Verseucht
Rechte Gruppierungen erhoffen sich von der Corona-Krise neuen Auftrieb und bieten bundesweit verschiedene Hilfsangebote an. Die Absichten sind leicht erkennbar. Von Madeleine Londene Babykleidung und Decken, Bücher und Spielzeug liegen auf einem Biertisch verstreut. Drei Jugendliche mit roten Mützen verteilen Flugblätter, bieten Passanten Kekse und Tee an.
Rechte Gruppierungen erhoffen sich von der Corona-Krise neuen Auftrieb und bieten bundesweit verschiedene Hilfsangebote an. Die Absichten sind leicht erkennbar.
Babykleidung und Decken, Bücher und Spielzeug liegen auf einem Biertisch verstreut. Drei Jugendliche mit roten Mützen verteilen Flugblätter, bieten Passanten Kekse und Tee an. Fußgängerzone im hessischen Wetzlar: Der youtube-Film zeigt einen jungen Mann: „Ich stehe heute mit meinen Kollegen hier in Wetzlar, Hessen, und verteile Kleidung an bedürftige Deutsche. Für die fleißige Mutter gibt’s natürlich auch was“ sagt er.
„Jugend packt an: Du – Ich – Wir“, steht auf einem Banner, das über den Tisch gespannt ist. Und wer näher tritt, erfährt, was die jungen Leute vorhaben: Sozial Schwachen wollen sie unter die Arme greifen. Wollen Einkaufsdienste und Medikamentenlieferungen für Senioren übernehmen, die durch das Corona-Virus nicht aus dem Haus können. Außerdem: Müllsammelaktionen, Unkrautzupfen, Möbelstreichen. Hauptsache der Hilfsbedürftige ist Deutsch.
Auf dem ersten Blick sieht das aus wie uneigennützige Nachbarschaftshilfe. Tatsächlich steckt dahinter die rechtsextreme NPD.
Auf der Facebook-Seite von „Jugend packt an“ finden sich Aussagen wie: „Zuerst das eigene Volk“ und „Nur für Deutsche alles kostenlos“.
Es sei eine altbekannte Taktik der Rechten, die Hilflosigkeit der Menschen für sich ausnutzen, sagt Andreas Zick. Er ist Soziologe und forscht zu Rechtsextremismus an der Uni Bielefeld. Rechte Gruppierungen sehen die Krisensituation als Chance, um sich als „Wohltäter und Kümmerer“ darzustellen, sagt er.
Oder, in den Worten der jungen Rechtsextremen: „Nationale Solidarität in Krisenzeiten“.
Die Jungen Nationaldemokraten sind nicht die einzigen aus dem rechtsextremen Lager, die sich jetzt als „Gutmenschen“ inszenieren. Man wolle zeige, „ dass wir Patrioten immer wieder Verantwortung für unsere Gesellschaft tragen“, twitterte kürzlich der rechtsextreme Verein „Ein Prozent“. Das Netzwerk, bestehend aus äußerst rechten Aktivisten und Politikern, verkauft sich als „Bürgerinitiative“. Mittlerweile zäht sie 48.000 Unterstützer.
In Bielefeld warfen Rechtsradikale Flugblätter in die Briefkästen, mit dem Hinweis: „Danke Corona, Sie kommen! Asylanten, Flüchtlinge, Migranten, Muslime und Nigger in den Ofen“.
„Hilfe“ in der Landwirtschaft
Der III. Weg, eine rechtsextreme Kleinstpartei, bietet seit Neuestem ihre Dienste bei der Spargelernte in Südhessen an. Auch im südlichen Bayern stehen Parteimitglieder für die Nachbarschaftshilfe bereit – es reicht, eine kurze WhatsApp zu schicken.
Auch die AfD zieht eine Lehre, nachdem sie zunächst die Folgen der Pandemie herunterspielte. Nun schwenkt sie um Richtung Hilfsbereitschaft und Solidarität: „Wir wissen, wo es noch genug Ware gibt. Sie haben es nicht verdient, jetzt lange in der Schlange zu stehen“, behauptet der Afd Stadtrat Dubravo Mandic aus Freiburg – #buildVolksgeist.
Der NPD Kreisverband Vorpommern Rügen liefert mit einer Selbsthilfeanleitung patriotische Rezepte aus der Corona-Krise und rät: „Verbringen Sie Ihren Urlaub in Deutschland. Essen Sie in deutschen Restaurants. Kaufen Sie regional ein. Unterstützen Sie die heimische Landwirtschaft. „
Auf den ersten Blick keine verwerflichen Ratschläge. Wer nicht hinter die Fassade schaut, könnte glauben, den Rechten läge auf einmal Umweltschutz und das Überleben der Kleinbauern am Herzen. Dabei geht es auch hier nur um das Verbreiten rechtsextremen Gedankenguts. Es versteckt sich nur unter einem sprachlichen Deckmantel.
Extremismusforscher Andreas Zick erklärt: Die Corona-Pandemie löst tiefsitzende Ängste aus, die Menschen erleben einen Kontrollverlust. Der Populismus und der Extremismus ernähren sich von eben diesen Gefühlen. Sie nutzen die Verunsicherung, um die Bevölkerung für ihre ideologische Position zu gewinnen – und zu radikalisieren.
Der Virus mache es rechten Gruppen noch aus einem anderen Grund einfach: Wissenschaftliche Fakten sind abstrakt und für viele schwer zu verstehen. Doch die Extremisten kommen mit simplen Erklärungen daher.
Stephan Brandner aus dem AfD Bundesvorstand kritisiert, dass es jahrelang nicht möglich gewesen sei, die deutschen Grenzen zu schließen. Aufgrund von Corona funktioniere es plötzlich problemlos.
Zick ist überzeugt, dass angesichts der nationalen Grenzschließung rechte Gruppierungen einfacher ihr Konzept verbreiten können: „Die Rechten brauchen ihre Feindbilder, denen sie die Verantwortung für Chaos, Untergang und Bedrohung der Nation geben.“
Das wahre Virus heiße nicht Corona, sondern Globalisierung, so der Identitäre Martin Sellner. Schuld an der Pandemie hat die schöne, neue und grenzenlose Welt, deren Zugang für die Elite reserviert ist. Das Gegenmittel seien Heimat und der souveräne Nationalstaat.
Noch eine Spur abgedrehter sind Stimmen aus dem antisemitischen rechten Lager: „Mit Corona haben die Juden einen genial-teuflischen Plan ersponnen“, schreibt Henry Hafenmayer, Autor der rechtsideologischen Website Ende der Lüge, der auf seinem Profilbild vor dem KZ in Ausschwitz steht.
Andreas Zick warnt vor Gefahren, die sich durch eine langfristigen häusliche Isolation ergeben könnten. In der Krise sieht er allerdings auch eine große Chance für die Stärkung der Demokratie: „Die sollten wir nutzen, denn nach der Krise werden die Konflikte nicht geringer. Minderheiten sind in der Regel noch stärker menschenfeindlichen Tendenzen ausgesetzt.“
via vid-magazin.de