feature | Benedikt Scherm

Nicht die Regel

"Stellen Sie sich nicht so an, Regelschmerzen hat jede Frau". Diesen Satz hat Jessica Bäumler in den vergangenen Jahren hassen gelernt. Das erste Mal bekam sie ihn von ihrem Frauenarzt gesagt, fünf weitere Ärzt*innen sollten mit diesem oder ähnlichen Ratschlägen folgen. Dabei will sie nur wissen, was los ist.

Eine von zehn Frauen in Deutschland leidet an Endometriose – doch über die Krankheit ist erschreckend wenig bekannt. Eine Spurensuche.

„Stellen Sie sich nicht so an, Regelschmerzen hat jede Frau“. Diesen Satz hat Jessica Bäumler in den vergangenen Jahren hassen gelernt. Das erste Mal bekam sie ihn von ihrem Frauenarzt gesagt, fünf weitere Ärzt*innen sollten mit diesem oder ähnlichen Ratschlägen folgen. Dabei will sie nur wissen, was los ist. Warum die ausgebildete Fotografin während ihrer Periode teilweise eine ganze Woche lang nicht arbeiten kann. Warum die Schmerzen bis in den Rücken reichen. Warum sie nur mit Abführmitteln normal auf Toilette gehen kann. Im Kontrast zu ihren rot gefärbten Haaren und dem bunten Tattoo auf dem Oberarm trägt sie heute ein graues Pink-Floyd-Shirt und eine schwarze, enge Jeans. Vor ein paar Monaten noch undenkbar: „Ich hab meinen kompletten Kleiderschrank umgekrempelt, auf Stoffhosen, Schwangerschaftsjeans, teilweise Leggings, weil der Blähbauch immer da war“, erzählt die 24-Jährige.

Will man verstehen, was hinter diesem Namen steht, hilft ein Anruf in Berlin. Sylvia Mechsner leitet dort das Zentrum für Endometriose und forscht seit knapp 20 Jahren zu der Krankheit. „Endometriose beschreibt das Vorkommen von Gebärmutterschleimhaut-ähnlichem Gewebe außerhalb der Gebärmutter“, erklärt sie. Häufig befinden sich diese verschleppten Zellen im Bauchraum, aber auch an Darm, Eierstöcken oder Blase können sich Endometriose-Herde bilden. Man müsse sich die Herde vorstellen wie „Mini-Uteri“, die, wie der normale Uterus auch, zyklisch bluten. Und genau das sorgt dann für enorme Schmerzen, unter denen Betroffene wie Jessica Bäumler leiden.

Dabei ist der Ort, an dem sich diese Herde bilden, genauso unterschiedlich wie die Art der Beschwerden. Diese reichen von Schmerzen beim Stuhlgang, Wasserlassen und Geschlechtsverkehr bis hin zur Unfruchtbarkeit. Doch klar ist auch: „Es müssen nicht alle Frauen so starke Schmerzen haben, man kann auch Endometriose haben und wenig Beschwerden. Aber die, die so starke Schmerzen haben, sollten das auf jeden Fall abklären“, rät die Expertin. Vollständig entfernt werden können diese Herde selten, Endometriose ist chronisch, auch nach mehreren Operationen sind oft noch Schmerzen da.

Doch nicht nur Betroffene, sondern auch Frauenärzt*innen oder Gynäkolog*innen wissen oft zu wenig über das Thema. Mechsner kennt das Problem: „Endometriose? Da hab ich damals, 2001, in mein Buch geschaut und gedacht ‚Hä, Gebärmutterschleimhaut irgendwie, ja was soll das sein, das interessiert doch keinen Menschen'“.

Heute weiß Sylvia Mechsner, dass Endometriose sehr wohl Menschen interessiert und vor allem auch betrifft. In Deutschland erkranken 30.000 – 40.000 Menschen jedes Jahr an der Krankheit, rund zehn Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter sind betroffen, am Endometriosezentrum der Uniklinik Erlangen spricht man von vier bis 30 Prozent. Bei Frauen, die Probleme damit haben, schwanger zu werden, liegt der Anteil noch deutlich höher.

Bis zur diagnostizierten Endometriose kann es allerdings dauern, in Fachkreisen ist die Rede von sieben bis zehn Jahren, die vom Auftreten erster Symptome bis hin zur Diagnosestellung vergehen.

Tabuthema Periode

Doch das Problem liegt nicht nur auf medizinischer Seite, auch gesellschaftlich ist das Wissen über Endometriose, gelinde gesagt, ausbaufähig. „Ich finde, das Thema Periode ist noch ein wahnsinnig großes Tabuthema in unserer Zeit und ich glaube, dass es daran liegt, dass viele Frauen nicht so stark sind und darüber reden können, so wie ich es jetzt kann“, sagt Jessica Bäumler.

Doch es tut sich was, denn in Leipzig klingelt im Moment häufig das Telefon von Anja Moritz und ihren Kolleginnen. Moritz leitet die Geschäftsstelle der Endometriose-Vereinigung in Deutschland und freut sich gerade über steigende Aufmerksamkeit für die Krankheit. Mit ihrer telefonischen Beratung ist die Vereinigung seit 1996 die erste Anlaufstelle für Betroffene und informiert von der Diagnostik über Behandlungsmöglichkeiten bis hin zu Rehakliniken. Die Wartezeit für einen Beratungstermin habe sich inzwischen auf etwa fünf Wochen verdoppelt.

Von GNTM zur Aktivistin

Das wohl prominenteste Mitglied der Endometriose-Vereinigung heißt Anna Wilken. Die 24-Jährige nahm 2014 an der neunten Staffel von Germany’s Next Topmodel teil und ist seitdem als Model und Influencerin erfolgreich. Knapp 300 000 Menschen folgen Wilken auf Instagram, wo sie ihre Erkrankung öffentlich macht und immer wieder thematisiert. Sogar ein Buch über das Thema veröffentlicht sie 2019. Für Moritz ein Glücksfall: „Mit ihrer Art und persönlichen Geschichte transportiert sie das Thema ganz anders und hat natürlich auch auf sehr, sehr junge Frauen einen großen Einfluss“.

Auch Sylvia Mechsner sieht die Dringlichkeit zur Aufklärung über Endometriose bei jungen Mädchen: „Es ist oft so, dass das von der Gesellschaft erstmal heruntergespielt wird, auch von der Familie. Die Mutter sagt ‚Ah, das ist nicht so schlimm, da musst du durch‘, die Lehrer sagen ‚Na, wo gibt’s denn sowas, du hast nur kein Bock Sport mitzumachen‘. Und dann gewöhnen sich Mädchen daran und denken, das ist normal.“

„Hört doch den Frauen zu!“

Für Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte ist das Problem jedoch komplexer. Denn die einzige Möglichkeit zur zuverlässigen Diagnose sei eine Bauchspiegelung, im Ultraschall sind die Herde oft nicht sichtbar. Vorab müssen alle anderen Ursachen ausgeschlossen werden, erklärt Albring. Endometriose-Symptome sind jedoch „unspezifisch und können auch bei vielen anderen Erkrankungen auftreten.“ Suchen Frauen dann einen Hausarzt oder Internisten auf, „wird es noch schwieriger“. Sylvia Mechsner weiß um die Problematik der Diagnose und appelliert deswegen: „Hört doch denn Frauen zu! Ob jetzt Endometriose sichtbar ist oder nicht, sie haben doch die Beschwerden und müssen dann auch entsprechend beraten werden.“

Für das Zuhören und ein ausführliches Gespräch, wie es Jessica Bäumler schließlich bekommen hat, fehlt in vielen Arztpraxen jedoch die Zeit. Und auch das Geld, denn die Gespräche werden von den Krankenkassen nicht bezahlt.

Tragen Frauenärzte die Beschwerden nämlich nicht als „Endometriose“, sondern beispielsweise als „Bauchschmerzen“ ein, taucht das bei den Krankenkasse nicht auf. Die Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns bestätigt den Eindruck: Der Anteil Patientinnen mit einer Diagnose Endometriose an allen gesetzlich versicherten Frauen, die im Jahr 2019 in Bayern vertragsärztlich behandelt wurden, liegt bei unter einem Prozent. Die Situation ist diffus, das sagt auch Anja Moritz von Endometriose-Vereinigung. „Man spricht bei der Endometriose vom ‚Chamäleon der Gynäkologie'“. Die Symptome sind vielschichtig, die Probleme bei Diagnose und Behandlung ebenfalls und zur Entstehung gibt es lediglich Modelle und Erklärungsansätze.

Jessica Bäumler hat eine Kombination aus verschiedenen Aspekten entwickelt, um mit der Krankheit umzugehen: „Sport, Radfahren, Yoga, das sind alles Dinge, die mir brutal viel helfen.“ Zusätzlich hat sie ihre Ernährung umgestellt, isst seitdem bewusster, verzichtet öfter auf Fleisch. Am meisten Linderung bringen ihr jedoch Musik und Konzerte: „Einfach die Ablenkung vom Kopf, nicht ständig dran denken, dass man Schmerzen hat“.

Wenn ihr mehr von Jessicas Geschichte wissen wollt, dann hört doch mal in den Podcast rein. Hier erzählen drei Betroffene, wie sie mit ihrer Endometriose umgehen:

Verständnis und Akzeptanz sind jedoch nur mit einem entsprechenden Wissen über die Krankheit möglich. Das hat Jessica Bäumler inzwischen, viele andere Betroffene sind jedoch noch auf der Suche und wollen, genau wie Bäumler damals, einfach nur wissen was los ist. Für all diejenigen hat die 24-Jährige einen Rat: „Einfach nicht aufzugeben. Irgendwann lohnt es sich, irgendwann versteht dich jemand und unterstützt dich dabei.“

Quellen und weiterführende Links:

via wp.zim.uni-passau.de