Vom Hörsaal in den Bundestag?
In gut vier Wochen wählen wir einen neuen Bundestag. Die erfolgreichen Kandidaten, die am 24. September ein Mandat gewinnen, werden erwartungsgemäß ein bisschen älter sein. Knapp 50 Jahre war der durchschnittliche MdB am Anfang der letzten Legislaturperiode. Und: Nur drei Prozent von ihnen waren 30 oder jünger.
Und doch gibt es da wieder eine handvoll Menschen, die sind noch sehr jung und kandidieren trotzdem. Meistens neben ihrem Studium. Um vielleicht vom Hörsaal in den Bundestag einzuziehen. Was wollen die für die junge Generation erreichen? Christian Erll hat mit zwei der studentischen Kandidaten gesprochen.
Ein sonniger Nachmittag in Neuwied-Engers in Rheinland-Pfalz. Martin Diedenhofen klingelt an Haustüren, stellt sich kurz vor, hinterlässt seine Flyer. Der 22-Jährige studiert Geschichte und Französisch auf Lehramt an der Universität Köln. Und will als Abgeordneter des Wahlkreises Neuwied in den Bundestag. Dafür müsste Diedenhofen das Direktmandat holen.
Bei Gesprächen mit potentiellen Wählern ist dabei sein Alter immer wieder Thema, sagt Diedenjofen: „Mein junges Alter spielt natürlich oft ne Rolle und dass ich noch im Studium bin. Da reagieren auf Anhieb würde ich sagen etwa 70 Prozent positiv, die sagen: ‚Ja, wir brauchen Nachwuchs für die Demokratie. Wir brauchen junge Leute, die auch verantwortliche Positionen anstreben.'“
Eine solche – verantwortliche – Position strebt auch die 25-jährige Ria Schröder an. Sie hat nach ihrem abgeschlossenen Juraexamen ein Kunstgeschichte-Studium an der Universität Hamburg begonnen und kandidiert für die FDP. Direkt in Eimsbüttel und auf einem wenig aussichtsreichen Listenplatz. Auch Schröder hat die Erfahrung gemacht, dass ihr junges Alter das Wahlpublikum gelegentlich verwirrt:
„Andererseits gibt es Leute, die eher denken ich wär vielleicht irgendwie die Praktikantin. Das gibt’s natürlich auch. Hängt sicher damit zusammen, dass sonst eben häufig ältere Menschen kandidieren. Und da ist das immer wieder nochmal ungewöhnlich.“
Die meiste Aufmerksamkeit, sagen Schröder UND Diedenhofen übereinstimmend, kommt von den jungen Wählern. Das ist auch nötig, denn bei denen ist die Wahlbeteiligung in den letzten Jahrzehnten stark gesunken. Nur wer die positiven Auswirkungen politischer Gestaltung spürt, interessiert sich auch dafür, meinen Schröder und Diedenhofen. Beide fordern deshalb eine Erhöhung des Bildungsetats. Und wollen beide das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern kippen, das in der Föderalismusreform 2006 ins Grundgesetz geschrieben wurde.
Diedenhofen formuliert das so: „Der Bund darf die Länder finanziell bei den Schulen beispielsweise nicht unterstützen. Und das ist ein Riesenproblem. Wenn man in die Länderhaushalte schaut, wenn man da schaut: „Wie wirkt sich die Schuldenbremse aus?“ Dann halten wir es für absolut richtig, dieses Kooperationsverbot aufzuheben. Und es dem Bund zu ermöglichen, die Länder finanziell zu unterstützen.“
Auch die Hochschulen will Diedenhofens SPD mit mehr Geld und Personal ausstatten und das Bafög erhöhen. Die Jungliberale Ria Schröder fordert, besonders die Infrastruktur zu verbessern. Außerdem sollen sich auch die staatlichen Hochschulen flexibel finanzieren können:
„Das bringt uns ja nichts, wenn die Hochschulen alle kostenlos sind und dafür regnet’s rein und die Hörsäle sind überfüllt. Die Hochschulen müssen vor allem gute Qualität liefern und dafür müssen sie durchfinanziert sein. Welche Wege man dafür geht? Da setze ich eben auf die Hochschulautonomie und möchte denen die Möglichkeit geben, Studiengebühren zu erheben. Aber eben nachgelagert.“
Dass es Ria Schröder am 24. September für die FDP in den Bundestag schafft ist sehr unwahrscheinlich. Diedenhofen hat bessere Chancen, müsste aber seinem Gegner, dem aktuellen MdB Erwin Rüddel von der CDU, ebenfalls noch einige Prozente bei den Erststimmen abringen. Darauf vorbereitet ist er, seitdem er erfuhr, dass seine Familie und Freunde seine Kandidatur unterstützen:
„Nachdem das positiv abgeklärt war, hab ich mich mit der Studienberatung auseinander gesetzt und hab für mich persönlich sichergestellt, dass ich mein Studium trotz und während eines eventuellen Mandats erfolgreich beenden kann.“
Diedenhofen plant allerdings für diesen Fall ein, dass sein Studium einige Semester länger dauern wird. Ria Schröder würde die letzten Semester ihres Kunstgeschichte-Studiums wahrscheinlich als Fernstudium weiterführen. Das juristische Referendariat, das sie nach dem Abschluss ihres Zweitstudiums absolvieren möchte, müsste sie verschieben. Aber ohnehin hat sie sich vorgenommen, nicht ewig an ihrem blauen Sessel zu kleben, sondern rechtzeitig wieder Platz für junge Abgeordnete zu machen:
„Das ist so ne Mentalität, die’s in Deutschland gar nicht so sehr gibt. Dass man irgendwann sagt: Ich hab jetzt nicht mehr viel zu sagen. Ich hab keine neuen Ideen mehr, ich bin irgendwie gesättigt und hier in diesem Laden angekommen. Ich mach jetzt mal Platz für jemanden, der vielleicht wieder frische Ideen reinbringt. Das ist eine Mentalität, die würde ich mir stärker wünschen.“
(C) Christian Erll | Deutschlandfunk 2017