Lena Baeunker

Umweltschutz: „Die Nordsee soll mitentscheiden können“

Mit der Salzwasserlagune Mar Menor in Spanien erhält ein Ökosystem den Rechtsstatus einer Person. Damit dürfen Bürgerinnen und Bürger klagen, wenn sie die Rechte der Lagune verletzt sehen. Der Gesetzesvorschlag dazu stammte von einer Bürgerinitiative. Ließen sich auch andere gefährdete Ökosysteme nach dem spanischen Vorbild schützen?

Mit der Salzwasserlagune Mar Menor in Spanien erhält ein Ökosystem den Rechtsstatus einer Person. Damit dürfen Bürgerinnen und Bürger klagen, wenn sie die Rechte der Lagune verletzt sehen. Der Gesetzesvorschlag dazu stammte von einer Bürgerinitiative.

Ließen sich auch andere gefährdete Ökosysteme nach dem spanischen Vorbild schützen? Dafür setzen sich Aktivistinnen und Aktivisten in vielen Ländern ein. In Den Haag etwa fordert die Embassy of the North Sea, Botschaft der Nordsee, Rechte für das Meer. Denn auch die Nordsee ist bedroht: Auf ihrem Boden liegen Schätzungen zufolge rund 600.000 Kubikmeter Müll. Mit dem Klimawandel steigt nicht nur die Wassertemperatur, sondern auch der Salzgehalt, Pflanzen und Tiere sind gefährdet.

Laura Burgers, niederländische Rechtswissenschaftlerin und UN-Expertin für die Rechte der Natur, berät die Initiative.

ZEIT ONLINE: In wird die Salzwasserlagune Mar Menor nun also tatsächlich zur juristischen Person. Was bedeutet das für andere Initiativen zum Schutz der Natur?

Laura Burgers: Der Fall zeigt, dass Naturrechte in nicht undenkbar sind. Dass nun erstmals eine Natureinheit in Europa Rechte hat, ist vielversprechend. Weltweit gibt es rund 400 weitere Initiativen, die sich dafür einsetzen, dass Einheiten der Natur zu juristischen Personen werden. Im Rechtswesen bezeichnen wir das als transnationale Bewegung: An vielen verschiedenen Orten geschieht etwas Ähnliches.

ZEIT ONLINE: Auch die Embassy of the North Sea will die bis 2030 zu einer eigenständigen politischen Akteurin machen. Trotz des Beispiels aus Spanien klingt das recht bürokratisch und auch ein bisschen absurd. Worum geht es genau?

Burgers: Die Arbeit der Embassy basiert auf der Idee, dass die Nordsee kein Objekt ist, über das die Menschen bestimmen können. Sondern ein Subjekt: Sie sollte mitentscheiden können, ob Fischerei begrenzt wird, ob weitere Windparks gebaut oder wie fossile Brennstoffe abgebaut werden.

Laura Burgers

Laura Burgers arbeitet als Assistenzprofessorin am Amsterdamer Zentrum für transformatives Privatrecht (ACT). Dort beschäftigt sie sich mit Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel, den Rechten künftiger Generationen und den Rechten der Natur. Burgers ist eine der Expertinnen im UN-Netzwerk Harmony with Nature und berät die Embassy of the North Sea in Rechtsfragen.

ZEIT ONLINE: Aber wie soll das Meer Entscheidungen treffen?

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Burgers: Eine Möglichkeit wäre, wie der Lagune auch der Nordsee eigene Rechte zu geben. Damit wird sie automatisch zu einem Rechtssubjekt, also einer Person vor dem Gesetz. Das hat einen großen Vorteil: Die Nordsee könnte dann vor Gericht ihre eigenen Rechte geltend machen – natürlich ebenfalls mithilfe von Vertreterinnen.

ZEIT ONLINE: Aber Menschen können doch jetzt schon vor Gericht gehen, um die Natur zu schützen. Niederländische Umweltschutzverbände haben im vergangenen Jahr Shell verklagt. Der Konzern muss seinen CO2-Ausstoß nun um 45 Prozent verringern.

Burgers: Nach niederländischem Zivilrecht können NGOs, die sich offiziell zum Schutz der Natur bekennen und nachweislich Maßnahmen zum Naturschutz ergreifen, in Umweltangelegenheiten klagen. Die NGOs müssen dafür nachweisen, dass der Beklagte gegen das geltende Gesetz verstoßen hat. Doch da die Natur, beispielsweise ein Baum, bisher keine Rechte hat, ist es sehr schwierig, eine Genehmigung zur Fällung eines Baumes anzufechten. Es sei denn, der betreffende Baum hat Denkmalstatus. Würden Sie als Privatperson versuchen, zu klagen, würde das Gericht Sie nur dann als Klägerin zulassen, wenn auch Ihre eigenen Rechte verletzt werden. Zum Beispiel Ihr Recht auf saubere Luft. Die Verletzung der Natur allein reicht bisher nicht aus. Erst wenn die Natur Rechte bekommt, ändert sich das.

ZEIT ONLINE: Also sind die Rechte der Natur effektiver als bereits bestehende Umweltschutzgesetze?

Burgers: Es bleibt abzuwarten, wie wirksam die Rechte der Natur sind. Hier treffen wir auf ähnliche Herausforderungen wie im Umweltrecht: Industrielobbys, Machtungleichgewichte zugunsten großer Unternehmen, begrenzte öffentliche Mittel, Korruption und so weiter. Eines ist jedoch sicher: Die Rechte der Natur sind weniger anthropozentrisch als Umweltschutzgesetze. Sie schützen die Natur um der Natur willen und nicht um des Menschen willen. Das macht einen großen Unterschied: Für viele Menschen sind 1,5 Grad Erderwärmung zum Beispiel noch nicht lebensbedrohlich, für Korallenriffe hingegen schon. Daher funktioniert das im Pariser Abkommen verankerte Ziel zwar für viele Menschen, aber nicht aus der Perspektive der Rechte eines Korallenriffs.

ZEIT ONLINE: Unternehmen, Gemeinden, Stiftungen, Kirchen und Staaten gelten in vielen Ländern bereits als juristische Personen. Menschen können in ihrem Namen vor Gericht gehen und klagen, um ihre Rechte durchzusetzen. Warum die Natur nicht?

Burgers: Kolonialismus und Imperialismus haben dafür gesorgt, dass Rechtssysteme in aller Welt stark von westlichen Philosophien geprägt sind. Sie gehen davon aus, dass Rechte nur rationalen Wesen zustehen können. Und als rational gilt nur, wer sprechen kann. Die Natur wird hingegen als ein Objekt oder eine Ware betrachtet, die wir bezwingen, nutzen, ausbeuten, kaufen und verkaufen können.

Tierrechtlerinnen und Tierrechtler stellen das schon lange infrage. Die Bewegung für die Rechte der Natur geht noch einen Schritt weiter, indem sie auch Wäldern, Bäumen, Bergen, Flüssen und Meeren Rechte zuschreibt. Dem liegt eine ganz andere Weltanschauung zugrunde: Wir stehen nicht über der Natur, sondern sind untrennbar mit ihr verbunden.

ZEIT ONLINE: Inwiefern behandeln wir auch die Nordsee als Objekt oder Ware?

Burgers: Die Beziehung zwischen Mensch und Nordsee ist sehr interessant. In den Niederlanden beruht sie seit Ewigkeiten auf Widerstand. Wir haben extrem starke Wasserwerke gebaut, um das Meer fernzuhalten. Gleichzeitig nutzen politische Entscheidungsträger das Meer hauptsächlich für industrielle Zwecke. Durch den Abbau fossiler Brennstoffe, Transport, Fischerei und Windparks steht es zunehmend unter Druck – und der Meeresspiegel steigt. Das bedroht das Land. Niederländische Klimawissenschaftlerinnen raten sogar dazu, in Schulen verstärkt Deutsch zu unterrichten, weil es sehr wahrscheinlich ist, dass wir eines Tages gen Osten fliehen müssen. Doch die Nordsee ist so viel mehr als eine Bedrohung oder ein Ort für Industrie. Es ist an der Zeit, dass wir unsere Beziehung zu ihr überdenken.

via www.zeit.de