Hütten und Paläste: Durst sticht Menschlichkeit
An guten Tagen stehen in meiner WG nur vier Bierkästen. An schlechten sind es zehn. Wir haben oft schlechte Tage. An den Kästen sind meine Mitbewohner schuld, sie versichern mir regelmäßig, dass sie Bier generell zum Überleben und außerdem für Beerpong brauchen. Ich persönlich hasse Bier, mag aber meine Mitbewohner.
An guten Tagen stehen in meiner WG nur vier Bierkästen. An schlechten sind es zehn. Wir haben oft schlechte Tage. An den Kästen sind meine Mitbewohner schuld, sie versichern mir regelmäßig, dass sie Bier generell zum Überleben und außerdem für Beerpong brauchen. Ich persönlich hasse Bier, mag aber meine Mitbewohner. Nach einem Jahrzehnt gemeinsamem Wohnen, Weinen und Wischen wird aus einer WG langsam eine Ehe. Und wie es in einer Ehe so ist: Man nimmt die Leidenschaften des anderen in Kauf, auch wenn man nicht alles davon teilen, geschweige denn trinken kann. Wenn es meine Mitbewohner am Leben hält, bin ich bereit, Bier zu akzeptieren. Es ist nur leider überall. Als halb volle Flasche auf der Mikrowelle, als Scherben in der Küche, manchmal finde ich Bier in der Badewanne. Der Flur ist ein Labyrinth aus Bierkästen. Niemand will die leeren Bierkästen sechs Stockwerke nach unten tragen, also lassen meine Mitbewohner sie in unserem Gang stehen. Den Weg mit den vollen Kästen hinauf übernimmt ein Lieferdienst. Augustiner, Tegernseer, Maxl, Flötzinger, Glucks – manchmal Klopapier für den Mindestbestellwert -, alles landet mühsam bei uns im sechsten Stock. Die Lieferboten hassen uns.
Der Ablauf ist immer gleich: Es klingelt, wir machen auf, stellen uns vor die Tür und warten. Ab dem dritten Stockwerk wird es für alle Beteiligten unangenehm, denn ab da dringt das Keuchen bis zu uns hinauf. Danach müssen alle stark sein. Der Bierbote muss seine Lunge unter Kontrolle bekommen und darf nicht stolpern. Wir müssen uns von unserer Menschlichkeit verabschieden und so tun, als wäre das ganz normal, an der Türschwelle im sechsten Stock zu stehen und jemanden für Geld röcheln zu lassen.
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