article | Elena Matera

Folgen der Klimakrise: 2021 war nur ein Vorgeschmack

Berlin - Riesige Wassermengen überraschten Menschen im Schlaf, rissen Autos und Häuser mit und kosteten mehr als 200 Menschen das Leben - die Flutkatastrophe an Ahr und Erft in diesem Sommer war eine Apokalypse in wenigen Minuten, und das mitten in Deutschland. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hatte es solch extreme Niederschlagsmengen in Deutschland nicht gegeben.

Berlin – Riesige Wassermengen überraschten Menschen im Schlaf, rissen Autos und Häuser mit und kosteten mehr als 200 Menschen das Leben – die Flutkatastrophe an Ahr und Erft in diesem Sommer war eine Apokalypse in wenigen Minuten, und das mitten in Deutschland. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hatte es solch extreme Niederschlagsmengen in Deutschland nicht gegeben. Eine Ausnahme? Oder eine Folge der Klimakrise?

„Einzelne regionale Phänomene kann man nur schwer direkt mit der globalen Erderwärmung in Verbindung bringen“, erklärt Johanna Beckmann, Klimaforscherin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Die tödlichen Überschwemmungen in Westeuropa wären ohne den Klimawandel allerdings deutlich unwahrscheinlicher gewesen, haben Forschende in einer Studie ermittelt. 

Zahlreiche extreme Wetterereignisse im Jahr 2021

Auch ihre Häufung kann inzwischen als Indiz dafür gewertet werden, dass Extremwetterereignisse mit steigenden Temperaturen zunehmen. Und gerade 2021 war ein Jahr der Klima-Extreme: In der zentralchinesischen Millionenmetropole Zhengzhou lösten die schwersten Regenfälle seit Jahrzehnten massive Überschwemmungen aus, Südamerika erlebte das zweite Jahr in Folge eine schwere Dürre, und in Griechenland, Italien und der Türkei wüteten im August heftige Brände, deren Ausmaß und Intensität viele Menschen schockierte. Nach aktuellen Angaben der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) reiht sich 2021 in die weltweit sieben heißesten Jahre ein – allesamt gemessen seit 2015.

Die Weltwetterorganisation (WMO) prüft derzeit drei Hitzerekorde: Zwei Messungen von 54,4 Grad Celsius in diesem und im vergangenen Jahr stammen aus dem Death Valley im US-Bundesstaat Kalifornien. Eine dritte von 48,8 Grad Celsius wurde im Sommer 2021 in Sizilien vorgenommen – sollte das offiziell bestätigt werden, wäre das ein neuer europaweiter Rekordwert.

Dass es Verbindungen zwischen all diesen Extremwettereignissen und dem Klimawandel gibt, bestätigen auch Studien der World Weather Attribution (WWA). Diese stellte unter anderem fest, dass die tödliche Hitzewelle in Kanada und den USA 2021 durch den Klimawandel um 150 Mal wahrscheinlicher und ungefähr zwei Grad Celsius heißer war, als sie es ohne die globale Erderwärmung gewesen wäre. Der Weltklimarat (IPCC) berichtete zudem im August dieses Jahres, dass Starkregenereignisse, die sonst einmal in zehn Jahren auftreten, fast dreimal so oft und um 30 Prozent intensiver zu erwarten sind, wenn sich die Welt um vier Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erwärmt.

Werden die Extremwettereignisse wie Hochwasser und Hitzewellen also zu unserer neuen Normalität? „Sicher ist, dass Klima-Extreme mit dem Klimawandel in den kommenden Jahren zunehmen werden“, sagt Beckmann. Auch immer neue Temperaturrekorde seien nicht auszuschließen. 

Arktis erwärmt sich dreimal schneller als der Rest des Planeten

Um eine Klimaprognose für Deutschland geben zu können, lohnt sich der Blick zur Arktis, dem Ort der Erde, an dem die Auswirkungen der Klimakrise besonders drastisch zu spüren sind. Denn was dort passiert, ist auch für unsere Wettersysteme bestimmend. Die Polarregion hat sich laut eines Berichts des Arctic Monitoring and Assessment Programme (Amap) seit dem Jahr 1971 bereits dreimal schneller als der Rest des Planeten erwärmt. Am höchsten Punkt des grönländischen Eisschildes hat es in diesem Jahr erstmals seit Beginn der Aufzeichnungen geregnet statt geschneit. In der Laptewsee und der Beaufortsee am Nordpolarmeer gab es von Januar bis April 2021 zudem extreme marine Hitzewellen. Und damit nicht genug. Erst kürzlich wurde ein Temperaturrekord in der Arktis aus dem Juni 2020 von der WMO bestätigt: 38 Grad Celsius im nordsibirischen Werchojansk – so heiß war es noch nie nördlich des Polarkreises. 

Ein weiterer trauriger Rekord: Forschende haben 2021 neue Tiefstände bei der Ausdehnung von Meereis in der Arktis ermittelt. Mit einer Fläche von nur 7,95 Millionen Quadratkilometern war dem National Snow & Ice Data Center zufolge am 13. Juli noch weniger Meereis vorhanden als bei früheren Minusrekorden 2012 und 2020. 

Wenn die Erderwärmung weiter voranschreitet, könnte es dazu kommen, dass das Meereis der Arktis bis 2050 bis zu fünf Monate im Jahr verschwindet. Mit dem Rückgang des Meereises beschleunigt sich wiederum der Klimawandel. Der Grund: Helle Eis- und Schneeflächen werfen bis zu 90 Prozent der Sonnenstrahlen zurück. Wasser und dunkle Flächen dagegen speichern mehr Sonnenenergie. Je mehr Eis schmilzt, desto mehr heizt sich die Arktis auf – ein Rückkopplungseffekt. 

Die Wissenschaftlerin Johanna Beckmann, die am PIK das grönländische Eisschild erforscht, sieht die Auswirkungen täglich bei ihrer Arbeit – und sie ist besorgt. Wenn der grönländische Eisschild weiter so schnell schmilzt wie bisher, wird der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 um zehn bis 18 Zentimeter ansteigen. Wenn das gesamte Grönlandeis schmelze, steige der Meeresspiegel weltweit um sieben Meter. Hunderte von Küstenstädten wären vom Wasser bedroht.

Tauen des Permafrosts hat schwerwiegende Folgen

Aber auch das Tauen des Permafrostbodens hat schwerwiegende Konsequenzen. Dabei handelt es sich um bis in die Tiefen gefrorene Böden, die etwa in Alaska, Grönland, Russland oder Kanada zu finden sind. Städte und Infrastruktur, wie etwa Zugstrecken, sind auf Permafrostböden gebaut. Schmelzen die Böden, brechen Häuser, Gleise, aber auch Öl-Pipelines zusammen und gefährden so Existenzen. Forschende sind zudem besorgt, dass mit dem Tauen des Permafrosts große Mengen von Treibhausgasen wie Methan oder Kohlendioxid freigesetzt werden. Das wiederum würde den Treibhauseffekt noch weiter verstärken.

Die Erwärmung der Arktis wirkt sich unmittelbar auf Europa und auf Deutschland aus, erklärt die Klimaforscherin Beckmann. Der Temperaturunterschied zwischen der kalten Arktis und den wärmeren mittleren Breiten treibt die Westwinde in den oberen Atmosphärenschichten an. Diese sorgen dafür, dass die Wetterlagen schnell zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten wechseln.

Da sich die Arktis nun immer schneller erwärmt als der Rest der Welt, nimmt der Temperaturunterschied zwischen den Luftmassen am Äquator und in der Arktis ab. Einige Studien vermuten, dass damit auch die Westwinde schwächer und langsamer werden. Sie können Wettersysteme nicht mehr so stark vorantreiben und verharren daher länger an einer Stelle. Dann gibt es in der betroffenen Region statt ein paar sonnigen Tagen eine mehrwöchige Hitzewelle, oder Regenfälle halten so lange an, dass es zu Überschwemmungen kommt, wie wir es in diesem Jahr im Ahrtal erlebt haben. Mit der Erwärmung der Arktis wird es also auch bei uns in Deutschland immer längere Hitzeperioden oder Starkregenereignisse geben. 

In Zukunft mehr und stärkere Wetterereignisse

Eine erst vor kurzem veröffentlichte PIK-Studie bestätigt, dass die Menge und Stärke von Extremereignissen aufgrund des globalen Temperaturanstiegs zugenommen hat. Um dies zu belegen, analysierten die Wissenschaftler die sogenannte Persistenz bestimmter Wetterbedingungen. Sie wandten Bildvergleichsmethoden auf Atmosphäredaten an und verglichen Millionen aufeinanderfolgender Wetterzirkulationsmuster weltweit aus den vergangenen 40 Jahren. Ein zentrales Ergebnis der Forschenden: Vor allem im dicht besiedelten Europa werden die Menschen in Zukunft wahrscheinlich mehr und auch stärkere Wetterereignisse erleben.

Man dürfe die weitreichenden Auswirkungen des Klimawandels und vor allem der Erwärmung der Arktis nicht länger unterschätzen, sagt Beckmann. Wenn wir weitermachen wie bisher, könnte es in der Arktis bis Ende des Jahrhunderts bereits bis zu zwölf Grad wärmer sein – das hätte fatale Folgen und müsse verhindert werden. Doch auch wenn wir heute harte Klimaschutzmaßnahmen durchsetzen würden, würde sich das erst in 20 bis 30 Jahren bemerkbar machen.

„Unser Klimasystem reagiert recht träge“, sagt Beckmann. Egal, ob mit oder ohne harten Klimaschutz: Sicher sei, die Arktis werde sich in den kommenden Jahr stark verändern – und die Auswirkungen werden die Menschen weltweit zu spüren bekommen.

Klimaerwärmung befeuert Tornados

Erst vor zwei Wochen, Mitte Dezember 2021, zogen heftige Wirbelstürme durch sechs US-Bundesstaaten. Zwar haben die Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene Tornado-Ereignisse mit schwerwiegenden Folgen erlebt. Allerdings beginnt die Tornadosaison normalerweise im Frühjahr und geht bis Juni. Dass die heftigen Wirbelstürme die USA nun im Dezember heimgesucht haben, sei ungewöhnlich, sagen Wissenschaftler. Auch hier könnte der Klimawandel eine Rolle spielen. Experten vermuten, dass aufgrund der Erderwärmung in Zukunft immer heftigere Tornados eintreten werden – auch in Europa. 

Zusammenfassend lässt sich also sagen: 2021 war nur ein Vorgeschmack für das, was noch auf uns zukommen wird. Nach Einschätzung der US-Klimabehörde NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) liegt die Wahrscheinlichkeit jetzt schon bei mehr als 99 Prozent, dass auch 2022 wieder zu den zehn heißesten Jahren seit Beginn der Aufzeichnungen zählen wird.

Können wir diesem besorgniserregenden Trend überhaupt noch entgegenwirken? „Ja, man sollte jetzt nicht denken: Es ist eh schon alles verloren. Denn das ist es nicht“, sagt Beckmann. „Wir Menschen können noch das Schlimmste verhindern.“ Doch derzeit reichen die Klimaschutzmaßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft noch nicht aus, um den Ausstoß der Treibhausgase deutlich zu verringern. So blieben auch in diesem Jahr die ersten drei Plätze des Klimaschutz-Index unbesetzt. Dabei handelt es sich um ein unabhängiges Kontrollinstrument, um die Klimaschutzbemühungen von 60 Ländern und der EU zu messen. In keinem Land sei eine Tendenz erkennbar, die ausreiche, diese Plätze zu belegen, heißt es in dem Bericht, der gemeinsam von Germanwatch, dem New Climate Institute und dem Climate Action Network herausgegeben wurde. 

Dänemark erreichte in diesem Jahr die beste Platzierung. Es folgen Schweden, Norwegen, Großbritannien und Marokko. Deutschland landete nur auf Platz 13. Auch die Pläne der neuen Bundesregierung werden die Klimaziele des Pariser Klimaschutzabkommens verfehlen, zeigen Modellrechnungen einer Studie der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). Und die neue Berliner Regierung hat noch nicht einmal ein genaues Datum für das Erreichen der Klimaneutralität genannt, nur irgendwann vor 2045. Ambitioniert sieht anders aus. 

via www.berliner-zeitung.de