Windkraftausbau: Sind Klimaschutz und Naturschutz vereinbar?
Berlin - Die Windkraft soll stark ausgebaut werden. Das ist der Plan der Bundesregierung. Bisher verlief der Ausbau sehr schleppend, 2021 so langsam wie seit 20 Jahren nicht mehr. Grund dafür sind vor allem die langwierigen Genehmigungsverfahren, die etwa durch Abstandsregeln zu Siedlungen oder strengen Auflagen für den Artenschutz verursacht werden.
Berlin – Die Windkraft soll stark ausgebaut werden. Das ist der Plan der Bundesregierung. Bisher verlief der Ausbau sehr schleppend, 2021 so langsam wie seit 20 Jahren nicht mehr. Grund dafür sind vor allem die langwierigen Genehmigungsverfahren, die etwa durch Abstandsregeln zu Siedlungen oder strengen Auflagen für den Artenschutz verursacht werden.
Doch das soll sich ändern, versprach Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vergangene Woche bei der Veröffentlichung der Eröffnungsbilanz Klimaschutz. Das Ziel: Auf zwei Prozent der Landesfläche in Deutschland sollen zukünftig Windräder stehen und auch Offshore, übersetzt: vor der Küste, soll kräftig gebaut werden.
Dafür soll auch der Artenschutz entsprechend angepasst werden. Bislang geht vor dem Bau von Windkraftanlagen immer eine Artenschutzprüfung voraus, die Individuen bedrohter Arten, etwa Greifvögel oder Fledermäuse, davor schützen soll, mit den Anlagen zu kollidieren. In Zukunft will sich die Bundesregierung nun mehr auf den Schutz der gesamten Population fokussieren. Das heißt: Wenn nur einzelne Vögel einer Art betroffen sind, aber nicht der Bestand an sich gefährdet ist, können Windräder künftig gebaut werden. Wie solch ein Populationsschutz rechtlich verankert werden kann und ob dafür Artenschutzauflagen der EU angepasst werden müssen, ist allerdings noch unklar.
Vor allem Umwelt- und Naturschützer sind besorgt. Denn Fledermäuse und bedrohte Greifvögel, wie der Rotmilan oder der Mäusebussard, geraten immer wieder in die Flügel der Windräder. Der Grund: Viele Greifvögel schauen beim Fliegen nur auf den Boden und weichen daher den Windrädern nicht aus. Zwar wird gerne das Beispiel genannt, dass Katzen viel mehr Vögel töten würden, als es Windräder tun. Allerdings hinkt der Vergleich stark: Katzen töten keine bedrohten Greifvögel.
Mit dem Ausbau der Windenergie und der Anpassung des Artenschutzes, um Genehmigungsverfahren schneller durchzubringen, könnten in Zukunft immer mehr bedrohte Vögel und Fledermäuse getötet werden. Zwar soll darauf geachtet werden, dass die Population an sich nicht gefährdet ist, doch hier fangen bereits die Probleme an. Denn um das sicherstellen zu können, müssten erst einmal die Bestände der Fledermaus- und Greifvogelpopulationen analysiert werden, sagt Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin im Gespräch mit dem Science Media Center. Doch die Datenlage sei noch zu dünn. Auch müsse man klären, ab wann eine Population eine kritische Bestandsgröße erreicht hat. Wo zieht man die Grenze?
„Wir müssen sowohl das Klima schützen als auch das Artensterben beenden und diese Spirale stoppen. Das Verständnis, dass beides genauso wichtig ist, hat zur Folge, dass man das auch als gleichrangig bewertet“, sagt Voigt. „Das hat mich etwas nachdenklich gestimmt nach der Antrittsrede von Herrn Habeck, weil er es als vorrangig sieht, den Klimaschutz zu bedienen. Frau Lemke (Steffi Lemke, Bundesumweltministerin und Mitglied von Bündnis90/Die Grünen, Anmerkung der Redaktion) hat das etwas differenzierter dargestellt, was mich wiederum erfreut hat. Wir müssen in der Energiewende ökologisch nachhaltig werden, denn beide Ziele sind extrem wichtig.“
Es stehe auch ausreichend Fläche zur Verfügung, um das Zwei-Prozent-Ziel naturverträglich umzusetzen, erklärt Elke Bruns vom Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) in Berlin. „Es bedarf aber einer starken räumlichen Steuerung und eines entsprechenden politischen Willens, diese räumliche Steuerung auch im jeweiligen Bundesland umzusetzen.“
Das bedeutet: Man muss Windräder dort bauen, wo sich bedrohte Arten selten aufhalten, wo das Kollisionsrisiko gering ist. Doch das muss man erst einmal herausfinden. Auch hier muss man noch viel mehr Daten und Informationen sammeln, um überhaupt sehen zu können, wie der Bestand ist, wo sich die Arten aufhalten und wo nicht.
Technisch kann man bereits Kollisionen mit Vögeln und Fledermäusen vermeiden. So gibt es etwa bereits kamerabasierte Antikollisionssysteme. Die müssten jedoch installiert werden. Und wo Verluste von Vögeln nicht vermeidbar seien, müsse man dafür sorgen, dass in der Gesamtbilanz ein guter Bestand erhalten bleibt, sagt Bruns. Das bedeutet: Man darf sich nicht nur auf die Gebiete rund um die Windanlagen fokussieren, sondern Schutzgebiete und Artenschutzprogramme insgesamt erweitern, um die Populationen so zu stärken, dass sie auch mit einzelnen Verlusten sicher bestehen bleiben.
Doch ein zentrales Problem ist: Viele Menschen wollen keine Windkraftanlagen in ihrer Nähe stehen haben – aus Angst vor gesundheitlichen Folgen oder dem unschönen Anblick der Räder in der Landschaft. Das ist auch der Grund, warum Windräder oft vor Schutzgebieten gebaut werden. Und das betrifft nicht nur das Land, sondern vor allem auch die Windräder in Nord- und Ostsee, die sogenannten Offshore-Anlagen.
Gerade in der Bauphase ist dort insbesondere die intensive Schallbelastung ein Problem für Tiere. Der Lärm kann Schweinswale und Fische verletzen und sie aus wichtigen Lebensräumen vertreiben, schreibt der Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Auch See- und Zugvögel werden demnach beeinträchtigt. Ihre Migrationsrouten werden durch die Windkraftwerke zerschnitten, wichtige Rast- und Nahrungsgebiete gehen verloren und es drohen Kollisionen mit den Rotoren der Turbinen.
„Die Naturschutzkonflikte im Meer sind riesig“, sagt Nabu-Meeresschutzexperte Kim Detloff. Mehr als 300.000 Schiffe fahren bereits Jahr für Jahr durch die deutsche Nordsee – große Tanker oder Containerschiffe, Kreuzfahrer und Behördenschiffe. Und auch die Ostsee gehört nach Angaben des Nabu zu den Gewässern der Welt mit der höchsten Verkehrsdichte.
Hinzu kommen die Überfischung, der Beifang von Schweinswalen, die Zerstörung des Meeresbodens und der Einsatz von grundberührenden Fischereigeräten. Und auch Rohstoffe am Meeresboden werden in Nord- und Ostsee stark abgebaut – vor allem Kies und Sand für die Baubranche und den Küstenschutz. Selbst in den ausgewiesenen Naturschutzgebieten fahren Schiffe, wird gefischt und werden Rohstoffe abgebaut.
„Das Meer ist damit bereits heute ein überlastetes System“, sagt Detloff. Und dann würden noch die Windparks hinzukommen. Zum Erreichen des im Koalitionsvertrag genannten Ausbauziels von 70 Gigawatt bis zum Jahr 2045 müssen in erheblichem Umfang weitere Gebiete für den Ausbau der Windenergie auf See erschlossen werden. „Auf dem Land sind zwei Prozent der Fläche für die Windräder geplant. In Nord- und Ostsee sind es so 20 bis 30 Prozent der Fläche, das ist enorm“, sagt Detloff.
Unberücksichtigt dabei bleiben die ökologischen Wirkeffekte, etwa Meidabstände von Seevögeln. Denn Seetaucher, aber auch Trottellummen und Basstölpel, meiden Windkraftanlagen in einem Umkreis von über zehn Kilometern. Somit wirken Windparks auch in Schutzgebiete, den Vögeln gehen zentrale Nahrungs- und Rastgebiete verloren. Einigen Arten verlieren so die Hälfte der deutschen Nord- und Ostsee als Lebensraum. „Ein Rückgang der Populationen ist vorprogrammiert“, sagt Detloff.
Eine erste neue Giga-Windkraftanlage ist bereits in der Nordsee geplant. Das zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) hat ein entsprechendes Verfahren zur Fortschreibung des Flächenentwicklungsplans eröffnet. Dort werden weitere Flächen für die Offshore-Windenergie vorgeschlagen. „Im aktuellen Plan gibt es einen Puffer von 5,5 Kilometern zwischen Windparks und Schutzgebieten, um die bekannten Meideradien zu berücksichtigen, das wird jetzt schlichtweg aufgelöst“, sagt Detloff. „Man versucht mehr Windräder auf Kosten von Naturschutzgebieten zu realisieren. Das kann nicht sein.“
Der Nabu hat bereits eine Stellungnahme verfasst, die der Berliner Zeitung als Entwurf vorliegt, in der unter anderem gefordert wird, die Pufferzonen weiter einzuhalten und idealerweise auf zehn Kilometer auszuweiten. Auch die geplante Flächenerweiterung müsse deutlich reduziert und der technische Schallschutz beim Bau der Windkraftanlagen berücksichtigt werden. Am 26. Januar soll es eine Anhörung zu dem Flächenentwicklungsplan geben.
Detloff betont, dass ein naturverträglicher Windkraftausbau möglich und wichtig sei. Doch dieser finde eben bislang nicht statt. Neben der Standortwahl der Windparks, der Einhaltung von Pufferzonen zu Schutzgebieten und dem technischen Schallschutz, der in Windkraftanlagen eingesetzt werden müsse, sei vor allem eines besonders entscheidend: Man müsse den Zustand der Meere insgesamt verbessern.
„Gesunde Meere sind Verbündete in der Klimakrise“, sagt Detloff. Denn Seegraswiesen, Kelpwälder, Salzwiesen, aber auch Muscheln und andere riffbildende Arten sind in der Lage, riesige Mengen an CO2 zu speichern. Die Menge an Treibhausgasen, die in den Ozeanen gespeichert ist, ist etwa 50-mal größer als in der Atmosphäre. „Wir müssen Meere und ihre Lebensgemeinschaften stärken. Wenn sie in einem besseren Zustand wären, könnte man auch Beeinträchtigungen durch Offshore-Anlagen besser kompensieren“, sagt Detloff.
Doch bislang findet in den Schutzgebieten eben alles statt, was auch außerhalb der Gebiete stattfinden darf – von Schifffahrt bis Fischerei. Es gibt keine Ausweichgebiete für Vögel, Fische und Schweinswale. Hier gilt also das gleiche wie beim Windkraftausbau an Land: Man muss Schutzgebiete wirksam machen, mögliche Belastungen aus dem System nehmen, damit sich der Bestand der Populationen verbessert. Ungenutzte Gebiete können zu Schutzgebieten gemacht werden, damit die Arten eine Ausweichmöglichkeit haben. Die Landwirtschaft und Fischerei müssen sich ändern, umweltfreundlicher werden.
Denn: Klimaschutz und Artenschutz schließen sich nicht aus. Auch wenn es oft so scheint, als würde es einen regelrechten Kampf zwischen Klima- und Naturschützern geben. „Wir dürfen die beiden Themen nicht gegeneinander ausspielen, sondern müssen sie verbinden und gemeinsam angehen“, sagt Detloff. Denn sowohl der Klimawandel als auch das Artensterben sind beides Symptome desselben Problems: Der Mensch, der die Natur übernutzt.