interview | Elena Matera

Expertin: „Andere Städte haben Berlin in Sachen Klimaschutz bereits überholt“

Berlin - Ist Berlin auf dem guten Weg eine nachhaltige Stadt der Zukunft zu werden? Nein, meint Martina Schäfer, Professorin an der TU-Berlin und Expertin im Zukunftskreis des Bundesforschungsministeriums. In Sachen Klimaschutz müsse Berlin aufholen, so die Soziologin und Biologin. Ein Gespräch über die Zukunft der Stadt, den Anreiz von Verboten und die Notwendigkeit zu experimentieren.

Berlin – Ist Berlin auf dem guten Weg eine nachhaltige Stadt der Zukunft zu werden? Nein, meint Martina Schäfer, Professorin an der TU-Berlin und Expertin im Zukunftskreis des Bundesforschungsministeriums. In Sachen Klimaschutz müsse Berlin aufholen, so die Soziologin und Biologin. Ein Gespräch über die Zukunft der Stadt, den Anreiz von Verboten und die Notwendigkeit zu experimentieren.

Berliner Zeitung: Frau Schäfer, eine aktuelle Studie zeigt: Berlin wird es nicht mehr schaffen, bis 2040 klimaneutral zu werden. War das zu erwarten?

Martina Schäfer: Das zeichnet sich schon länger auf Bundesebene, aber auch auf städtischer und auf der Landesebene ab. Berlin hat sich in den vergangenen Jahren bemüht und einiges auf den Weg gebracht, was Klimaschutz angeht. Aber das reicht nicht aus. Einiges von dem, was auf den Weg gebracht wurde, dauert natürlich auch seine Zeit – gerade wenn es bauliche Maßnahmen sind. Vieles scheiterte an zähen Koalitionsverhandlungen.

Zum Beispiel?


Das Mobilitätsgesetz, also der Fokus auf neue Mobilität mit mehr ÖPNV und Fahrradverkehr und weniger Autos. Dass dieses Gesetz auf den letzten Metern aus wahltaktischen Gründen gescheitert ist, war ein harter Rückschlag. Und da merkt man auch, dass der Mut, vor allem in der SPD, nicht da ist, diese Schritte zu gehen. Das ist sehr enttäuschend. Da stellt sich auch die Frage: Für wen macht man eigentlich die Politik?

Im besten Fall für die Menschen.


Eben und die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner ist zu Fuß unterwegs, doch das wird nicht beachtet. In Berlin ist der Anteil der Autobesitzer sehr viel geringer als in anderen Städten Deutschlands. Neue Mobilität, ein besserer Nahverkehr, bessere Bedingungen für das Fahrradfahren und Zu-Fuß-gehen – das würde allen extrem zugute kommen, gerade auch den sozial Schwächeren. Das Gleiche gilt für verkehrsberuhigte Zonen, die nicht nur in gentrifizierten Stadtteilen eingeführt werden sollten. Weniger Lärm und weniger Abgase hätten viele positive Auswirkungen auf die Gesundheit – und zwar für alle. Dass solche Veränderungen dann oft von einer kleinen Gruppe ausgebremst werden, ist schade. Da muss man sich überlegen, ob man eine Politik für eine Minderheit macht, die laut ist, oder für eine eigentlich neutrale oder gar positive Mehrheit.

Aber Berlin hat auch schon viel getestet, zum Beispiel die autofreie Friedrichstraße.


Und man sieht auch, dass sich das bewährt hat. Eine Beruhigung des Verkehrs führt zu einer höheren Aufenthaltsqualität. Berlin wird mittlerweile in Sachen Klimaschutz von andere Städten überholt. Paris hat etwa die 15-Minuten-Stadt ausgerufen. Innerhalb einer Viertelstunde soll jeder von seiner Wohnung zu Fuß oder mit dem Fahrrad alles erreichen können, was es zum Leben braucht – den Arbeitsplatz, Kitas, Schulen, Ärzte und mehr. Barcelona hat autofreie Wohngebiete durchgesetzt. Berlin ist eigentlich eine Stadt, die bekannt ist für ihre Innovationen und Experimente. Wir müssen aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren. Denn: Ohne Klimaschutz ist Berlin nicht zukunftsfähig.

Also sollte mehr experimentiert werden?


Genau. Hier kann man viel ausprobieren. Man muss dabei immer mit der Bevölkerung vor Ort sprechen und sich abstimmen. Gerade bei Vorschlägen, wie autofreie Zonen, muss man auch gewährleisten, dass es Radwege, einen gut funktionierenden ÖPNV und Fußwege als Alternative gibt. Durch Beteiligung und Experimente kann man viel erreichen und ein Gefühl dafür bekommen, wie die Stadt der Zukunft aussieht. Berlin hat Potenzial und das müssen wir besser nutzen.

Was müsste Berlin noch ändern, um eine nachhaltige Stadt der Zukunft zu werden?


Gerade bei Gebäuden entstehen in Berlin die meisten CO2-Emissionen. Die energetische Sanierung ist daher extrem wichtig. Momentan haben wir allerdings nur ein Prozent sanierter Gebäude pro Jahr. Das haut vorne und hinten nicht hin. Die entscheidende Frage ist: Wie werden die Kosten umgelegt? Gerade sozial Schwache dürfen durch die Sanierungen nicht zusätzlich belastet werden. Da könnte sich Berlin zum Beispiel mit spezifischen Fördermaßnahmen hervortun und auch mit öffentlichen Gebäuden vorangehen. Und man sollte neue Modelle finden, den Wohnraum zu reduzieren. Denn die durchschnittliche Wohnfläche pro Person ist viele Jahre lang stetig gestiegen – das belastet die Klimabilanz.

Und wie soll das funktionieren?


Wir brauchen mehr gemeinschaftliche Nutzung, zum Beispiel Waschräume, Aufenthaltsräume, Werkstätten. Dadurch könnte man Wohnraum sparen. Es gibt auch schon seit längerem Angebote wie Mehrgenerationenhäuser, gemeinschaftliche Wohnprojekte, die man ausbauen könnte. Bei dem aktuell aufgeheizten Immobilienmarkt haben solche Gruppen aber häufig keine Chance, Flächen zu erhalten. Letztendlich gilt auch im Wohnbereich: Wir müssen Erfahrungen sammeln, experimentieren, um zukunftsfähig zu werden. Das Gute ist: Wir haben viele Akteure und kreative Menschen in Berlin, die Lust haben, neue Modelle auszuprobieren.

Sollte auch mehr neu gebaut werden?


Wir brauchen viel mehr klimagerechten Sozialwohnungsbau. Das Problem: Neubauten, die heute gebaut werden, aber nicht klimafreundlich sind, stehen dann erst mal 30 bis 40 Jahre. Das kann nicht sein. Wir brauchen schon heute klimaneutrale Neubauten. Problematisch ist leider derzeit auch der Handwerkermangel. Dadurch verlangsamt sich natürlich der gesamte Bauprozess. Und was klimafreundliches Bauen betrifft: Man hat es sehr lange mit ökonomischen Anreizen versucht. Aber es reicht nicht. Ich hoffe, dass die neue Landesregierung das Thema sozial- und klimagerechtes Wohnen und Bauen konsequenter angehen wird.

Mit Verboten?


Ich würde sie eher als ordnungsrechtliche Maßnahmen bezeichnen, die neben ökonomischen Anreizen ein ganz normaler Bestandteil eines sinnvollen Policy Mix sind. Zum Beispiel sollte das Verbot fossiler Heizstoffe irgendwann kommen. Verbote sind letztendlich sehr konkrete Anreize für Unternehmen und Privatpersonen, sich umzustellen. Die Vorgaben gelten ja immer nicht von heute auf morgen, sondern werden langfristig angekündigt, sodass man sich darauf einstellen kann. Nehmen wir als Beispiel die Automobilindustrie: Die muss sich nun darauf vorbereiten, zukünftig keine Verbrenner-Autos mehr zu produzieren. Damit hätten wir schon vor zehn oder zwanzig Jahren anfangen können, indem wir eine ordnungsrechtliche Maßnahme vorgegeben hätten. Mittlerweile setzen die Automobilhersteller auch aufgrund internationaler Konkurrenz selbst auf Elektromobilität, aber das Tempo ist einfach zu gering. Das gleiche gilt für Energieunternehmen. Da fehlten lange Zeit klare Vorgaben, die dann auch für entsprechende Innovationen gesorgt hätten.

Viele stehen Verboten sehr kritisch gegenüber. Es bedeutet ja auch eine Einschränkung.


Das Rauchverbot und die Gurtpflicht wurden in der Vergangenheit auch stark kritisiert. Aber als diese Regelungen da waren, hat man erkannt: Das nutzt allen. Und ich denke, so wird es auch mit Klimaschutz-Maßnahmen funktionieren, sei es im Bereich des Verkehrs oder bei Gebäuden. Es ist ein Nutzen für das Gemeinwohl und wenn man das so argumentiert, dann wird die Akzeptanz auch da sein. Letztendlich muss Berlin klimaresilienter werden, damit es den Menschen auch in Zukunft gut gehen wird.

Viele Maßnahmen, wie die CO2-Bepreisung, die Anschaffung eines E-Autos oder eine Fleischsteuer kosten viel. Können Sie verstehen, dass viele Menschen sich daher gegen solche Vorschläge wehren?


Ja, ich verstehe das. Aber das Missverhältnis liegt woanders, und zwar bei den Mieten. In Berlin geben die Menschen teilweise 30 bis 40 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen aus. Essen, das klimagerecht erzeugt wurde, oder ein E-Auto können oder wollen sie sich dann nicht leisten – verständlicherweise. Aber warum verurteilen wir dann, dass das Benzin, die Energie oder das Fleisch teurer werden? Denn es geht ja darum, dass wir eine klimafreundliche Zukunft schaffen. Das eigentliche Problem ist doch, dass wir für das Wohnen einen so großen Anteil des Einkommens ausgeben. Da muss man versuchen entgegenzuwirken. Es würde viel mehr Spielraum für diese scheinbar teuren Klimaschutzmaßnahmen geben, wenn wir nicht so extrem viel für das Wohnen ausgeben müssten. Mittlerweile ziehen ja viele Familien ins Umland von Berlin.

Weil die Stadt zu teuer geworden ist?


Genau. Auch vor Corona gab es bereits eine Tendenz für diesen Wegzug. Viele Familien können sich die hohen Preise in den Städten wie Berlin einfach nicht mehr leisten. Corona hat den Wegzug nochmals verstärkt, gerade weil vielen Arbeitnehmern, aber auch Arbeitgebern klar wurde: Homeoffice kann funktionieren.

Wird sich dieser Trend in Zukunft weiter verstärken?


Ich bin davon überzeugt. Aber der ländliche Raum muss auch attraktiver werden. In Brandenburg gibt es in manchen Gebieten kein schnelles Internet – die Voraussetzung zum Homeoffice. Auch gute Schulen und Kindergärten sind ein wichtiges Argument. Man kann den Menschen außerdem nicht sagen: Verzichtet auf das Auto, versucht mit der Bahn zu fahren, wenn es gar keine gibt. In Ostdeutschland wurden seit der Wiedervereinigung 40 Prozent des Schienennetzes abgebaut. Das ist sehr bedauerlich. Momentan wird die Strecke Richtung Stettin wieder ausgebaut, weitere Strecken müssen folgen. Wir brauchen im ländlichen Raum nicht nur mehr Regionalzüge, sondern auch einen besseren Nahverkehr und Lösungsansätze, wie man verschiedene Verkehre kombinieren kann. Auch hier muss man experimentieren, um weiterzukommen und eine klimafreundliche Zukunft zu schaffen.

Wenn Sie einen Blick in das Jahr 2050 werfen könnten. Wird Berlin weiterhin attraktiv für die Menschen sein?


Berlin war eigentlich immer ein großer Anziehungspunkt für Künstler, Start-ups, Kreative. Das lag auch daran, dass Berlin bekannt war für günstige Räume, leer stehende Gebäude. Das hat sich mittlerweile geändert. Es kann daher gut sein, dass sich die kreative Szene immer mehr ins Umland oder andere Städte verlagert und Berlin unattraktiver wird, weil es einfach nicht mehr bezahlbar ist. Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir 2050 keine klimaneutrale, moderne und intelligente Stadt sein und den Anschluss zu anderen Städten längst verloren haben. Das können wir verhindern, wenn wir nun möglichst konsequent in Sachen sozialverträglicher Klimaschutz vorangehen.

Das Gespräch führte Elena Matera.


via www.berliner-zeitung.de