„Fataler Anreiz“: Eine Amputation rechnet sich für Kliniken mehr als Therapie
Zuckerkranke Patienten haben oft Durchblutungsstörungen und leiden unter Druckstellen, die sich leicht infizieren: das diabetische Fußsyndrom. Ein älterer Herr kam mit massiven Schmerzen, das Gewebe war bereits schwarz. Er konnte kaum laufen. Doch in unserem Haus gab es keinen Platz. Auch weil nicht absehbar war, wann er entlassen werden könnte.
Zuckerkranke Patienten haben oft Durchblutungsstörungen und leiden unter Druckstellen, die sich leicht infizieren: das diabetische Fußsyndrom. Ein älterer Herr kam mit massiven Schmerzen, das Gewebe war bereits schwarz. Er konnte kaum laufen. Doch in unserem Haus gab es keinen Platz. Auch weil nicht absehbar war, wann er entlassen werden könnte. Bei einem Herzpatienten ist klar: Der ist nach dem Setzen eines Katheters weg und das Bett frei für den nächsten.
Der Oberarzt der Kardiologie schlug einen Kompromiss vor: Der Patient wurde am Wochenende aufgenommen. Ich musste organisieren, dass die Behandlung, eine Gefäßaufdehnung, im Rahmen der Rufbereitschaft stattfände und der Patient am Montag entlassen würde. Am Wochenende werden weniger Menschen eingeliefert, weil wenig vorangeht. Wir haben diese Lücke genutzt, damit die Station keinen Nachteil hatte. In diesem Fall lief es gut. Doch die Behandlung ist langwierig: Die offenen Wunden müssen heilen, die Fußsohlen mit Schienen oder speziell angepassten Schuhen entlastet werden. Funktioniert all das nicht, bleibt als letzter Weg die Amputation. Die Krux: Im Fallpauschalen-System lässt sich die aufwendige konservative Behandlung schlecht abrechnen, es gibt etwa 3000 Euro. Einfach abschneiden, drastisch gesprochen, ist mit mehr als 10.000 Euro erheblich lukrativer.
In Deutschland werden jährlich circa 40.000 Beinamputationen durchgeführt, 70 Prozent davon bei Diabetikern. Vier von fünf könnten vermieden werden. Doch das System setzt hier einen fatalen finanziellen Anreiz. Folgeprobleme und die psychische Belastung durch den Beinverlust werden nicht berücksichtigt.
2002 haben ein Kollege und ich einen Aufruf unter Ärzten gestartet, um das Fallpauschalen-System zu verhindern. Gut 800 haben unterschrieben. Bewirkt hat es nichts. Viele Ärzte leiden, aber funktionieren. Wer sagt, ich mach‘ da nicht mit, dessen Klinik ist nach zwei Jahren pleite. Als ärztlicher Leiter bin ich jahrelang im Hamsterrad mitgelaufen. Meine Sorge ist das belastete Verhältnis zwischen Arzt und Patient: Das Vertrauen ist bei vielen erschüttert.
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