article | Peggy Lohse

Ukraine: Partnerschaftsgesetz unter Zeitdruck

Queere Paare im Krieg brauchen rechtliche Anerkennung als Familien. Ein Gesetzentwurf kann die eingetragenen Partnerschaft ermöglichen - wenn er bis Jahresende verabschiedet wird.

In der Ukraine könnten queere Beziehungen heterosexuellen gleichgestellt werden.

In der Ukraine ist ein Gesetzentwurf auf dem Weg zur Abstimmung ins Parlament, der nicht heterosexuelle Paare als Familien akzeptiert und den Partner*innen soziale Rechte einräumt, die besonders in Kriegszeiten relevant sind: Wer wird über Verwundung oder Tod informiert? Wer darf ans Krankenbett? Wer darf beerdigen? Wer bekommt im Todesfall staatliche Finanzhilfen? Diese Rechte besitzen Familienangehörige, Verwandte ersten Grades und Eheleute. Queere Paare nicht.

Das soll sich ändern: Seit März 2023 liegt ein Gesetzentwurf für die eingetragene Partnerschaft vor, eingereicht von Inna Sowsun, Abgeordnete der liberaldemokratischen Partei Holos (Stimme). Die Ehe auszuweiten, wie es 2022 eine Online-Petition forderte, ist aktuell nicht möglich: Sie steht als freiwillige Verbindung von Mann und Frau in Artikel 51 der ukrainischen Verfassung, und diese kann während des Kriegszustandes nicht verändert werden.

Die Zeit drängt

Es bleibt die Partnerschaft. Das Problem: Wenn das Gesetz nicht bis Ende Dezember 2023 verabschiedet wird, ist seine Umsetzung in Gefahr, erläutert Tetiana Kasian, Autorin, Aktivistin und Geschäftsführerin der NGO Fulcrum UA. Die Organisation begleitet seit Jahren zivilgesellschaftliche Initiativen für Gleichberechtigung und Toleranz und berät die Politik. In ihrem Umfeld entwickelte sich auch die Initiative der LGBT-Militärs.

Kurzer Rückblick: Nach Euromaidan und Beginn der russischen Aggression im Osten der Ukraine, verabschiedete die ukrainische Regierung 2015 eine nationale Menschenrechtsstrategie, in der ein anerkannter Beziehungsstatus für LGBTQ-Paare vorgesehen ist. Dieses Strategiepapier gilt jeweils für vier Jahre, wurde 2019 verlängert.

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 sorgt einerseits die sichtbare Beteiligung queerer Soldat*innen im Verteidigungskampf an der Front und andererseits die extrem menschenfeindliche russische Propaganda für wachsende Akzeptanz gegenüber LGBTQ in der breiten Bevölkerung. Das bestätigen regelmäßige Studien des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS). Laut der letzten Veröffentlichung im Juni stehen 61 Prozent der Ukrainer*innen LGBT positiv oder gleichgültig gegenüber. Das sind drei Prozent mehr als im Jahr 2022.

Queere Menschen wollen gleiche Rechte wie Heterosexuelle

Indes werden queere Stimmen lauter, die nicht über verschollene, verschleppte, verwundete oder getötete Partner*innen informiert werden, weil sie offiziell nicht als Angehörige gelten. Es kommt Bewegung in die Arbeit am Gesetz für die eingetragene Lebenspartnerschaft. Der Entwurf regelt Rechte und Pflichten zwischen dem Paar und dem Staat, nicht mehr. Keine Adoption, beispielsweise. Stattdessen, dass Verpartnerte einander auf der Intensivstation besuchen, im Ernstfall beerdigen und gemeinsam ein Familiengrab anlegen dürfen. Aufgrund der Kriegsrealität ist festgehalten, dass für eingetragene Partner*innen von Soldat*innen dasselbe gilt wie für andere Militärfamilien: Recht auf Beteiligung bei der Suche nach Vermissten, Recht auf gemeinsamen Urlaub, Recht auf Finanzhilfen.

Vereinzelt schimpfen rechtsextreme Blogger, konservative Provinzstadträte und vor allem die orthodoxe Kirche auf die Partnerschaft. Indes unterzeichneten 44 Initiativen und mehr als 25 000 Personen eine Extra-Petition. Zusätzlich kam Rückenwind aus Straßburg: Dort gab der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem ukrainischen Paar Andrij Majmulachin und Andrij Markiw recht, die bereits Ende 2014 gegen die Ukraine geklagt hatten, weil die fehlende Option einer Verpartnerung die Betroffenen als Personen und Familie diskriminiere und das wiederum gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße. Das Gericht stimmte dem zu und erinnerte in seiner Urteilsbegründung auch an die Bewerbung der Ukraine für die EU-Mitgliedschaft.

Gesetz wichtig für europäische Integration

Nun braucht das Partnerschaftsgesetz mehr Tempo. Aktuell fehlt ihm für die Abstimmung in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, die Billigung des Hauptausschusses. Vier von 13 Ausschüssen haben es genehmigt, der Wichtigste fehlt. Indes habe, so Kasian, noch das Justizministerium angekündigt, selbst einen Entwurf verfassen zu wollen.

„Aber wir haben nur jetzt dieses Fenster der Möglichkeiten“, sagt Kasian. Das Gesetz gehöre zu den Zielen der nationalen Menschenrechtsstrategie, die Ende Dezember ausläuft. Wenn der Entwurf bis dahin nicht verabschiedet sei, sei unklar, ob es überhaupt noch komme. Dann müsste erst das Strategiepapier aktualisiert werden, dann der Gesetzestext angepasst. „Das kann sich wieder hinziehen, wir warten jetzt schon acht Jahre“, sorgt sich Kasian.

Die nächsten vier Monate sind also entscheidend. „Wir wollen ja nicht nur in die EU, sondern uns weiter im europäischen Raum integrieren“, so Kasian. „Und da zählen auch LGBTQ-Rechte.“

via www.nd-aktuell.de