LGBTIQ* in der Ukraine kämpfen für ihr Land und ihre Rechte
Während sich die Ukraine als Staat gegen Russlands Angriffskrieg verteidigt, ringt die LGBTQ-Community des Landes um mehr gesellschaftliche Akzeptanz und die eingetragene Partnerschaft. SIEGESSÄULE sprach mit der Aktivistin Tetiana Kasian von der LGBTIQ*-Organisation Fulcrum
Während sich die Ukraine als Staat gegen Russlands Angriffskrieg verteidigt, ringt die LGBTQ-Community des Landes um mehr gesellschaftliche Akzeptanz und die eingetragene Partnerschaft. Für SIEGESSÄULE sprach ich mit der Aktivistin Tetiana Kasian von der LGBTIQ*-Organisation Fulcrum.
An einem lauen Augustabend wird im belebten Zentrum von Lwiw die ukrainische trans* Soldatin Helen Mark überfallen. Sie ist zur Beerdigung ihrer Mutter in der Stadt. In ihrem Instagramkanal berichtet die Betroffene detailliert, wie ein junger Mann sie auf Russisch ansprach, beleidigte und dann schlug.
Akzeptanz für LGBTIQ* in der Ukraine steigt
Doch allgemein wächst die Akzeptanz von queeren Menschen in der ukrainischen Gesellschaft. 2022 überraschte eine Studie des Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) und der NGO Nasch Swit, die zeigte: Mehr als die Hälfte der Befragten akzeptieren LGBTQ. Im Vergleich zu 2016 hatte sich die Verteilung von positiver und negativer Haltung praktisch umgekehrt. Die Folgestudie 2023 bestätigt die Tendenz. Ausschlaggebend dafür ist auch die Sichtbarkeit queerer Soldat*innen an der Front. Laut KIIS-Studie bewerten das 68 Prozent als neutral bis gut, laut anderen Erhebungen gar 71 Prozent.
„Ich sehe, dass Interesse und Aufmerksamkeit in der ukrainischen Gesellschaft anhalten“, sagt die Autorin, Aktivistin und Geschäftsführerin der NGO Fulcrum UA, Tetiana Kasian in Kyjiw. Das zeigten mehr als 300 öffentliche Coming-outs um die Gruppe der LGBT-Militärs sowie LGBTQ-Events. So fand zum Pride-Monat 2023 in Kyjiw das erste ukrainische LGBTIQ*-Kinofestival „Sunny Bunny“ statt. Laut Kasian ein „voller Erfolg“, auch wenn wegen Drohungen die Polizei das Festival absichern musste.
Gleichzeitig posteten Firmen wie die Ukrainische Eisenbahn oder die private Nova Post, die mittlerweile auch in Berlin vertreten ist, überall Regenbogen-Logos. „Dabei verdienen sie in der Ukraine mit dem Regenbogen kein Geld, eher werden sie mit Hasskommentaren konfrontiert“, sagt Kasian.
Denn Queerfeindlichkeit ist immer noch ein großes Problem. „Die Gegner sind immer dieselben, oft aus dem Umfeld teils extrem rechter Influencer-Kanäle“, so Kasian. „Wenige, aber laut.“ Und teils gewalttätig.
Es gab mehrer Angriffe gegen Queers diesen Sommer: in Luzk auf eine NGO sowie Date-Fallen für schwule Männer, in Kyjiw auf einen schwulen Designer. Für 2022 meldete der Nasch-Swit-Jahresbericht landesweit 103 queerfeindliche Angriffe, die meisten im Süden verübt von russischen Besatzern. Aber auch 28 in Kyjiw, und 16 Übergriffe im Militär. Ideologische Unterstützung bekommen queerfeindliche Personen von den orthodoxen Kirchen, die teils die Propaganda Russlands von „Homosexualismus“ und „Sodom und Gomorrha“ übernehmen.
Gesetz für die eingetragene Partnerschaft
Derweil wachsen im Krieg juristische Bedarfe von LGBTIQ*: Partner*innen von Soldat*innen werden nicht über Verbleib und Gesundheitszustand informiert, erhalten im Todesfall keine Finanzhilfen. Eine Online-Petition für die Ehe für alle verpflichtete 2022 das Präsidialamt, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Und brachte letztlich ein Gesetz für die eingetragene Partnerschaft voran, das seit 2015 in der nationalen Menschenrechtsstrategie angedacht ist. Nun muss der Entwurf das Parlament erreichen. „Vier von 13 Ausschüssen haben schon zugestimmt“, berichtet Kasian, deren NGO Fulcrum UA, die Initiative, politische Briefings, Petition und Online-Kampagne begleitet.
„Wichtig ist der Status der ‚Familie‘, die Verwandtschaft ersten Grades mit allen Rechten und Pflichten“, erklärt Kasian. Einzelne Gremien empfehlen das Gesetz explizit, mancher Stadtrat und die Kirche stellen sich quer. „Die Gegner stellen die zivile Partnerschaft als Gefahr dar, verbinden sie mit sexuellen Praktiken“, so Kasian, „dabei geht es nur um soziale Rechte. Ohne dieses Gesetz werden die Betroffenen diskriminiert.“
So urteilte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall von Andrij Majmulachin und Andrij Markiw: Indem die Ukraine dem Paar die rechtliche Anerkennung verwehrt, diskriminiert sie aufgrund sexueller Orientierung und verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Dabei habe Kyjiw im Zuge des EU-Mitgliedschaftsantrags „Verbesserung und Prüfung der Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften“ versprochen.
Die Zeit drängt: „Wir haben jetzt dieses Chancenfenster für das Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft“, betont Kasian. Sie befürchtet, dass die LGBTIQ*-Rechte bald in den Hintergrund rücken könnten. „Es entstehen immer mehr drängendere Problem wie der Wiederaufbau zerstörter Städte.“ Auch darum sei genau jetzt der richtige Zeitpunkt für die Partnerschaft. Und auch ein Gesetz-Update zu Hassverbrechen − angesichts der jüngsten Überfälle.
Der mutmaßliche Angreifer gegen die trans* Soldatin Helen Mark wurde nach einer Woche gefasst. Laut Staatsanwaltschaft drohen dem 22-Jährigen aus Riwne wegen Gewalt und Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität bis zu acht Jahren Haft. Der Gerichtsprozess begann Ende September, ein Urteil könnte noch im Oktober fallen. Die ukrainischen Queers kämpfen also weiter doppelt: für ihr Land und für ihre Rechte.