review | Hannah El-Hitami

Nach den Verhören, wenn er in die Zelle zurückgebracht wurde, versuchte Mohammed el Gharani zu lächeln. "Die schlimmen Wärter waren zufrieden, wenn sie uns krank und traurig sahen", erinnert er sich an seine Zeit in Guantánamo. "Ich wollte ihnen diese Freude nicht machen."

Nach den Verhören, wenn er in die Zelle zurückgebracht wurde, versuchte Mohammed el Gharani zu lächeln. „Die schlimmen Wärter waren zufrieden, wenn sie uns krank und traurig sahen“, erinnert er sich an seine Zeit in Guantánamo. „Ich wollte ihnen diese Freude nicht machen.“ So steht es in der Graphic Novel „Guantanamo Kid“ des französischen Journalisten Jérôme Tubiana und des Zeichners Alexandre Franc. Darin erzählen sie die Geschichte eines Guantánamo-Insassen, der unter den unmenschlichsten Bedingungen seine Würde bewahrt und überlebt, indem er sich auflehnt.

„Mohammed sprach lieber über die Momente, als er Siege gegen das System errang, als über die Momente des Leids“, sagt Tubiana, der Gharanis Geschichte schon 2011 aufgeschrieben hatte. Gharani war siebeneinhalb Jahre lang unschuldig im berüchtigten US-amerikanischen Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba eingesperrt. Dennoch wird er auf 150 Seiten Comic nicht als Opfer, sondern als rebellischer Vorkämpfer des alltäglichen Widerstands im Lager dargestellt. Und das trotz seinem Alter: Gharani war erst 14, als er 2002 nach Guantánamo Bay gebracht wurde.

Die Graphic Novel startet in der saudiarabischen Pilgerstadt Medina, wo der Sohn einer aus dem Tschad eingewanderten Familie als Strassenverkäufer arbeitet. 2001 geht der 14-Jährige nach Pakistan, wo er Englisch und Informatik lernen will. Nach den Anschlägen des 11. September wird Gharani beim Verlassen einer Moschee von der pakistanischen Polizei festgenommen und den US-Behörden übergeben. Sie werfen ihm vor, Mitglied einer al-Qaida-Zelle in London gewesen zu sein. Er wird nach Guantánamo gebracht und als „feindlicher Kämpfer“ festgehalten. Als alleiniger Beweis für seine Schuld gelten die widersprüchlichen Statements zweier Mitgefangener.

Während seiner gesamten Haft ist Gharani ein Stachel im Fleisch des Gefängnissystems.

Während seiner gesamten Haft ist Gharani ein Stachel im Fleisch des Gefängnissystems. Er treibt die Wärter mit einer jugendlichen Aufmüpfigkeit vor sich her, die diesen Bericht aus einem der härtesten Gefängnisse der Welt fast wie die Coming-of-Age-Geschichte eines rebellischen Teenagers wirken lässt. Auch ästhetisch erinnert die Graphic Novel an ein Abenteuer-Comicbuch für ein junges Publikum. Mit schwarz-weiss gehaltenen, klaren Linien karikiert der Zeichner Alexandre Franc die Charaktere des Gefängniskosmos.

Im Epilog von „Guantánamo Kid“ berichtet Tubiana von seinem Treffen mit Gharani 2017, nach acht Jahren Freiheit. Als tschadischer Staatsbürger durfte er nach seiner Freilassung nicht zu seiner Familie nach Medina zurückkehren, sondern wurde in den Tschad gebracht. Er wurde seitdem immer wieder grundlos inhaftiert und darf das Land nicht verlassen. Das Stigma und das Trauma von Guantánamo verfolgten den ehemaligen Insassen, sagt Tubiana im Telefongespräch. Er wisse jedoch, dass Gharani sich immer wieder aufraffen werde. „Er verliert nie die Hoffnung und hat immer einen Plan B.“

Jérôme Tubiana und Alexandre Franc: Guantanamo Kid. Carlsen, Hamburg 2019, 176 Seiten.

via www.amnesty.ch