interview | Elena Matera

Wie dringend der Klimaschutz soziale Gerechtigkeit braucht

Berlin - Die Klimaerwärmung wird schwerwiegendere Folgen haben als bisher angenommen. Mit welchen Maßnahmen kann die Menschheit den Klimawandel bekämpfen? Eine Frage, die sich auch der Berliner Physiker und Hochschullehrer Felix Creutzig in seiner Arbeit als einer der koordinierenden Leitautoren des dritten und damit letzten Teils des neuen Weltklimaberichts stellt, der kommenden Montag veröffentlicht wird.

Berlin – Die Klimaerwärmung wird schwerwiegendere Folgen haben als bisher angenommen. Mit welchen Maßnahmen kann die Menschheit den Klimawandel bekämpfen? Eine Frage, die sich auch der Berliner Physiker und Hochschullehrer Felix Creutzig in seiner Arbeit als einer der koordinierenden Leitautoren des dritten und damit letzten Teils des neuen Weltklimaberichts stellt, der kommenden Montag veröffentlicht wird. Ein Gespräch über politische Fehlentscheidungen, wie Gleichberechtigung zu mehr Klimaschutz führen kann und warum der Fachkräftemangel nicht unterschätzt werden darf.

Herr Creutzig, am Montag wird der dritte Teil des neuen Weltklimaberichts veröffentlicht, in dem Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels vorgestellt werden. Sie sind einer der Leitautoren. Können Sie schon mehr dazu verraten?


Es gilt leider noch ein striktes Embargo bis zur Veröffentlichung des Berichts, was die Inhalte betrifft. Was aber sicher ist: Wir müssen sehr viel sofort umsetzen, damit wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens überhaupt noch erreichen können.


Wie viel Zeit bleibt uns denn noch?


Die Klimaschutzpfade, die mit den Zielen des Pariser Abkommens kompatibel sind, sagen alle, dass wir die nächsten 30 bis 40 Jahre auf netto null Emissionen runtermüssen. Das ist der Zeitrahmen. Einige Maßnahmen sind sofort wirksam. Andere Maßnahmen, die jetzt getroffen werden sollten, brauchen mehrere Jahre bis Jahrzehnte, um wirksam zu werden.

Unternimmt Deutschland denn genug, was den Klimaschutz betrifft?


Die neue Bundesregierung hat sich auf jeden Fall auf die Agenda geschrieben, mehr zu machen und hat ermutigende Signale gesetzt. Doch gerade im Mobilitätsbereich passiert viel zu wenig. Da stagnieren die Emissionen bereits seit zwei Jahrzehnten. Ein Beispiel: Die Motoren sind zwar effizienter geworden, doch das wird kompensiert durch immer größere und schwerere Autos, die eigentlich wenig realen Nutzen haben. Besorgniserregend ist aber auch das aktuelle Handeln in der derzeitigen geopolitischen Lage.

Also was den russischen Angriffskrieg in der Ukraine betrifft?


Genau. Die Frage ist ja: Wo kriegt Deutschland jetzt fossile Rohstoffe her? Es wird jetzt mit anderen Ländern verhandelt. Aber genauso wichtig: Welche Möglichkeiten gibt es, auf fossile Rohstoffe zu verzichten. Da könnte und sollte viel mehr passieren.

Können Sie da Beispiele nennen?


Wir könnten es wie Italien machen: Also, dass man ein bis zwei Grad weniger wärmt. Das ist tatsächlich sehr effektiv. Gerade um die Abhängigkeit vom russischen Gas zu senken und gleichzeitig weniger Treibhausgasemissionen zu produzieren. Im Gasbereich könnte man allein dadurch mehr als zehn Prozent der russischen Gasimporte einsparen. Sinnvoll sind auch autofreie Sonntage oder ein Tempolimit, auch wenn dieses nur zeitlich begrenzt ist. Und dann gibt es natürlich eine ganze Reihe von Maßnahmen, wie Fahrradwege verbessern, temporäre Radfahrstreifen – auch Pop-up-Bike-Lanes genannt – einführen und mehr. Allein im Mobilitätsbereich lassen sich 60 Prozent der russischen Ölimporte sofort kompensieren.

Dafür kommt jetzt ein Tankrabatt.


Ja, das ist das ungefähr Schlechtmöglichste, was man hätte machen können. Die Abhängigkeit von fossilen Treibstoffen bleibt bestehen, Mineralölfirmen werden weiter finanziert und dann ist es auch noch sozial ungerecht, weil die Wohlhabendsten, die mehr und schwerere Autos besitzen, am meisten vom Rabatt profitieren.

Ist es für Sie als Wissenschaftler frustrierend, an einem 1000-seitigen Bericht zu Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zu arbeiten und gleichzeitig zu sehen, dass die Politik noch zu wenig unternimmt?


Viele Maßnahmen müssten schneller implementiert werden, das stimmt. Bestimmte Maßnahmen brauchen aber auch ihre Zeit, um die volle Wirksamkeit entfalten zu können. Da hilft auch das Hadern wenig. Problematischer ist, wenn tatsächlich gleichzeitig Maßnahmen getroffen werden, die in die entgegengesetzte Richtung zielen wie dieser Tankrabatt. Frustrierend ist auch, dass die EU-Kommission den „Green Deal“, also die EU-Agrarreform, zum Teil aussetzt. Eigentlich sollten die EU-Länder ja ihren Pestizideinsatz bis 2030 um die Hälfte reduzieren und zusätzliche ökologische Flächen für den Naturschutz schaffen. Diese Maßnahmen werden jetzt auf Eis gelegt. Die Begründung ist, dass man die Ernährungssicherheit aufgrund des Ukraine-Kriegs sicherstellen will. Dass diese wichtigen Maßnahmen jetzt nicht umgesetzt werden, ist tatsächlich sehr enttäuschend.

Wenn wir jetzt konkret auf Berlin blicken. Was müsste Ihrer Meinung nach in Sachen Klimaschutz am besten sofort umgesetzt werden?


Städte können natürlich nur bestimmte Maßnahmen umsetzen. Vieles wird ja auch auf nationalstaatlicher Ebene geregelt. Zentral sind auf jeden Fall die beiden Aspekte: Mobilität und Gebäude. In beiden Bereichen hat der Senat auch einiges auf der Agenda. Viele verschiedene kleinteilige Bereiche werden auch angegangen. Was fehlt, sind aber vor allem die Maßnahmen im Mobilitätsbereich, die tatsächlich auch zu effektiven Reduktionen des motorisierten Nahverkehrs führen. Dazu gehört zum Beispiel eine stärkere Bepreisung von Parkraum, eine Innenstadtmaut oder ein Verbot von Diesel- und Verbrennungsmotoren bis 2030. Das wären zentrale Maßnahmen, die tatsächlich ziemlich viel bringen würden und derzeit noch nicht konsensfähig sind.

Sollte man nicht auch den Nahverkehr günstiger machen?


Wichtiger als die Kosten zu senken, ist es, die Qualität und Zuverlässigkeit des Nahverkehrs, insbesondere in den Außenbezirken, zu verbessern. Zentraler noch ist das Erhöhen der Kosten des Autoverkehrs. Sonst wird es keine relevante CO2-Reduktion geben.

Die Energiepreise steigen, Autofahren wird teurerDas kostet. Wie können sozial benachteiligte Menschen dabei berücksichtigt werden?


Die Maßnahmen müssen natürlich sozial abgewogen sein. Wir stehen vor steigenden Kosten und wir wollen, dass der fossile Anteil von Energiekosten auch steigt. Ärmere Haushalte müssen also einen größeren Teil ihres Einkommens für Energie ausgeben. Das ist ein Problem. Deswegen braucht es unbedingt einen sozialen Ausgleich, wie ein Klimageld. Also, dass es pro Kopf Zuschüsse gibt. Der soziale Ausgleich ist mittlerweile ein zentrales Element vom Klimaschutz geworden. Eine erfreuliche Erkenntnis, die wir in einer Studie gemacht haben, ist, dass viele Klimaschutzmaßnahmen auch unser Wohlbefinden stärken, also zu einem besseren Leben führen.

Inwiefern?


Wenn wir weniger im Auto sitzen und dafür mehr zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren, bewegen wir uns mehr. Das hat einen großen Effekt auf die Lebensqualität und unsere Lebenserwartung. Zentral ist da zum Beispiel auch der Fleischkonsum. Bei der Produktion von Tierprodukten fallen große Mengen an Treibhausgasen an. Das heißt: Weniger Fleischkonsum kann in Sachen Klimaschutz sehr viel bewirken. Gleichzeitig ist ein geringer Fleischkonsum auch besser für unsere Gesundheit. Das heißt übrigens nicht, dass es einen Verzicht geben muss. Es geht viel mehr darum, mehr pflanzenbasierte Angebote zu schaffen. Vegane Gerichte könnten zum Beispiel auf den Speisekarten zu Beginn stehen. Das ist der sogenannte Priming-Effekt. Das Gericht, das zuerst auf der Karte steht, wird öfter ausgewählt.

Aber solange Fleisch oft noch günstiger ist als die vegane Alternative, wird das auch nicht viel bringen, oder?


Da ist die politische Regulierung sehr zentral. Man könnte zum Beispiel den Stickstoffüberschuss besteuern, damit weniger gedüngt wird. Werden Felder zu stark gedüngt, belastet das Böden, Gewässer und eben auch das Klima. Stickstoffüberschüsse sind mit mehr als einem Drittel eine der größten Emissionsquellen der Landwirtschaft. Besteuern wir diese Überschüsse, hätte das bereits eine relevante Wirkung.

In einer ihrer Studien aus dem vergangenen Jahr haben sie herausgefunden, dass vor allem reichere Menschen den Erfolg von Klimaschutz beeinflussen. Wie kommt das?


Das liegt zum einen natürlich an ihrem Konsum. Aber auch an ihrem Einfluss, etwa als Rollenvorbild. Politiker:innen, wohlhabende Investor:innen, Stadtplaner:innen, Architekt:innen, Ingenieur:innen, Professor:innen – all diese Berufstätigen haben viel Einfluss in der Art und Weise, wie sie ihren Beruf ausüben und können allein dadurch viel verändern. Ein Beispiel: Architekt:innen können in Verbänden oder auf Tagungen über Klimaschutz sprechen, neue Standards setzen und so ein Vorbild in ihrer Branche sein. Kommunikation auf dieser Ebene ist sehr effektiv.

Sie arbeiten aktuell am fünften Kapitel des dritten Teils des neuen Weltklimaberichts mit. Da geht es auch um soziale Aspekte bei der Minderung des Klimaschutzes. Warum ist das so wichtig?


Es gibt da verschiedene Gründe. Aus dem Bericht kann ich hier nicht zitieren, aber aus der eigenen Forschung berichten. Eine zentrale Komponente ist, dass polarisierte oder ungleiche Gesellschaften weniger soziales Vertrauen und weniger Vertrauen in politische Institutionen haben und daher auch die Umsetzung von Klimaschutz schwieriger ist.

Also je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto weniger gelingt Klimaschutz?


Genau. Soziale Ungleichheit, etwa im Einkommen, aber auch die geschlechtsspezifische Ungleichheit sind nicht nur für sich ein Problem, sondern indirekt auch ein Problem für den Klimaschutz. Gleichheit und Gleichberechtigung schaffen hingegen mehr soziales Vertrauen und ermöglichen so auch der Politik im öffentlichen Interesse zu handeln und Maßnahmen wie Klimaschutz durchzuführen.

Welche Verantwortung trägt denn jeder Einzelne im Kampf gegen den Klimawandel?


Es gibt schon einiges, was der Einzelne tun kann, zum Beispiel, wie bereits erwähnt, ein Rollenvorbild zu sein. Bürger:innen können auf die Straße gehen, demonstrieren, politische Maßnahmen einfordern. Auch das ist wichtig. Generell halte ich von dem Fokus auf den Einzelnen allerdings sehr wenig.

Wieso?


Natürlich sind Lebensstil-Änderungen sinnvoll. Aber die können allein nicht vom Einzelnen kommen. Da sind politische Änderungen notwendig. So ist es zum Beispiel wichtig, dass wir unsere Gas- oder Stromabrechnung tagesaktuell oder monatsaktuell erhalten, damit wir schneller darauf reagieren und unseren Energieverbrauch optimieren können. Dafür müssen aber intelligente Stromzähler installiert werden. Das ist eine politische Maßnahme. Oder die Infrastrukturen: Wir brauchen mehr sichere Fahrradwege, mehr Angebote, damit wir vom Auto wegkommen, zum Beispiel durch Smart Shared Mobility, wie Sammeltaxen und flexible Mobilitätsangebote. Das geht alles mit Lebensstil und -wandel einher und wird am Ende aber politisch getrieben.

Wie optimistisch sind Sie, dass die Menschheit in den kommenden Jahren den Weg hin zur Klimaneutralität gehen wird?


Es gibt ein paar positive Bewegungen, zum Beispiel, dass die erneuerbaren Energien, vor allem Solar und Wind, viel kostengünstiger geworden sind. Wenn wir die Ausbau-Hemmnisse weiter abbauen, sind wir auf einem sehr guten Pfad. Die zweite positive Entwicklung sind die elektrischen Autos, die natürlich auch zum Klimaschutz beitragen. Und auch hier sehen wir am Markt, dass die E-Autos günstiger werden. Und dann gibt es noch die Wärmepumpen. Auch hier werden viel mehr in Häuser eingebaut. Sie sind eine zentrale Maßnahme im Häuserbereich. Das heißt: Es geht vieles in die richtige Richtung. Die Frage ist eben die der Geschwindigkeit. Und da geht es vor allem um Sachen wie Fachkräftemangel, etwa im Bereich Solarausbau. Das mag vielleicht erst mal sekundär klingen, ist aber entscheidend. Wir müssen mehr in die Ausbildung investieren, gerade im Hinblick auf Berufe im Bereich der erneuerbaren Energien.

Das Gespräch führte Elena Matera.

via www.berliner-zeitung.de