Reportage | Katharina Wecker

Südsudan: Wie Susana als erste Basketballtrainerin ihr Land verändern will

Susana trainiert ein Männerteam. In einem von Bürgerkrieg zerrüttetem Land, in dem drei von vier Mädchen keine Schule besuchen und traditionell die Rolle der Hausfrau übernehmen, gleicht das einer kleinen Revolution.

Susana Awal Gol läuft am Spielfeldrand auf und ab, klatscht in die Hände, ruft „go, go, go“ und wirft dann ihre Arme frustriert in die Luft. Einer ihrer Spieler hat gerade wieder den Ball verloren. Ausgerechnet heute. Die Gewinner des Play-offs in Südsudans Hauptstadt Juba dürfen nach Tansania reisen, um an einem ostafrikaweiten Basketballturnier teilzunehmen. Drei Pokale hat Susana mit ihrem Team diese Saison schon geholt. Doch sie möchte auch heute unbedingt gewinnen, um endlich alle Kritiker*innen zum Schweigen zu bringen. Denn dass sie als erste Basketballtrainerin des Landes ein männliches Team trainiert, finden nicht alle gut. „Eine Frau im Basketball? Die Menschen denken, dass es dich verdirbt“, sagt Susana.

Der Südsudan ist für seine Basketballspieler weltweit berühmt. Die Nomad*innenvölker im Norden des Landes gelten als die großgewachsensten Menschen der Welt. Einer der zwei größten Spieler in der Geschichte der US-amerikanischen Basketball-Pofiliga NBA war der Südsudanese Manute Bol mit 2,31 Metern. Momentan spielen drei Südsudanesen in der NBA, worauf das ganze Land stolz ist. Basketball ist Nationalsport im Südsudan, fast beliebter als Fußball, und war lange Männersache. Bis Susana kam.

Die 25-Jährige entdeckte ihre Leidenschaft für den orange-braunen Ball vor sieben Jahren. In ihrem Heimatort Rumbek in der Mitte Südsudans sah sie eines Tages nach der Schule ein paar Jungs Basketball spielen. Wochenlang kam sie jeden Nachmittag vorbei und schaute zu, bevor sie sich traute, mitzuspielen. Ihre Familie war dagegen, dass sie mit Basketball anfing. Es schickt sich nicht für Mädchen, fanden sie. Also spielte Susana heimlich. Wenn ihre Eltern nicht zu Hause waren, rannte sie auf den Freedom Square, wo der Basketballkorb stand. Drei Minuten dauerte es von ihrem Haus zu dem Platz. An den meisten Tagen schaffte sie es unbemerkt nach Hause, bevor ihre Eltern zurückkamen. Manchmal wurde sie erwischt. Dann gab es Ärger, Schläge. Abhalten ließ sie sich dadurch nicht.

Ablenkung vom Bürgerkrieg

Zwei Stunden vor dem wichtigen Spiel sitzt Susana aufgeregt auf ihrem Sofa und wippt mit dem Fuß. Die ganze Nacht konnte sie nicht schlafen. Susana wohnt mit einer Freundin zusammen in einer acht Quadratmeter großen Holzhütte in einem staubigen Hinterhof. Die Wände sind dekoriert mit mexikanischen Telenovela-Filmpostern und hellbraunen Tüchern, neben dem Sofa stapeln sich ihre Turnschuhe. WGs sind ungewöhnlich für Südsudan. Üblicherweise ziehen Frauen erst bei ihren Eltern oder Verwandten aus, wenn sie heiraten. Doch Susana wollte näher am Basketballstadion wohnen. Als sie wegen dem Bürgerkrieg von ihrem Heimatort nach Juba floh, wohnte sie zuerst bei einem Onkel am Stadtrand. Jeden Tag verbrachte sie zwei Stunden im Bus, der wegen ungeteerten und mit Schlaglöchern versehenen Straßen auch für kurze Strecken lange brauchte. Viel Zeit, die sie lieber zum Trainieren nutzen wollte. Also setzte sie sich wieder gegen ihre Familie durch. Leise und konsequent. „Ich widerspreche nicht, ich streite mich nicht. Ich mache einfach mein Ding“, sagt sie, während sie ihre Turnschuhe, Jogginghose und ihr Trikot zusammensucht.

Einige Hundert Meter weiter von ihrem Haus sammeln sich die ersten Zuschauer*innen im Basketballstadion im Zentrum der Stadt. Jedes Spiel gleicht einem Großereignis und ist eine willkommene Ablenkung vom Bürgerkrieg. Nach einem jahrzehntelangen Konflikt feierte Südsudan 2011 seine Unabhängigkeit vom Sudan. Doch der Friede in der jüngsten Nation der Welt währte nicht lange. Im Jahr 2013 brachen Kämpfe zwischen dem Präsidenten Salva Kirr und seinem ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar aus. Zehntausende Menschen sind seitdem ums Leben gekommen, manche Hilfsorganisationen gehen sogar von Hunderttausenden Toten aus, vier Millionen wurden zur Flucht gezwungen und schätzungsweise die Hälfte der Bevölkerung leidet unter einer Hungersnot. Anfang August haben die Konfliktparteien ein Friedensabkommen unterzeichnet – wie schon einige Male in den vergangenen fünf Jahren. Die Menschen hoffen, dass es diesmal hält.

Die Lage in der Hauptstadt ist relativ sicher. Freizeitmäßig gibt es für junge Menschen allerdings wenig zu tun. Das einzige Kino der Stadt wurde vor Jahren geschlossen, nachts Clubben ist zu gefährlich, Essengehen zu teuer. Basketballspiele sind dagegen für die Meisten zugänglich. Eine Eintrittskarte kostet zehn südsudanesische Pfund (etwa 0,07 Euro). Im Stadion treffen sich Freund*innen und Bekannte, begrüßen einander mit Handschlag. An diesem sonnigen Nachmittag im August sind besonders viele Zuschauer*innen gekommen, um das Play-off zu sehen. Die Spieler machen sich warm, schwitzen. Die Zuschauer*innen schwitzen ebenfalls, selbst auf den schattigen Plätzen auf der Tribüne. Es ist ungewöhnlich heiß für die Regenzeit. Ein Soldat mit Maschinengewehr in der Hand sitzt mit zusammengekniffenen Augen in der Ecke, die tiefstehende Sonne scheint ihm direkt ins Gesicht.

Einige Spieler hatten Vorbehalte, aber die sind vergessen

Noch ein paar Minuten bis zum Anpfiff. Susana steht mit ihren Spielern im Kreis, steckt die Köpfe zusammen, gibt letzte Anweisungen. Vor drei Jahren hat sie Deng Aldo, der Trainer der Mannschaft Nimra Talata, gefragt, ob sie nicht selbst Coachin werden wolle. Er reist viel und arbeitet international. Das hat seinen Blick auf die Rolle der Frau in der südsudanesischen Gesellschaft verändert. „In unserer Kultur ist es sehr schwer für Frauen, sich ihren Platz zu erobern“, sagt Aldo. Nun möchte er gezielt Frauen im Basketball fördern. Doch nicht alle sehen das so wie er. „Viele Leute waren dagegen, dass Susana Trainerin wird, noch heute sind viele nicht damit einverstanden“, sagt er. „Aber sie ist eine sehr starke Frau und das Gute ist, dass die Spieler ihr vertrauen.“

Seit knapp drei Jahren trainiert sie nun das Team der Nimra Talata. Einige Spieler gestehen, dass sie es am Anfang komisch fanden, eine Coachin zu haben. Doch sie konnte mit ihren Erfolgen beeindrucken und überzeugen. „Sie macht ihre Sache richtig gut, wir haben schon drei Pokale diese Saison gewonnen,“ sagt Maker, ein 19-jähriger Spieler, der vor einem Jahr von der Konkurrenz Black Stars in Susanas Team wechselte. Susana sagt, sie sehe keinen Unterschied zwischen sich und den männlichen Spielern und das sei der Grund, warum die Mannschaft sie respektiere: „Bis auf ein paar Organe sind wir gleich. Ich gebe alles, blocke mit meinem ganzen Körper, fahre meine Ellbogen aus.“ Weil in Juba nur wenige Frauen Basketball spielen, trainiert sie selbst hauptsächlich mit Männern. „Ich zeige den Männern damit, dass Frauen die gleichen Fähigkeiten haben wie Männer“, sagt sie.

Geredet wurde und wird immer noch viel über Susana, die erste Basketballtrainerin des Landes. Wenn sie ein Spiel verlor, wurde sie aus den Zuschauerrängen beschimpft. Nicht weil ihr Team verloren hat, sondern weil sie eine Frau ist. Sie hat sich angewöhnt, nicht auf das Gerede der Menschen zu hören, die sagen, Frauen hätten auf dem Basketballplatz nichts zu suchen. „Wenn Leute sagen, ich kann das nicht, dann beweise ich ihnen, dass ich es doch kann. Anerkennung ist meine Rache“, sagt sie. Mittlerweile hat auch ihre Familie den Sport akzeptiert. Ihre Siege wurden im Radio bekanntgegeben. Nachbar*innen kamen zum Gratulieren. „Sie haben gesehen, dass es nichts Schlechtes ist, dass es weder mich noch sie in irgendeiner Weise negativ beeinflusst. Und es hat sie berühmt gemacht“, sagt sie und lacht.

Susana lacht generell viel und oft. Doch auf dem Basketballplatz ist davon heute nichts zu sehen. Ihr Team, die Nimra Talata mit den Elefanten auf dem Trikot, scheinen nicht ganz bei der Sache zu sein. Sie verlieren oft den Ball, werfen daneben. Der Kommentator wundert sich ebenfalls. „Was ist bloß mit den Nimra Talata los?“, brummt seine Stimme aus den Lautsprechern. Er kommentiert jede Bewegung der Spieler, unterbricht nur kurz alle paar Minuten, um Werbung für einen Handynetzanbieter zu machen, den Sponsor des Stadions.

via www.zeit.de