Glück im Konjunktiv: Ismene auf dem Theaterschiff
Das Hans Otto Theater zu Gast auf dem Theaterschiff: „Ismene, Schwester von" beleuchtet „Antigone" aus einer anderen Perspektive.
Ihre Familiengeschichte würde man ungern auf einem Geburtstag erzählen: Der Vater hat sich die Augen ausgestochen, die Mutter Selbstmord begangen. Die Brüder haben sich gegenseitig erschlagen und ihre Schwester wurde lebendig eingemauert, nachdem sie gegen den Willen ihres Onkels ihren Bruder beerdigt hatte. Kein geeignetes Thema, während sich jemand ein Stück Kuchen in den Mund schiebt, findet Ismene.
Während üblicherweise – wie gerade auf der großen Bühne bei „Antigone“ im Hans Otto Theater (HOT) – genau diese Familiengeschichte im Vordergrund steht, rückte am Donnerstag (30.11.) die sonst eher unscheinbare Ismene in den Mittelpunkt. Als Zusatzproduktion präsentierte das HOT vor einem begeisterten Publikum die Premiere von „Ismene, Schwester von“ im eisernen Bauch des Theaterschiffs, inszeniert von Anna Michelle Hercher.
In dem zeitgenössischen Einpersonen-Stück der niederländischen Dramatikerin Lot Vekemans wartet Ismene unerlöst in einem kargen Bühnenbild zwischen Leben und Tod darauf, dass jemand über ihre Tatenlosigkeit urteilt – aber nicht, ohne ihre Sicht der Dinge zu kennen. Schauspielerin Alina Wolff schafft es auf beeindruckende Art und Weise, Ismenes Zerrissenheit zwischen Bewunderung für ihre heldenhafte Schwester Antigone und Wut über ihre eigene Unsichtbarkeit daneben auszudrücken.
Das Stück
„Ismene, Schwester von“ ist am 7.12., 13.12. und 17.12. um jeweils 19:30 auf dem Theaterschiff zu sehen. www.hansottotheater.de
Sie wütet mit aufgerissenen Augen und wirren Haaren, kämpft gegen unsichtbare Fliegenschwärme und hadert mit ihrer eigenen Feigheit. Verzweifelt an ihrer dysfunktionalen Familie – und wünscht sich doch nichts mehr, als dazuzugehören. Immer wieder durchbricht sie die vierte Wand; das Publikum soll richten und sie dabei gleichzeitig sichtbar machen. Kann ein Mensch sich überhaupt seinem Schicksal widersetzen?
In der Ferne heulen die Höllenhunde, ihr Geheul verfolgt Ismene wie ihre Vergangenheit. Auf einmal, zu Leonard Cohens „Leaving the Table“, wird sie ganz ruhig, lächelt versonnen. Wenn sie nur einen Moment wiederholen dürfte, sie wüsste nicht welchen, sinniert sie. Vielleicht einen, wo sie hätte glücklich sein können. Um zu wissen, wie das ist.