interview | Hannah El-Hitami

Sie haben Syrien 2013 verlassen, haben gut ein Jahr in Beirut und Istanbul gelebt und musiziert. Wieso haben Sie sich schließlich dafür entschieden, nach Berlin zu ziehen? Ich fragte bei all meinen Freunden in Europa herum, wo ich als syrischer Musiker leben und arabische Musik spielen kann.

Geige, Kanun, Oud, Percussion (v.l.), Nay und natürlich Gesang: Am neuen Institut werden die klassischen Instrumente arabischer Musik gelehrt.

Sie haben Syrien 2013 verlassen, haben gut ein Jahr in Beirut und Istanbul gelebt und musiziert. Wieso haben Sie sich schließlich dafür entschieden, nach Berlin zu ziehen?

Ich fragte bei all meinen Freunden in Europa herum, wo ich als syrischer Musiker leben und arabische Musik spielen kann. Es wurde schnell klar, dass Berlin die richtige Entscheidung ist, weil die Stadt sehr offen für andere Kulturen ist. Sie heißt alle willkommen und hat für alle Platz. Wenn man durch die Straßen Berlins läuft, hat man das Gefühl, dass man jeden Moment einer Person aus jedem möglichen Teil der Welt begegnen könnte.

Nun haben Sie in Berlin das Arabische Musik-Institut, kurz AMI, gegründet, wo Sie arabische Musik unterrichten. Wie sah Ihre eigene Musikausbildung in Syrien aus und wie hat diese Sie geprägt?

Ich habe mit fünf Jahren angefangen, Geige zu lernen, dann Klavier und mit zehn Jahren Oud. Zunächst habe ich an einem renommierten staatlichen Institut gelernt, doch dann wechselte ich zu lokalen Schulen, weil ich arabische Musik an ihrer Quelle lernen wollte. In Syrien ist die musikalische Bildung mit vielen Problemen verbunden. Das Hohe Musikinstitut ist der einzige Ort, wo man auf akademischem Level Musik lernen kann – aber keine arabische Musik.

Der Staat hatte damals überhaupt kein Interesse an arabischer Musik, und die Verantwortlichen für musikalische Bildung waren sogar dagegen. Der Fokus lag auf europäischer klassischer Musik. Ich hatte zwar Lehrer vom Hohen Musikinstitut, aber sie haben mich privat unterrichtet, sodass wir unsere eigenen Schwerpunkte setzen konnten. Bis heute bin ich in Kontakt mit Dozenten und Schülern am Hohen Musikinstitut und frage sie nach Lehrbüchern für arabische Musik, die ich hier nutzen kann. Es gibt einfach keine. Mein Traum ist, einen Lehrplan und ein Lehrbuch für die Oud zu entwickeln. Ich wollte das in Syrien tun, aber dann kam die Revolution dazwischen. Nun mache ich es in Berlin.

Gibt es hier denn genügend interessierte Musikschüler*innen?

Es gibt viele Syrer und Araber hier – und auch schon viele Konzerte mit arabischer Musik. Ich war überrascht, wie gut die Musik bei Berlinern, ob Deutsche oder Ausländer, ankommt. Ich fragte mich also, warum es nicht auch eine akademische Plattform dafür geben könnte. Jetzt mache ich den ersten Schritt, aber es werden natürlich eine kollektive Anstrengung und viel Expertise nötig sein. Ich will einen Ort schaffen, an dem Musiker aus Berlin oder sogar aus ganz Deutschland zusammenkommen und ihr Können an die nächsten Generationen weitergeben.

Kinder mit ausländischen Eltern, die hier geboren werden, können ihre Muttersprache oft nicht mehr richtig sprechen. Passiert das gleiche mit der Musik?

Die Kinder von Migranten verlieren den Bezug zur Muttersprache, zur Heimat, zur Kultur, weil sie sich hier integrieren müssen. Am besten wäre es aber doch, wenn man Kinder nicht von ihrer kulturellen Herkunft abschneidet und sie gleichzeitig an die deutsche Kultur anbinden würde. Dann hätte das Kind nicht nur eine, sondern zwei Kulturen. Wir versuchen das durch Musik zu unterstützen. Meine Tochter Leila ist sechs Monate alt. Für sie und für alle, deren Eltern ihre Heimat verlassen haben, wünsche ich mir, dass sie die Kultur als Heimat beibehalten können. Meine Identität ist mein Sound, den ich überallhin mitnehme. Sie muss nicht mit anderen im Widerspruch stehen, sondern wir können uns gegenseitig damit bereichern.

Ihre Schule richtet sich also vor allem an arabische Kinder?

Die Deutschen, die wir bisher hier unterrichten, sind bereits erwachsen und Musiker. Deutsche Kinder, die sich für arabische Musik interessieren – das ist noch eine Herausforderung. Wir hoffen sehr auf mehr deutsche Schüler. Denn es ist zwar ein arabisches Musikinstitut, aber das heißt keinesfalls, dass es ein Institut für Araber ist. Für jedes Kind, egal was es für ein Instrument lernt, ist es bereichernd, eine andere Art von Klängen kennenzulernen. Außerdem ist in der arabischen Musik sehr viel Raum für Improvisation. So lernen Kinder, wirklich Musik zu machen und nicht nur Noten abzulesen und zu spielen.

Jetzt noch mal zu den Basics: Was für Instrumente kann man bei Ihnen am Institut lernen und wie läuft das ab?

Zurzeit haben wir pandemiebedingt nur Einzelunterricht, vier Stunden im Monat pro Schüler. Wir unterrichten die klassischen Elemente der orientalischen Musik: Oud, Geige, Kanun, Nay, Percussion und Gesang. Das Kanun ist so etwas wie das Klavier der arabischen Musik. Die Geige ist der Zauber. Wenn mehrere zusammen spielen, klingt das surreal, wie ein Tanz auf Wolken. Die Nay-Flöte spielt die ganz hohen Töne und ist vor allem für Solos geeignet. Und die verschiedenen Percussion-Instrumente sind der Herzschlag im Körper der Musik. Sie geben die Energie und verbinden alle anderen Instrumente miteinander.

Sie spielen Oud, eine Vorgängerin der europäischen Laute, die auch danach benannt ist. Was ist die Funktion der Oud?

Die Oud ist die Freundin der Sänger und Komponisten. Sie ist dazu da, die Distanz zwischen Sänger und Zuhörer zu überbrücken. Und sie ist auch die Freundin aller, die die Theorie und Grundlagen der arabischen Musik lernen wollen. Ich kenne keinen wichtigen arabischen Komponisten, der nicht Oud spielt. Und selbst wenn Sänger kein Instrument spielen, so lernen sie die Basics der Oud, um die Musik von Grund auf zu verstehen.

Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen arabischer und europäischer Musik?

Die arabische Musik stützt sich auf eine sehr klare Melodie, auf eine Stimme. Die klassische Musik in Europa basiert hingegen auf der Harmonie von vielen Stimmen. Im europäischen Orchester ist es wichtig, dass viele Instrumente zur gleichen Zeit spielen. Da kann es eine simple Melodie geben, die dann von vielen aufgegriffen wird. Wir konzentrieren uns hingegen sehr auf die Melodie in all ihren Details. Ein weiterer Unterschied ist, dass wir Vierteltonmusik spielen …

Dabei werden Halbtöne unseres Notensystems noch einmal halbiert und es entstehen mehr Tonstufen …

Vor dem Barock wurde das auch hier in Europa genutzt, danach nur noch in der volkstümlichen Musik. Viertelton widerspricht der Harmonie, die für westliche klassische Musik wichtig ist. Aber für die arabische Musik ist der Viertelton eine absolute Grundlage.

Als ich ankam, haben Sie mit drei anderen Musikern für ein Konzert geprobt. Welche Aktivitäten hat das AMI außerhalb der Kurse noch geplant?

Wir wollen regelmäßig Konzerte geben, was wegen Corona natürlich erst jetzt möglich ist. Außerdem soll es ab nächstem Monat einen Chor geben, bei dem alle Schüler des AMI mitsingen und mitspielen können. Es ist eine wichtige Erfahrung, mit anderen Menschen Musik zu machen und nicht nur alleine oder mit dem Lehrer zu üben. Unser Institut wird zunächst für ein Jahr von dem Berliner Projektfonds „Durchstarten“ finanziert, aber ich habe es von Anfang an als langfristiges Projekt gesehen.

Die lange Ankunft. Zwei Geschwister aus Syrien finden in Deutschland wieder zueinander – doch der Schwester fällt die Integration schwer

Ihre Nay-Lehrerin ist Italienerin, der Kanun-Lehrer Japaner. Sie legen also keinen Wert darauf, nur arabische Lehrer*innen zu beschäftigen?

Anfangs war das mehr aus der Not heraus, aber jetzt bin ich froh darüber. Genau das ist doch Berlin: eine arabische Musikschule in Deutschland mit japanischen und italienischen Lehrern. Musik hat ja nichts mit der Herkunft zu tun. Kultur ist weder exklusiv, noch muss sie vererbt werden.

via www.nd-aktuell.de