review | Claudia Berg

Das Monster unter dem Bett

Kennen Sie Billie Eilish? Nicht? Dann ist jetzt der Punkt gekommen, das zu ändern. Denn die Sängerin ist spätestens seit dem Erscheinen ihres Debütalbums "When We All Fall Asleep, Where Do We Go?" drauf und dran, der nächste Stern am Pop-Himmel zu werden.

Kennen Sie Billie Eilish? Nicht? Dann ist jetzt der Punkt gekommen, das zu ändern. Denn die Sängerin ist spätestens seit dem Erscheinen ihres Debütalbums „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ drauf und dran, der nächste Stern am Pop-Himmel zu werden. Doch nicht durch weichgespülte Gute-Laune-Texte und eingängige Melodien, sondern durch Depressionen, Horror und experimentelle Klänge. Und all das mit gerade einmal 17 Jahren.

Was an Billie Eilish auf den ersten Blick auffällt, sind ihre Haare: mal Silber, mal Grün und aktuell Grau-Blau. Die Sängerin schert sich nicht darum, was andere über sie denken. Und das lässt sich auch auf ihre Musik übertragen. „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ offenbart einen schonungslosen Einblick in Billies Gefühlswelt.

Viele Texte erwecken den Anschein, man müsse sich Sorgen um die 17-Jährige machen. Doch tatsächlich ist es die Faszination für das Düstere, die Billie dazu bringt, diese Texte zu schreiben. Sie liebt Horrorfilme, Albträume und Unkonventionelles. Schon das Cover zeigt eine weiß gekleidete Billie mit diabolischem Grinsen und Augen ohne Pupillen, die auf ihrem Bett sitzt. „Bury A Friend“ ist der Perspektivwechsel zum Monster unter dem Bett, das mit den eigenen Ängsten spielt und eine beunruhigende Stimmung erzeugt. Dann noch die Musik; ein unruhiger, schneller Rhythmus wird immer wieder vom verzerrten Geräusch eines Zahnarztbohrers unterbrochen.

Größtenteils ist es aber nicht der Bohrer, der die Schmerzen verursacht, sondern die Liebe. So viele Herzensbrüche in erst 17 Jahren Lebenszeit, doch Billie ist eben kein normaler Teenager, wie sie dem Zeit Magazin sagte: „Eine Weile, als ich elf oder zwölf war, habe ich dennoch versucht, all die normalen Dinge zu tun, die Mädchen in dem Alter so tun. Es hat nicht funktioniert, es waren die schlimmsten Jahre meines Lebens“. Gut so, denn die gebrochenen Herzen lassen fantastische Songs entstehen. Billie geht damit clever sarkastisch um („Wish You Were Gay“) oder abschließend, um Distanz zu schaffen („When The Party’s Over“). Der Song „Xanny“ fällt ein wenig aus dem inhaltlichen Raster, hier reflektiert sie den Konsum von Xanax, ein Angstlöser, der sich in den vergangenen Jahren vor allem bei US-Rappern erschreckender Beliebtheit erfreute. Zum Glück lässt Billie die Finger davon: „I Don’t Need A Xanny To Feel Better“.

Klanglich weist das Album eine faszinierende Vielfalt auf, von Balladen, die nur von Klavier oder Gitarre begleitet werden über elektronischen Pop bis hin zu Hip-Hop-Einflüssen wechselt die Begleitung fast von Lied zu Lied. Über allem singt Billie mit einer zarten, oft säuselnden, manchmal flüsternden Stimme. Ein bisschen erinnert sie an Lana del Rey oder Lorde, doch mit mehr Energie. Am stärksten ist der Titel „You Should See Me In A Crown“: Billie lullt den Hörer mit ihrer leichten Stimme ein, bevor die Musik aussetzt und mit einem wuchtigen Bass und ratternden Hi-Hats wieder einschlägt.

Das erste Mal machte die Sängerin 2016 auf sich aufmerksam, als sie den Song „Ocean Eyes“ auf dem Musikportal Soundcloud veröffentlichte und direkt einen Plattenvertrag bekam. Das Lied schrieb ihr älterer Bruder Finneas, mit dem sie bis heute im heimischen Schlafzimmer Musik produziert und schreibt. Billie Eilish ist ein Star, der perfekt in den Zeitgeist passt und eine Generation abbildet, die sich an Musik auf silbernen Scheiben genauso wenig erinnert wie an Jahreszahlen, die mit einer 19 beginnen.

Benedikt SchermDarkroom/Interscope, digital ca. 11, CD ca. 18 Euro.

via www.pnp.de