Jonas gibt nicht auf
Jonas greift in seinen Rucksack und zieht einen Aufkleber heraus. Darauf eine Katze mit Sonnenbrille in Herzform und den Worten: „Hier war rassistischer Dreck“. Er klebt ihn über einen rechten Spruch.
Die Straßen in Bitterfeld-Wolfen sind an diesem kalten Oktobertag wie leergefegt. Regentropfen prasseln auf den Asphalt, Wasser sammelt sich in einem Schlagloch. Jonas dreht sich um, blickt nach links, nach rechts. Sein Atem lässt seine Brillengläser beschlagen.
Als Jonas den „Goitzsche Front“-Sticker – eine Deutschrockband, die dem rechten Rand zugeordnet wird – auf einer Laterne überklebt, rollt ein grauer VW die Schotterstraße hinunter. Ruckelnd bleibt das Auto vor ihm stehen. Drei Männer, zwei mit rasiertem Schädel, blicken durch das Fenster. Der Fahrer lässt den Motor laufen, mustert Jonas: sein Gesicht, seine Klamotten, seine Hände. Minuten vergehen.
„Das passiert hier ständig“, sagt Jonas dazu später. „Oft glotzen Leute auch aus den Fenstern.“ Langsam schleicht der VW bis an die Kreuzung, bleibt noch einmal stehen. Köpfe drehen sich, blicken zurück. Dann biegt das Auto um die Ecke.
Jonas ist 17 Jahre alt. Er engagiert sich in seiner Heimatstadt in Sachsen-Anhalt nicht nur gegen rechts. Er kämpfe für mehr Gerechtigkeit auf allen Ebenen, sagt er. Und dieser Kampf hat ihn zu einem Aktivisten gemacht. Seit 2018 setzt er sich für Klimaschutz ein – und damit fast im Alleingang gegen die Kommunalpolitik: Die Stadt gibt kaum Geld für ein Klimaschutzkonzept aus. Und die AfD, zweitstärkste Partei in der 46.000-Einwohner-Stadt, stürzt sich bei jeder Demo auf Jonas und seine wenigen Mitstreiter.
2019 sind 1,4 Millionen Deutsche für Klimaschutz auf die Straße gegangen – vor allem in Metropolen wie Berlin und Hamburg. Auch in größeren Städten im Osten fanden Demos statt. Doch in der ostdeutschen Provinz scheinen sich wenige für das Thema zu interessieren. Vor allem in den kleinen Gemeinden trauen sich viele Jugendliche nicht auf die Straße: Zu groß ist die Angst, erkannt zu werden oder auf dem rechten Radar zu sein.
Jonas findet in Bitterfeld-Wolfen kaum Unterstützung. Vor allem aber setzt er sich jedes Mal aufs Neue dem Hass aus. Viele der Bewohner und Bewohnerinnen kennen seinen Namen, sein Gesicht.
„Ich find ja Dessau schon hässlich, aber Bitterfeld toppt alles“, sagt Mike, während er sein Fahrrad über die matschige Wiese schiebt. Um bei der Kundgebung im Bitterfelder Stadtpark „Grüne Lunge“ dabei sein zu können, sind seine Freundin und er aus Dessau mit dem Zug gekommen. Wenige Meter von ihm entfernt steht Jonas, eine Gitarre baumelt um seinen Oberkörper. Er baut einen Notenständer auf.
Neben Mike, der gerade seine Ausbildung bei der Deutschen Bahn macht, und seiner Freundin sind noch Henriette aus Halle und Alina aus Wolfen angereist. „Mit Berlin sind wir nicht vergleichbar“, sagt Mike, und alle lachen. Keiner von ihnen hat ein Plakat dabei. Keiner hat sein Gesicht mit Glitzer bemalt oder trägt ein buntes Banner. Auf ihre Demo haben sie sich nicht groß vorbereitet, die Flyer zum Verteilen haben sie auch zu Hause vergessen.
Alina zieht sich ihre Kapuze tief ins Gesicht: „Du weißt nie, mit wem du hier sprichst“, sagt sie und nickt hinüber zu einem Mann, der von einer Parkbank zu den fünf Aktivist_innen herüberschaut. Etwas verloren stehen sie auf dem fußballfeldgroßen Gelände. Mehr werden heute nicht kommen.
Am Donnerstagmorgen, einen Tag nach der Demonstration, sind alle Rollatorenparkplätze im Café Schäfer am Marktplatz belegt. Auf den Porzellantellern der Gäste türmen sich Makronentörtchen und Prasselkuchen. Jonas Venediger sitzt zusammen mit Christian Hennicke an einem Tisch in der hintersten Ecke, sie wärmen ihre Hände an ihren Kaffeetassen.
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via taz.de