedrichs auf dem Totenbett – krebskrank und zum Leben zu schwach – von mir gefragt wurde, was ihn gereizt habe, Reporter zu werden, antwortete er, kaum lächelnd, mit einer Filmszene: Ein Reporter, gespielt von Hans Söhnker, nimmt immer wieder Abschied, um den Zeppelinabsturz zu recherchieren oder das Treiben finsterer Gestalten in China, umarmt immer wieder seine Geliebte, gespielt von Marianne Hoppe, und sagt jedes Mal: Auf Wiedersehen, Franziska! Das sei für ihn, damals 15 Jahre alt, der Lebenstraum gewesen: sich von einer schönen Frau verabschieden, in der Welt herumsausen, Geschichten einsammeln, zurückkommen zur schönen Frau und von der Welt erzählen. Packt man noch einen Batzen Geld dazu, dann ist es auch heute noch der Lebenstraum zumindest der männlichen Reporter.“ So beginnt Cordt Schnibben seinen Beitrag in dem sehr gelungenen „Reporter-Schwerpunktheft“ von NZZ Folio aus dem Oktober, in dem er sich mit den Mythen des Reporterdaseins beschäftigt, aber im nächsten Schritt sehr beherzt eine Lanze für den neuen, multimedial-aufgestellten Reporter bricht: „Wenn der Reporter das Netz nicht als Bedrohung sieht, sondern als Herausforderung, dann kann er erzählen wie kein Reporter vor ihm. Er kann Wort, Foto und Video so mischen, dass für den Leser und Betrachter Wirklichkeit vielschichtiger wirksam wird als je zuvor.“
Okay – ein wenig sehr stimmungsvoll wird der Schnibben dann im Fluss der Reportergefühle, hat aber was: „Während der Fussballweltmeisterschaft in Brasilien habe ich die Videokamera meines Smartphones immer dann eingesetzt, wenn meiner Sprache die Worte fehlten: der halbnackte, verzweifelte Mexikaner im Inkakostüm, dem die Fifa-Ordner am Stadioneingang eine alte grosse Muschel abnehmen, weil Blasinstrumente im Stadion neuerdings als Lärmquelle verboten sind; die tobenden argentinischen Fans in der Metro auf dem Weg ins Stadion; der Dachdecker aus Frankfurt, der nach dem Schlusspfiff im Final auf seinem Platz im Stadion hemmungslos zu weinen anfängt; die Macht des Wassers, das in den Wasserfällen von Iguaçu der Erde entgegenstürzt.“
Bodenständiger und immer wieder lesenswert der Blog von Wortwalzerin Jessica Schober, den man nicht genügend empfehlen kann. Zuletzt ging es auf der Suche nach dem genial-Lokalen nach Schwaben zur „Schwäbischen Post“. Und dessen Chefredakteur Lars Reckermann erklärt im Gespräch: „Wir sind jetzt schon brutal lokal unterwegs. 470 Lokalseiten im Monat. Die von einem relativ kleinen Team gestemmt werden. Eine eigene regionale Wirtschaftsseite, eine lokale Kulturseite, eine eigene Jugendseite. In 10 Jahren sieht die Zeitung idealerweise genauso aus wie heute. Die funktioniert, die wird gelesen. Wir verlieren nur 1,6 Prozent Leser. Meine Strategie ist: Ich will die Zeitung gar nicht verändern. Wir verändern im Kleinen, wir werden ein Stück weit moderner, aber machen Evolution statt Revolution. Wir haben gerade mal einen überregionalen Teil von acht Seiten. Wo wir auf drei Seiten das Regionale abbilden und auf den Restlichen versuchen, das Überregionale runterzubrechen. Das Lokale, das muss unser Geschäft sein.“
Im Gegensatz dazu sorgt die gute, alte „Zeit“ neuerdings darum, dass man sie nicht mehr lesen könnte. „Warum soll ich das lesen?“ heißt folglich ein neuer Newsletter-Service der „Zeit“-Chefredaktion, den man abonnieren kann und in dem wichtige Artikel angekündigt werden sollen. „Es geht uns darum, eine erste eigene Blattkritik zu liefern, die unsere Leser neugierig machen und zum Mitdiskutieren anregen soll“, so Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur. Eine Blattkritik, bevor der Leser das Blatt überhaupt gelesen hat? Das nennen wir — Tempo!
Und dann noch — Helmut Kohl. Ja, ist lange her, ist jetzt nicht sooo der Bringer. Aber der Wirbel um seine Gespräche, die er mit dem Journalisten Heribert Schwan geführt hat und die nun gegen Kohls Willen veröffentlicht wurden, hat ja doch viele JournalistInnengemüter umgetrieben: Darf man, was einem erzählt wird, während man lauscht und am Bandgerät dessen rote Lampe beruhigend blinkt, einfach so veröffentlichen? „Auch die Dirndl-Aussagen von FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle gegenüber der Stern-Redakteurin Laura Himmelreich fielen einst an einer Hotelbar und waren mit Sicherheit nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Sie wurden trotzdem publik. Und das war richtig so“, schreibt dazu Jürn Kruse in der „taz“.
Freischreiberiges
Und da geht es um diesmal Grüße. Grüße an das Netzwerk „Reporter ohne Grenzen“, das sein 20jähriges Bestehen in Berlin feierte: „Sie helfen Journalisten, die drangsaliert, verschleppt oder an der Ausübung ihres Berufs gehindert werden – vor Ort, mit wertvollen Informationen und Kontakten, oft auch in konkreter Aktion und mit Geld; sie setzen sich mit auffälligen und wirkungsvollen Kampagnen für Presse- und Informationsfreiheit ein; sie unterstützen Journalisten und Blogger, wenn diese in Krisengebiete fahren oder aus Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit berichten: Die Reporter ohne Grenzen.“ Wir waren mit Blumen dabei.
Neue Blogs und andere Erscheinungsformen
Ob „Der Schreiberling“ ein Begriff ist, der den jungen Menschen hinter dem Smartphone hervorlocken mag, daran kann man gewiss zweifeln. Aber so heißt nun mal ein neuer Blog, mit dem der „Tagesspiegel“ just die jungen Menschen für das Zeitungswesen gewinnen will. „Normalerweise werden Medien für junge Leute ja eher von Berufsjugendlichen und Sozialpädagogen gestaltet. Nicht so bei uns. Wir nennen uns „Der Schreiberling“, denn das ist es, was wir sind: Junge Leute, die schreiben. Wir berichten über Konzerte, Filme, Jugendpolitik und natürlich das Berliner Stadtleben. Was bewegt die junge Generation? Informiert euch – auf unserem Blog.“ Ob das von jungen Leuten geschrieben wurde? Oder nicht doch von Sozialpädagogen oder Berufsjugendlichen? Egal! Die Seite ist sehr gut und hübsch! Und wer jung ist und so noch mehr so fühlt …
Kongresse und Treffen anderer Art
Wo wir gerade bei den jungen Leuten waren: Die nächsten Jugendmedientage finden diesmal vom 6. bis 9. November in Frankfurt am Main statt. „Dein Herz schlägt für Fotografie, Radio oder Filmemachen? Dann bist du hier genau richtig. Denn bei den Jugendmedientagen 2014 zählt vor allem eines: Die Leidenschaft fürs Medienmachen! Bei den Jugendmedientagen treffen 500 Teilnehmer in Workshops, bei Dialogrunden und Podiumsdiskussionen auf Medienprofis. Sie erweitern ihre Medienkompetenzen, setzen sich mit aktuellen Branchenthemen auseinander und lernen journalistisches Handwerk direkt von den Experten. Bei Medientouren erlauben renommierte Redaktionen, Rundfunkanstalten, Film- und Kommunikationsagenturen Einblicke in ihre Arbeit. Das abwechslungsreiche Rahmenprogramm mit Mediennacht und JMT- Party bietet Gelegenheit zum Mitmachen, Austauschen und Vernetzen. Unter dem Titel „ZwischenWelten“ fokussieren die diesjährigen Jugendmedientage interkulturelle, (hyper-)lokale und globale Trends der Medienbranche.“
Das Forum „Netzwerk Recherche“ lädt eine zu einer eintägigen Tagung mit dem Titel „Nonproft Journalismus“: „Wir möchten die Idee des Gemeinnützigen Journalismus mit Vertretern aus Politik, Journalismus und dem Nonprofit-Sektor diskutieren und praktische Beispiele zur Organisation und Finanzierung von Nonprofit-Büros geben.“ Dabei sind unter anderem „Correctiv“, die „Rudolf-Augstein Stiftung“, „ Journalismfund.eu“, „Message“ und auch wir Freischreiber schauen vorbei.
Ort: Berlin und dort das „Haus der Demokratie und Menschenrechte“. Datum: 6. November, ab 10 Uhr. Anmelden kann man sich hier.
Preise
Zu zweit müssen Sie schon sein. Aber dann könnte es losgehen – mit einer Bewerbung beim Medienpreis von „Hostwriter“, mit dem Freischreiber übrigens kooperiert: „You needed support from another journalists while doing a report and you eventually teamed up to do the story? You are doing a piece together with a foreign colleague, who you’ve found over hostwriter? You are planning to realise a documentary as a group?“
Das eingereichte Projekt muss noch nicht abgeschlossen sein, sondern kann noch in der Mache sein. Der Kontakt muss auch nicht über „Hostwriter“ entstanden sein. Wichtig ist die Idee der Kooperation; es werden Modelle erfolgreicher Zusammenarbeit auch über Länder- und Kontinentgrenzen hinaus gesucht. Einsendeschluss ist der 28. November. Vergeben werden 5.000 Euro. Über den Preis kann man sich ansonsten über #HostwriterPrize auf Twitter auf dem Laufenden halten. Oder man schaut regelmäßig auf die Seite.
Auch das Unternehmen „ERGO direkt“ hat einen Preis für innovative Medienprojekte ausgeschrieben: „Geschichten liegen auf der Straße, so heißt es. Was passiert aber, wenn aus den "Straßengeschichten" innovative Online-Stories werden? Wenn aus dem Nichts ein digitales Meisterwerk entsteht, das einen packt und so lange auf der Seite oder in der App hält, bis auch das letzte Online-Video angeschaut oder die letzte Bilderstrecke durchgeklickt wurde.“ Und von daher: „Wir suchen mutige Journalisten, Blogger, Videoredakteure oder Studenten, die neue und innovative Wege in der Online-Kommunikation gehen. Sei es für klassische Medien, sei es für ein kreatives Projekt, sei es im eigenen Blog.“
Vergeben werden insgesamt 17.000 Euro, und der Einsendeschluss für entsprechende DVDs, CDs und andere Träger ist der 1. November.
So. Das war's schon wieder. Jedenfalls fast. Denn diesmal haben wir uns als Rausschmeißer für einen ganz normalen Zeitungsartikel entschieden (nicht crossmedial, nicht multimedia-mäßig also), einfach weil er uns gefallen hat und weil er auf leichte Weise erzählt wie diese globale Wirtschaft möglicherweise funktioniert und wie man das auch darstellen kann. Und darin erzählt Meriem Strupler wie sie sich neulich eine Zarlando-Aktie kaufte. Eine? Eine. Eine von 28,1 Millionen. Und das geht so: „'Die Kundin hier will Zalando-Aktien kaufen, aber nur eine.' Mit diesen Worten verweist man mich an eine Bankangestellte im eleganten schwarzen Kostüm. Die Dame mustert mich durch ihre Brille. Mit einem Blick, der mich eindeutig für dämlich bis debil hält. Es ist Mittwoch, der 1. Oktober, fünf Minuten vor elf. Der Online-Modehändler Zalando ist seit knapp zwei Stunden an der Börse.“ Viel Spaß beim Lesen!
In diesem Sinne
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