Liebe Kollegen und Kolleginnen,
Urlaub ist toll, Urlaub ist doof. Weil man sich so daran gewöhnen kann, mal alle viere grade sein zu lassen, weil man mal so richtig entspannen kann. Aber es bleibt so viel anderes liegen! Denn die Welt dreht sich ja weiter, während man da im Liegestuhl liegt und in den medienfreien Himmel schaut, der nicht abfragt, wie man ihn findet, im allgemeinen und speziellen. Also in die Hände gespuckt und wieder los gelegt.
Aber wo jetzt anfangen? Vielleicht mit einem Geständnis vom Kollegen Thilo Mischke? Ach, nehmen wir das mal: „Mir läuft der Schweiß den Rücken hinunter, wenn ich schreibe. Wirklicher, echter Schweiß. Manchmal auch aus der Achsel. Er läuft dann an der Hüfte hinunter und wird von meinem T-Shirt aufgefangen. Es ist ein sonderbarer Zustand, wenn ich schreibe. Jedoch: kein besonderer. Der Polizist, der einem Menschen hinterherläuft, er schwitzt. Ebenso der Bauarbeiter oder meine Mutter, die Buchhändlerin. Wenn sie Kisten mit Bestellungen schleppt und die Bücher ins Regal sortiert. Wir arbeiten. Unsere Körper sind angestrengt. Dieses Schreiben, dieses konzentrierte, fokussierte, dieses saubere, dieses Handwerk. Ich werde es vermissen.“
Sie wissen bestimmt, worum es geht: Um die neuen Leiden des Festangestellten – also die des vermutlich noch Festangestellten. Beim „Stern“ beispielsweise. Denn beim „Stern“ ist Thilo Mischke festangestellt. Noch! Denn nun ist alles anders: „Ich sehe weinende Menschen. Höre tränenerstickte Stimmen in diesen Redaktionen. Weil diese Menschen etwas gelernt haben, was nicht mehr gebraucht wird. Täglich wird es ihnen gesagt. Täglich werden es weniger. Gerade jetzt erlebe ich es täglich. Ich laufe durch dieses Haus am Baumwall. Vor einem Jahr habe ich hier angefangen. Visionen wurden verkündet. Und es waren Visionen, die mir gefallen haben.“
Und Schnitt! Cut! Und was ganz anderes! Denn wie ist dagegen Karsten Lohmeyer von „LousyPennies“ gestimmt!? Goldene Zeiten brechen seiner Meinung nach an! Alles wird gut! Und noch viel besser. Denn er sieht die Morgenröte des Journalismus neu aufsteigen und wagt schon mal so etwas wie einen Jahresrückblick auf 2014: „Jammern, immer nur jammern. Das kennen wir vom deutschen Journalismus im Jahr 2014. Das böse Internet. Die wegbrechenden Anzeigen. Zu viel PR und Marketing, zu wenig Journalismus. Schlechte Bezahlung, Ausbeutung und Entlassungswellen in den Verlagen… Auch wir bei LousyPennies sind nicht ganz dagegen gefeit, obwohl wir uns eigentlich als Mutmacherportal für alle Journalisten im digitalen Wandel verstehen. Zeit, einmal darüber zu reden, dass sich 2014 unglaublich viele Dinge getan haben, die Mut machen, die zeigen, dass es viele faszinierende Ideen gibt, die Aussicht auf Erfolg haben, sowohl wirtschaftlich als auch journalistisch. Denn während viele von uns gebannt darauf schauen, was da gerade mal wieder bei Spiegel, Stern und Focus abgeht, passieren die wirklich interessanten und inspirierenden Sachen abseits der alten Dickschiffe.“
Auch Dirk Lehmann möchte nicht zurück auf eines der „Dickschiffe“ und so gibt er dem Thilo folgendes mit auf dem Weg zu neuen Ufern: „Was mich am Selbstmitleid vieler Journalisten (hach, bin leider selbst einer) wundert, dass auf einem weiteren Missverständnis basiert: Wir erleben doch keine Krise des Journalismus (so viel Storytelling wie heute war doch nie!), sondern eine der Verlage. Und, sorry, auch wenn ich selbst als Journalist groß geworden bin, erst auf dem Affenfelsen an der Alster und später in Alcatraz an der Elbe. Um den Verlag tut es mir nicht leid. Er hatte eine gute Zeit. Sie ist vorbei. Jetzt kommt unsere Zeit!“
Unsere Zeit? Unsere Zeit! Ein Beispiel? Ein Beispiel: „Warm ist es im Festzelt am Wittelsbacherpark. Der Geruch von Leberkas und Brathendl liegt in der Luft, dazu Tabak, Bier und Blasmusik. Langsam füllt sich der Raum unter dem großen weißen Zeltdach. Menschen in Tracht nehmen an Biertischen unter Kunsttannen-Girlanden Platz. Wohin ich auch schaue: Dirndl, Lederhosen, Wadlwärmer, Trachtenschmuck. Fesche Madln und gestandene Mannsbilder, davon viele mit Bart, Bauch und Bizeps.“ So startet ein neuer, lesens- und betrachtenswerter Beitrag von „Siehdiewelt.com".
Noch ein Beispiel? Noch ein Beispiel: „Heimatzeitung, das Wort ist kuschelig wie ein Flanellhemd. Was bedeutet es? Als ich jetzt meine eigene Heimatzeitung besucht habe, den Burgdorfer Anzeiger, da sprang mich gleich ein neues Lieblingswort im Blatt an: Kleinkaliberkönigin. Die Schützenfestsaison ist gerade rum in Niedersachsen, die Themenlage ist ein bisschen dünn. Aber die neue Kleinkaliberkönigin ist allemal einen Vierspalter wert. Es vergeht kein Kartoffelfest, ohne dass darüber berichtet wird. Alles hier kommt mir bekannt vor, ich weiß ja: Der Samstag heißt hier Sonnabend. Die Dörfer heißen Otze, Uetze, Schwüblingsen und Hülptingsen. Es sind die Orte, durch die ich als Schülerin jedes Wochenende gezuckelt bin, um meine Lokaltermine zu machen. Ich genieße es jetzt dieses Wortwalz-Gefühl der vergangenen Wochen mal abzuschütteln, dass man ständig versucht Lokaljournalismus zu machen ohne sich vor Ort auszukennen. Hier kenne ich mich aus, aber ich merke auch, wie die Zeit mich verändert hat.“ Ein Auszug aus dem schönen Blog von Wortwalzerin Jessica Schober, die nun seit einigen Wochen unterwegs ist. Vielleicht sollte auch der Thilo mal seine Wanderschuhe …
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Dies und Das
Sebastian Brinkmann empfiehlt diverse Tools, um die Echtheit von Bildern zu überprüfen, die „Neue Züricher Zeitung“ fordert für die Schweiz eine neue Journalismusförderung und die neue Wuppertaler Zeitung „talwärts“ vermeldet, dass sie ihren Vertrieb ausbauen kann. Daniel Drepper von „Correctv“ wiederum wehrt sich mit Händen und Füßen gegen den Vorwurf, er würde mit seinem Recherchepool freien Journalisten die Arbeit wegnehmen: „Wir sind gemeinnützig, wir arbeiten nicht für Medien, sondern für die Gesellschaft. Damit nehmen wir freien Kollegen nicht die Arbeit weg: Die Stories wären ohne uns nie recherchiert worden.“ Ansonsten heißt es hemdsärmelig: „Wer als freier Journalist recherchiert, zahlt drauf. So einfach ist das.“
Zitat der Woche dürfte aber das von Bernd Ziesemer, werden, denn der langjährige Chefredakteur vom „Handelsblatt“ meint: „Eine Gefahr für unabhängige Medien entsteht erst dann, wenn sie anfangen, ihre Unabhängigkeit zu verlieren.“ Wir widersprechen da ausdrücklich nicht.
Freischreiberiges
„Ist Bloggen in Deutschland ein Randthema? Lässt sich mit Bloggen Geld verdienen? Was braucht man, um einen Blog aufzusetzen? Geht es mehr um die Person oder die Sache?“ Alles Fragen, die Freischreiber Daniel Bouhs in einem kleinen Filmbeitrag zu beantworten sucht.
Freischreiberin Gemma Pörzgen dagegen erzählt, wie es kam, dass die regimefreundliche Beilage „Russland heute“ von der „SZ“ zum „Handelsblatt“ wechselt und wer das wie einschätzt.
Unbedingt empfehlenswert ein sehr unterhaltsames Gespräch mit Freischreiber Stefan Schomann über die Höhe- und Tiefpunkte des Reisejournalismus: „Ich war unlängst in den albanischen Bergen unterwegs. Auf dem Hinweg hatte ich einen geländegängigen Wagen mit Fahrer. Das war angenehm und effizient, aber darüber gibt es nichts zu berichten. Auf dem Rückweg bin ich mit einem Sammelbus gefahren, der Einheimische und Touristen entlang der Strecke aufliest und über halsbrecherische Pässe karrt. Das war weit weniger bequem, hat dreimal so lange gedauert, und es konnte einem schon mulmig werden dabei. Der Fahrer telefonierte mit der Linken und schwang mit der Rechten das Lenkrad. Wenn er nicht telefonierte, rauchte er. Ich überlegte mir, was wohl geschehen würde, wenn ihn nun beim Telefonieren der Drang nach einer Zigarette überkäme. Ich habe den Gedanken dann aber wieder verworfen – so etwas denken Reporter sich doch nur aus, damit der Leser sich ein bisschen um sie sorgt. Aber wenig später tat er genau das und lenkte die Kiste dann mit beiden Ellbogen am Abgrund entlang. Darüber lässt sich schreiben! Der schnellste Weg ist nie der ergiebigste. Umgekehrt ist es zum Beispiel immer lohnend, mit Tieren unterwegs zu sein. Ob man nun reitet, mit einem Hund spazieren geht, mit einem Esel herumzieht – Tiere tragen hervorragend zur Entschleunigung bei.“
Preise
Ausgeschrieben ist erneut der „Medienpreis Politik“ des Deutschen Bundestages: „Dieser würdigt hervorragende publizistische Arbeiten – sei es in Tages- oder Wochenzeitungen, in regionalen oder überregionalen Medien, in Printmedien, Online- Medien oder in Rundfunk und Fernsehen–, die zu einem vertieften Verständnis parlamentarischer Praxis beitragen und zur Beschäftigung mit den Fragen des Parlamentarismus anregen. Die Auszeichnung ist mit 5.000 Euro dotiert und wird vom Präsidenten des Deutschen Bundestages verliehen.“
Für Auslandskorrespondenten und -reporter deutschsprachiger Medien wiederum eignet sich diese Ausschreibung: der mit 15.000 Euro dotierte „Reemtsma Liberty Award 2015“.
Dazu schreiben die Preisgeber: „Seit 2007 würdigt Reemtsma mit dem Liberty Award den herausragenden journalistischen Einsatz von deutschsprachigen Auslandskorrespondenten. Gewürdigt werden Korrespondenten und Reporter, die Außergewöhnliches für die Freiheit leisten – die Freiheit der Medien, der Gesellschaft und damit für die Freiheit eines jeden Einzelnen. Der Preisträger wird aus allen Einreichungen von einer unabhängigen Jury ausgewählt. Dabei wird der „Reemtsma Liberty Award“ von dem Verständnis getragen, dass Menschenrechte und Freiheit das Fundament von Demokratie, Selbstbestimmung und Menschenwürde sind. Kandidatenvorschläge für den „Reemtsma Liberty Award“ können von jedermann eingereicht werden, der herausragende Artikel, Radio- oder Fernsehbeiträge als preiswürdig erachtet.“
Bewerbungsfrist ist der 15. Oktober 2014.
Ausgeschrieben ist ab jetzt der Posten eines Stadtschreibers oder einer Stadtschreiberin in der tschechischen Pilsen: „Deutschsprachige Autorinnen und Autoren, die bereits schriftstellerische oder journalistische Veröffentlichungen vorzuweisen haben, sind eingeladen, sich um den Posten des Stadtschreibers/der Stadtschreiberin in Pilsen zu bewerben und während des dortigen Aufenthalts im Kulturhauptstadtjahr einem Internetblog zu berichten. Insbesondere werden solche Autorinnen und Autoren angesprochen, die sich auf die Wechselseitigkeiten von Literatur und historischem Kulturerbe der Stadt und der Region einlassen wollen. Bewerbungsschluss ist der 31.10.2014. Über die Vergabe der Stadtschreiberstelle, verbunden mit einem monatlichen Stipendium von 1.300 Euro für fünf Monate (März bis Juli 2015), einer kostenlosen Wohnmöglichkeit in Pilsen und Reisemitteln, entscheidet bis Ende Januar 2015 eine qualifizierte Jury.“ Ausrichter ist das „Deutsche Kulturforum östliches Europa“.
Recherchereisen
Ein wenig ranhalten muss man sich, wenn man mit „n-ost“ die Republik Moldau besuchen will: „Die Republik Moldau wenige Wochen vor den Parlamentswahlen dort steht im Fokus einer 6-tägigen n-ost-Recherchereise Anfang November. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts ist diese Wahl und die Beschäftigung mit dem Land besonders aktuell. Die Reise wird konzipiert und organisiert von unserem Mitglied und Moskau-Korrespondenten Oliver Bilger. Ein Recherchetag in Transnistrien und ein Vernetzungstreffen mit lokalen Journalisten und Medien gehören zum Programm.
Bewerbungsfrist endet am Montag, den 15. September.
So. Das war's schon wieder. Eigentlich war es gar nicht so schlimm. Das Eintauchen in die Medienwelt, das Sichten, Zitieren, Nachdenken. Nächste Woche sind wir wieder da. Versprochen.
In diesem Sinne
Ihre Freischreiber
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