4. September 2013

Wie naiv sind eigentlich Realisten?

Luke Skywalker, pardon, Michael Stepper hat auf den Offenen Brief der 1727 Jung-Journalisten an die Zeitungsverleger (siehe den vorherigen Blogbeitrag) eine geharnischte Antwort geschrieben: „Seid mir nicht böse, Ihr jungen Journalisten, aber vielleicht habe ich da auch einfach etwas falsch verstanden: Ihr fordert tatsächlich, dass Euch die Verleger die Hintern pudern, weil Ihr einen Traum vom unabhängigen Journalismus träumt?“ Stepper fordert die naiven „Jammerer“ auf, sich doch selbstständig zu machen mit eigenen Medien im Netz (Parole: Mach’s dir selbst). Was wiederum den Freien-Beauftragten des Deutschen Journalistenverbandes, Michael Hirschler, so in Wallung bringt, dass er sich ebenfalls zu einer geharnischten Antwort auf die geharnischte Antwort Michael Steppers bemüßigt fühlt: „Die Arbeit liegt eben nicht auf der Straße. Auch im Web 2.0 und der Internetwirtschaft gibt es einen weiten Armutsgürtel aus ‚Web-2.0-/Social-Media-/Google+-‚ und sonstigen Beratern, die mit Startups von Wirtschaftsförderung zu Wirtschaftsförderung betteln gehen müssen und längst nicht immer einen Abnehmer bzw. ‚Inkubator’ finden. Hartz IV ist auch in der Digitalwirtschaft ein Schambegriff, über den die feinen Leute der Medienrevolution nicht zu sprechen wagen (könnte sich ja auch besonders schnell herumtwittern lassen).“ Allerdings muss Hirschler zugeben, dass die Vergütungsregeln, die in jahrelanger und mühevoller Kleinarbeit zwischen Zeitungsverlegern und Gewerkschaften ausgehandelt worden sind, nicht funktionieren: „Deutsche Zeitungsverleger haben auch Vergütungsregeln mit Wirkung vom 1. Februar 2010 unterschrieben, in denen von höheren Honoraren und besseren Vertragsbedingungen und Beteiligungen samt Spesengeldern für Fahrtkosten etc. die Rede war. Doch diese wurden seitdem nur an ganz wenigen Zeitungen umgesetzt. Auch an der Zeitung des damaligen Verhandlungsführers, dem Bonner Generalanzeiger, wird einem Kreis von rund vierzig interessierten Freien die Anwendung der sieben Jahre verhandelten Honorare verweigert.“ Bleibt die Frage, ob es nicht kontraproduktiv ist, wenn Journalisten sich nun gegenseitig Naivität unterstellen und berechtigte Forderungen oder diskutable Alternativen als „unrealistisch“ abqualifizieren. Vielleicht sollten die Steppers und Hirschlers erst mal ihre Realismus-Rüstungen (= Harnische) ablegen.


Verwandte Artikel

Preise
24. Mai 2023

„Ich leiste strukturelle Arbeit, die lässt sich frei viel besser machen“

Unsere stellvertretende Vorsitzende Katharina Müller-Güldemeister hat sich für Freischreiber auf der Berliner Preisverleihung „Journalistin und Journalist des Jahres 2022“ des Medium Magazins rumgetrieben. Sie war... Weiterlesen
Termine
22. Mai 2023

Freischreiber wählt

Das Wochenende um den 17. Juni hat es dieses Jahr in sich: Die VG Wort kommt zusammen, das Netzwerk Recherche lädt zur Tagung ein –... Weiterlesen
Newsletter
11. Mai 2023

SZ, VG, KI – alles neu macht der Mai

Alles neu macht der Mai – ja hoffentlich! Der :Freischreiber-Vorstand hat im April jedenfalls weiter an unserer 15-Prozent-mehr-Honorar-Kampagne geackert und Chefredaktionen besucht, um für die Sache der Freien... Weiterlesen
taz
Fair auf Augenhöhe
28. April 2023

#15Prozent: taz, da geht noch was

Passend zum Tag der Arbeit am nächsten Montag geht es heute um einen der umstrittensten Auftraggeber unter freien Journalist:innen: die taz. Von den einen geliebt... Weiterlesen