Kann ihre Forschung die Weltbank reformieren?

Wie kritisch darf Penny Goldberg als Chefökonomin der Weltbank sein, wenn ihr Vorgänger wegen zu viel Transparenz zurücktrat?

Wie kritisch darf Penny Goldberg als Chefökonomin der Weltbank sein, wenn ihr Vorgänger wegen zu viel Transparenz zurücktrat?

„Arbeiter aus republikanischen Counties leiden am stärksten unter den Folgen des US-Handelskriegs“, schreibt Penny Goldberg Anfang 2019 in einem Paper und beziffert zusammen mit ihren Kollegen die Kosten der von US-Präsident Donald Trump verhängten Zölle für die USA: knapp 70 Milliarden US-Dollar. Business as usual für eine Wirtschaftsprofessorin in Yale. Doch Goldberg hatte da bereits ihre Stelle als Chefökonomin der Weltbank angetreten. Jener Institution, deren wichtigster Beitragszahler die US-Regierung ist und deren neuer Präsident von Trump ernannt wurde.

Die 56-Jährige sitzt in ihrem neuen Büro in Washington, nur zwei Straßenblöcke vom Weißen Haus und doch sehr weit entfernt. „Das Gute ist: Wir haben Redefreiheit bei der Weltbank“, sagt sie und ihre Kommunikationsreferentin, die ihr im Gespräch mit der Presse auf Schritt und Tritt folgt, nickt anerkennend. Goldberg muss deutlich machen, wo sie steht. Ihr Vorgänger, der Nobelpreisträger Paul Romer, hatte es mit der Redefreiheit zu ernst genommen. In einem Interview räumte er ein, dass die Methodik eines hausinternen Länderrankings stillschweigend geändert worden war, wodurch Chile unter der sozialistischen Präsidentin Michelle Bachelet um Dutzende Plätze gefallen ist. Wenige Tage später verließ er abrupt seinen Posten. Das hat Goldberg mit ihrem Paper nicht riskiert: Trumps Zölle sind im Haus des Freihandels ohnehin unbeliebt. Wie kritisch kann Romers Nachfolgerin sein?

Goldberg ist nicht angetreten, um die Welt – oder die Weltbank – zu revolutionieren. Aber doch, um die Entscheidungen der Bank effektiver und ein bisschen gerechter zu machen. Um mit dem derzeitigen Jahresbudget von 67 Milliarden US-Dollar so vielen Menschen wie möglich dabei zu helfen, sich aus extremer Armut zu befreien – und dabei Minderheiten und Frauen nicht zu vergessen.

Während sie und die Forschungsabteilung der Bank inklusives Wachstum empfehlen, das die Ungleichheit zwischen und innerhalb von Ländern reduziert, steht die Projektabteilung der Weltbank im Ruf, durch Privatisierung, Deregulierung und Austeritätsmaßnahmen in der Tradition des alten Washington-Konsensus selbst zur Ungleichheit in der Welt beizutragen. „Über kurze Sicht werden die Empfehlungen der Forschungsabteilung ignoriert“, räumt Goldberg ein. Mehr noch: Sie seien die kontraproduktiven Zweifler und Mahner, die nur Geld verbrauchten. „Doch langfristig haben wir einen Einfluss auf das Denken im Haus, auch wenn der schwer zu quantifizieren ist.“

Mit dem Wunsch, die großen Probleme ihrer Zeit zu lösen, fing für sie alles an. Goldberg wuchs als Pinelopi Koujianou in Athen auf und erlebte, wie ihr Land von einem Niedriglohnland mit Dörfern ohne Strom und Wasser zu einem Land mit mittlerem Einkommen wurde. „Das weckte mein Interesse an den Wirtschaftswissenschaften: Sie schienen mir als Schlüssel, um die Welt zu verstehen und sie voranzubringen“, erzählt Goldberg. In ihrer Freizeit las sie John Keynes, Karl Marx, Adam Smith, die großen Wirtschaftstheoretiker.

„Homers Geschichte von der treuen Penelope habe ich gehasst“

Penelope aus Homers Odyssee bleibt zu Hause auf ihrer Insel und wartet 20 Jahre auf ihren Mann, der Abenteuer in aller Welt erlebt. Pinelopi Koujianou stürzt sich lieber selbst ins Geschehen – und nennt sich fortan „Penny“. Sicherheitshalber, damit ja keine Missverständnisse aufkommen. „Die Geschichte von der treuen Prinzessin habe ich immer schon gehasst“, sagt sie.

Wenn sie in Griechenland geblieben wäre, wäre sie jetzt vielleicht eine unterbezahlte Akademikerin, von denen es seit der Wirtschaftskrise so viele gibt. Doch Goldberg glaubte immer schon an den Segen des Weltmarktes – und sie wuchs so privilegiert auf, dass sie es sich leisten konnte, Kosmopolitin zu werden. Wie ihre Schwestern besuchte sie das deutsche Gymnasium in Athen, lernte neben Deutsch auch Französisch und Englisch. Erhielt schon 1981 ein Stipendium des DAAD, um fünf Jahre lang in Freiburg zu studieren. „Uns war nur allzu bewusst, dass Griechenland ein kleines Land ist und wir nur im Ausland echte Chancen haben würden“, sagt Goldberg mit ihrer leisen Stimme, die nicht zu ihrer gewichtigen Position passen will.

Lange Wanderungen und fast genauso lange Kaffeepausen

In Freiburg landete sie zufällig. „Das VWL-Curriculum der deutschen Unis ähnelte sich damals sehr. Also suchte ich mir die schönste Stadt aus.“ Sie erinnert sich an lange Wanderungen im Schwarzwald und fast genauso lange Kaffeepausen. „Wir sind nach dem Mensaessen einfach sitzen geblieben, drei Stunden und länger.“ So ernst Goldberg ist, wenn sie über ihren Beruf spricht, so sehr muss sie bei der Erinnerung lachen. „Aber es waren produktive Pausen. Wir haben stundenlang über eine Idee gestritten.“

Als Professor Goldberg sich 2018 als Chefökonomin der Weltbank bewarb, war das nicht ihre erste Bewerbung dort. Von Freiburg aus hatte sie schon mal um ein Praktikum gebeten – und war abgelehnt worden, weil sie keine Promotion vorweisen konnte. „Ich hatte gar nicht vor zu promovieren, aber nach der Antwort dachte ich mir: Wenn das nötig ist, um zur Weltbank zu kommen, mach ich‘s halt.“ Sie wurde gleich an mehreren Elite-Universitäten in den USA angenommmen und entschied sich für Stanford, weil ihre Eltern – beide Ingenieure – die Uni so bewunderten.

In Kalifornien wurde ihr bewusst, wie unterschiedlich die Lernkulturen in den USA und Europa waren. „Aus Freiburg war ich es gewohnt, meine Dozenten mit ‚Herr Professor Doktor‘ anzusprechen. Als ich mich am ersten Tag in Stanford einschrieb, kam dieser älterer Mann mit Fahrradhelm zur Tür hinein und die Administratorin sagte: ‚Penny, darf ich dir Ken vorstellen?‘“ Ken war der Nobelpreisträger Kenneth Arrow. „Ich war wie gelähmt, konnte keinen Satz zu Ende bringen. Dabei war er der bescheidendste freundlichste Mensch, den man sich vorstellen kann.“

Heute ist sie genau das: bescheiden, freundlich. Für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist sie nicht „Frau Professor Goldberg“, sondern „Penny“. Beim Fotoshooting fühlt sie sich in der Gruppe sichtlich wohler als allein. Wer die zierliche Frau mit Milchkaffee in der Hand auf den Fluren, im Aufzug der Weltbank sieht, würde kaum ahnen, dass sie eine der einflussreichsten Menschen im Haus ist. Und sie bringt eine andere Unternehmenskultur mit: In ihren Vorsätzen für 2019 schrieb sie auf dem Weltbank-Blog, sie wolle nur einmal im Monat reisen und pro Nacht acht Stunden schlafen. Was sie sich für die Welt wünscht, gilt auch für sie selbst: Wachstum und Karriere, ja! Aber nicht bis zur totalen Erschöpfung.

via www.daad.de