
Zug in die Zukunft
In ein paar Jahren soll Rail Baltica Mitteleuropa mit Estland verbinden. Darauf mag unsere Autorin nicht warten. Sie ist schon mal vorausgefahren.
Der Zug, der mich nach Osten bringen soll, ist grau, hat einen blauen Streifen und wartet an Gleis acht. »Warszawa« steht auf der Anzeige in Berlin- Gesundbrunnen. Ich bin richtig. Normaler weise startet der Berlin–Warschau-Express am Hauptbahnhof, aber es wird gebaut, mir kommt das entgegen. In Wagen 268 setze ich mich ans Fenster, Großraum, noch ist er so gut wie leer. Eine Schulklasse rennt den Bahnsteig entlang, ein älteres Paar küsst sich zum Abschied. Der Leiter einer Wandergruppe sucht erst aufgeregt die reservierten Sitzplätze und dann nervös die Schaffnerin.
Um 11.52 Uhr rollt der Zug an. Am liebsten würde ich laut jubeln: Es geht los, nach Wochen des Planens und Jahren des Wartens. Es war 2008, als ich die Broschüre fand, mit der das Baltikum auf meine Da-will-ich-hin-Landkarte kam. Zwischen Flyern in einer Berliner Behörde war sie mir aufgefallen. Ein Zug auf dem Cover, Meer, Wiese, »Rail Baltica« prangte darüber. Baltikum, das klang nach Meeresbrise und Birkenwald, kühl irgendwie, aber schön, irgendwo kurz vor Russland. Ich wusste nichts über die drei Länder, nicht einmal, welches wo liegt, und fing an zu blättern. Die baltischen Länder, las ich, würden bald miteinander verbunden und per Nachtzug auch mit dem Westen. 2023 werde der erste Zug fahren, von Berlin nach Tallinn in nur einer Nacht.
Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wird bereits über eine Schnellzugstrecke gesprochen, die Visionen waren groß, europäisch. Inzwischen lese ich auf der Rail-Baltica-Website: Fertigstellung 2030. Ich wollte nach Estland, nach Tartu, in die Kulturhauptstadt 2024, und war enttäuscht. Bekam aber die Idee nicht aus dem Kopf: mit dem Zug ins Baltikum!
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via www.zeit.de