column | Peggy Lohse

taz-kolumne: grenzwertig

Die deutsch-polnische Grenzregion Frankfurt (Oder) ist eine Gegend voller Widersprüchlichkeiten. Das „Wir" ihrer Be­woh­ne­r*in­nen ist so divers wie das in Berlin. Eine Kolumne von jenseits des Speckgürtels.

Die deutsch-polnische Grenzregion Frankfurt (Oder) ist eine Gegend voller Widersprüchlichkeiten. Das „Wir“ ihrer Be­woh­ne­r*in­nen ist so divers wie das in Berlin. Eine Kolumne von jenseits des Speckgürtels.

Mehr Einwohner, aber doch nicht die?! (06/23)
Frankfurt Oder wirbt für Zuzug, tut sich mit nicht-deutscher Migration jedoch schwer. Unsere Kolumnistin fragt sich: „Können oder wollen wir nicht?“
(…) Neben der Forderung nach strengerem Rechtsstaat könnte locker auch die nach schnellerer Arbeitserlaubnis stehen. 

Was soll die Region unter Arbeitskräftemangel leiden, während Geflüchtete gefrustet in Deutschkursen sitzen, weil sie erst ab Abitur-Sprachniveau arbeiten dürfen? Das ärgert schon jetzt Bekannte aus der Ukraine wie aus Afghanistan. Wo sind die flexiblen Betriebe, die halbtags anstellen, damit Mitarbeitende ausbildungs- oder berufsbegleitend ihr Deutsch vollenden können? Oder die teils auf Englisch arbeiten? Wäre doch in aller Interesse.

Wieder die Frage: Können oder wollen wir nicht? (…)

Draußen Paradies, drinnen Hölle (05/23)

Die Radl-Saison ist eröffnet. Blühende Bäume, bunte Blumen und farbenfrohe Trikots auf Tourenrädern und E-Bikes zeigen bei uns in Ostbrandenburg den Frühling an. Brandenburg ist Radlland und Radverkehr wichtig für den Tourismus. Wirklich erfahrenswerte Trassen führen von See zu See, zwischen Oder und Spree. (…)

Diese touristische Radinfrastruktur ist auch dringend nötig − für uns Alltagsradelnde. Als Ausfahrt vom täglichen Stadtverkehr. Denn hier wird das Rad noch kaum mitgedacht. Die Message: Radle, wenn du dich traust, und dort, wo’s nicht stört! …

Ukrainisches am Fluss (03/23)

Immer noch ziehen jede Woche Menschen mit Russland-Flaggen bei den sogenannten „Montagsdemos“ in Frankfurt (Oder) durch die Stadt. Je kleiner, desto radikaler. Ende Februar kam es bei einer Aktion zum Jahrestag des russischen Angriffs zu Ausschreitungen: Gegendemonstrierende, die sich in Gedenken der ukrainischen Kriegsopfer vor den Umzug auf die Straße legten, wurden von Demo-Ordnern angegriffen, weggeschleift, weggeschubst. Videos zeigen sie aus verschiedenen Perspektiven: Gewaltausbrüche, die das junge Ukraine-Netz in der Stadt einschüchtern wollen. Am Tag zuvor waren nämlich Hunderte Menschen in Solidarität mit der Ukraine durch die Doppelstadt gelaufen.

Also schauen wir uns mal an: Welche Rolle spielen Ukraine und Ukrai­ne­r*in­nen jetzt im Alltag der ostbrandenburgischen Kleinstadt? …

Die Grenze, wie sie ist (02/23)
Ich lese und höre sie gern, diese romantische Erzählung hier im deutsch-polnischen Grenzgebiet von der „Grenze, die keine mehr ist“, dem „bez granic“/„ohne Grenzen“ wie im Doppelstadtlogo und Veranstaltungskalender für Frankfurt (Oder) und Słubice. Sie steht für die jahrzehntelangen Nachkriegsversöhnungsbemühungen und den Traum von überwundenem Nationalismus und abgeschafften Ungerechtigkeiten aufgrund von Herkunft. Dennoch ist sie aus vielen Perspektiven falsch. Hier eine Auswahl. …

Kommt raus, ihr Glücklichen! (01/23)

Brandenburg ist das glücklichste Bundesland in Ostdeutschland, bundesweit auf Platz fünf. Das sagt der Glücksatlas 2022, erstellt von der Uni Freiburg. Mein erster Gedanke dazu: ausdrucken und als Poster wild plakatieren! Damit das alle erfahren, die mir hier in Frankfurt an der Oder oft so unglücklich vorkommen.

Zweiter Reflex: das Glück suchen. Ich bummle durch die Stadt, spaziere am Grenzstrom, fahre Tram, Bus und Bahn, plaudere mit Menschen. Die Stimmung ist: „Könnte besser sein, aber geht schon.“ Ist das schon Glück, wenn’s nicht beschissen ist? …

Fahrplanwechsel in BrandenburgDen Speckgürtel weiter schnallen (12/22)

Juhu! Der 11. Dezember, der Tag des Fahrplanwechsels im Bahnverkehr, war ein großer Tag für Ostbrandenburg – das ist diese weite Fläche mit Kiefernwäldern und Anger-Dörfern von hinterm Ostkreuz bis nach Polen. Von dort schreibe ich euch jetzt jeden Monat. Aus dem kleineren Frankfurt an der Oder, an der Grenze zum polnischen Słubice rufe ich euch zu: Lasst uns den Speckgürtel nicht enger, sondern weiter schnallen.

Wir sind hier jetzt fast Vorort von Berlin, seit dem Fahrplanwechsel. Zu den Hauptverkehrszeiten sollen alle 20 Minuten Züge bis in die Hauptstadt Berlin fahren statt im bisherigen Halbe-Stunde-Takt. Ost-Frankfurt wird also praktisch das neue Erkner.

Zumindest ist das die Theorie …

via taz.de