Kommentar: Wie es keinen interessiert, dass unsere Natur stirbt
Berlin - Alle zehn Minuten stirbt eine Tier- oder Pflanzenart aus - und zwar für immer. Wir befinden uns im größten Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Insgesamt könnten rund eine Million Tier- und Pflanzenarten bis 2030 aussterben, sagen Wissenschaftler. Es ist eine ökologische Krise mit dramatischen Folgen.
Berlin – Alle zehn Minuten stirbt eine Tier- oder Pflanzenart aus – und zwar für immer. Wir befinden uns im größten Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Insgesamt könnten rund eine Million Tier- und Pflanzenarten bis 2030 aussterben, sagen Wissenschaftler. Es ist eine ökologische Krise mit dramatischen Folgen. Doch nur wenige scheinen wirklich zu wissen, wie fatal die Auswirkungen der Biodiversitätskrise für die Natur, für die Menschen, für unsere Zukunft sind. Vielleicht ist es auch einfach nur Desinteresse.
Das kann man auch deutlich an der aktuellen Weltnaturkonferenz erkennen, die seit Montag im chinesischen Kunming läuft. Knapp 200 Vertragsstaaten verhandeln in dieser Woche und im kommenden Frühjahr über ein neues Abkommen zum Schutz der Artenvielfalt. Es ist der entscheidende Moment für die Weltgemeinschaft, die Biodiversitätskrise gemeinsam zu lösen.
Doch es wird bis auf wenige Ausnahmen kaum über die Konferenz berichtet. Auch sonst wird die Biodiversitätskrise eher stiefmütterlich von Medien und Politik behandelt – ein Armutszeugnis. Ohne Umweltorganisationen wie den Naturschutzbund (Nabu) und den World Wide Fund for Nature (WWF) würde die Thematik wohl vollends unter den Tisch gekehrt werden.
Kein Wunder, dass das Artensterben in der Öffentlichkeit nicht als ökologische Katastrophe wahrgenommen wird. Viele Menschen verbinden das Thema mit bekannten gefährdeten Tieren, wie Nashörnern, Eisbären und Elefanten. Sie denken: Traurig zu hören, aber was betrifft es mich? Daher zuallererst: Ja, die Biodiversitätskrise geht uns alle an. Denn ohne biologische Vielfalt könnten wir Menschen nicht existieren.
Natürliche Lebensräume und Arten versorgen uns mit Nahrung und Süßwasser, liefern Fasern für Kleidung und essenzielle Grundstoffe für Arzneien, bieten Schutz vor Extremwettereignissen und regulieren das Klima. Unser eigener Wohlstand hängt von der Natur ab. Der Verlust der Artenvielfalt zählt zu den fünf größten Risiken für die globale Wirtschaft.
Doch statt die Natur ausreichend zu schützen, zerstören wir sie und damit unsere Lebensgrundlagen: Wir überfischen die Meere, roden Wälder, vergiften Böden. Wir müssen den „selbstmörderischen Krieg gegen die Natur beenden“, forderte daher auch die Chefin des UN-Umweltprogramms, Inger Andersen, die Staatengemeinschaft gleich zu Beginn der diesjährigen Weltnaturkonferenz auf. Treffender hätte man es nicht formulieren können. Denn in der Tat: Wir Menschen führen einen Krieg gegen die Natur und vergessen dabei, dass wir selbst Teil von ihr sind.
Stirbt eine Art, hat das auch immer Auswirkungen auf andere Spezies, auf das gesamte Ökosystem – und letztendlich auf uns Menschen. Ein Beispiel: Zwei Drittel der hundert weltweit wichtigsten Nutzpflanzen sind ganz oder teilweise abhängig von der Bestäubung durch Insekten. Sterben diese, ist auch unsere Nahrung gefährdet. Auch Pandemien werden in Zukunft immer häufiger auftreten, weil wir durch die Lebensraumzerstörung den Wildtieren immer näher kommen.
Das Fatale: Die internationale Staatengemeinschaft versagt auf ganzer Linie und hat bisher kaum ein Ziel zum Arten- und Umweltschutz erreicht. Zwar ist der Entwurf des neuen Abkommens, das aktuell auf der Weltnaturkonferenz in Kunming verhandelt wird, ein Fortschritt – doch ambitioniert sieht anders aus. Die Ziele sind bislang unverbindlich, es gibt kein Monitoring und keine Sanktionsmöglichkeit. Viele Industriestaaten, wie Deutschland, geben zurzeit zudem immer noch mehr Geld für umweltschädigende Subventionen aus, als für Natur- und Artenschutz – ein verheerendes Zeichen. Doch damit sich daran etwas ändert, braucht es nicht nur politischen Willen, sondern auch Druck aus der Öffentlichkeit.
Die Klimakrise hat es dank Organisationen wie Fridays for Future geschafft, eines der Topthemen im diesjährigen Wahlkampf zu werden. Vor einigen Jahren wäre das noch unvorstellbar gewesen. Immerhin macht die Organisation Extinction Rebellion auf das Massenaussterben aufmerksam, doch das reicht nicht aus. Dabei bedroht nach Meinung vieler Experten die Biodiversitätskrise das langfristige Überleben der Menschheit sogar noch stärker als der Klimawandel. Und ohne den Schutz wichtiger Lebensräume wie Wälder, Moore und Meere werden wir auch die Klimakrise letztendlich nicht in den Griff bekommen.
Wir müssen endlich mehr über die Biodiversitätskrise sprechen – denn die Zeit läuft ab. Die Industrie, die Zivilgesellschaft, jeder Einzelne muss Druck auf die politischen Entscheider ausüben. Denn sie verhandeln die wichtigen Abkommen, wie zurzeit in Kunming. Abkommen, die unsere Zukunft bestimmen.