Eine von Vielen
An einer Waldorfschule wurden Schüler über Jahre hinweg systematisch missbraucht. Doch Lehrer, Eltern und Schulleitung schauten weg.
Hinter der gelben, bröckelnden Fassade nimmt ein Mann Abschied. Ein letztes Mal
sitzt Fabian Stoermer in dem schwarzen
Bürostuhl, der bald seinem Nachfolger
gehört. Bienenwachskerzen stehen auf der
Fensterbank, Bilder von Engelsstatuen hängen an der Wand. Über dem Schreibtisch,
direkt vor Stoermers Gesicht, baumelt ein
silbernes Senkblei. »Es zeigt, ob Dinge im
Lot sind«, sagt er und streift mit beiden
Händen die Falten aus seiner weißen Hose.
15 Jahre lang war Stoermer Direktor
an der Waldorfschule in Schwäbisch Hall.
Einige Tage zuvor, im August 2021, hat er
seine Kündigung eingereicht. Kurz nachdem ein Lehrer, der unter seiner Leitung
unterrichtete, wegen sexuellen Missbrauchs
verurteilt worden war. Er gehe nicht aus
Angst, betont Stoermer. Sein Rücktritt
habe nichts mit den Vorfällen zu tun. »Es
ist wichtig, dass eine Institution zeigt, dass
etwas schiefgelaufen ist«, sagt er. Deshalb
möchte er reden.
Stoermer lehnt sich nach vorn, auf seinem runden Gesicht sitzt eine rahmenlose
Brille, er lächelt unentwegt. Während seiner gesamten Schulzeit habe er von keinem
einzigen Übergriff etwas mitbekommen.
Von keinem seiner Lehrer. Deshalb habe er
auch nichts unternehmen können.
…
Mehr in: Zeit Verbrechen, Ausgabe 17/22 oder unter ZEIT online: https://www.zeit.de/zeit-verbrechen/2022/17/waldorfschule-sexueller-missbrauch-schwaebisch-hall
Foto: @ Paulina Hildesheim
https://shop.zeit.de/die-zeit-und-magazine/zeit-verbrechen/8015/zeit-verbrechen-17/22
via www.zeit.de