Faire Rechte
16. September 2013

Unsere Wahlempfehlung

Sie ereifern sich noch über Steinbrücks Mittelfinger? Dann dürfen wir doch noch mal kurz auf Inhalte zu sprechen kommen.

Die verflossene Financial Times Deutschland hat die Wahlempfehlung in Deutschland etabliert. Das war umstritten, und bisher hat diese Tradition keine deutsche Zeitung je wieder aufgegriffen. Von wegen überparteilichem Journalismus und so. Freischreiber ist selbst Partei, für freie Journalisten. Deshalb sei die Frage erlaubt: Wen sollten freie Journalisten wählen, wenn sie ihre Interessen vertreten wissen wollen?

Zugegeben, der Medienwandel und das Urheberrecht sind jetzt nicht gerade die Straßenfeger dieser Bundestagswahl. Und sicher gibt es für jeden freien Journalisten jede Menge anderer Themen, die eine Wahlentscheidung beeinflussen.

Aber wir haben mal einen Blick in die Wahlprogramme geworfen, unter M wie Medien, unter U wie Urhebervertragsrecht oder V wie Verwertungsgesellschaften. Also sagen Sie hinterher nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt.

Die SPD

Die Medienkrise ist für die SPD eine Frage der Pressefreiheit. Um sie zu erhalten, müssten neue Modelle der Finanzierung gefunden werden, schreiben die Sozialdemokraten in ihrem Regierungsprogramm. Konsequent lehnen sie das Leistungsschutzrecht ab.

Sie bekennen sich zu einem fairen Ausgleich zwischen Nutzern und Verwertern sowie Urhebern und fordern eine entsprechende Reform. Wie die aussehen soll, da bleiben die Genossen dann allerdings recht vage und flüchten sich in Pathos. Die Verbindung zwischen Urheber und Werk bleibe „unverbrüchlich“, steht da dann.

Die SPD will „nach der Regierungsübernahme“ die Position des Urhebers stärken, hier werden „insbesondere die Journalisten“ erwähnt. Dafür müssten die im Urhebervertragsrecht vorgesehenen „Verhandlungs- und Konfliktlösungsmechanismen effizienter gestaltet werden“, was immer das im Detail heißen soll. Vielleicht ja das Verbandsklagerecht.

Die Sozialdemokraten wenden sich gegen die flächendeckende Filterung von Inhalten, um Urheberrechte durchzusetzen. Gewerbsmäßige Raubkopie-Plattformen sollen mit Sanktionen gegen die Werbetreibenden auf diesen Plattformen trockengelegt werden.

Und ganz wichtig: Die SPD bekennt sich zu ihrem eigenen Kind, das sie in den 70er-Jahren in die Welt gesetzt hat und das für viele freie Künstler und Journalisten eine wichtige soziale Absicherung bedeutet: die Künstlersozialkasse.

Freischreiber-Votum: Nicht ganz so deutlich wie unser Favorit. Aber die Sozialdemokraten sprechen die richtigen Punkte an. Eine klare Empfehlung.

Die Piratenpartei

Die Piraten sind nicht gerade als Urheberpartei bekannt, eher als Vertreter der Nutzer im Netz. Umso überraschender, dass ein ganzer Absatz überschrieben ist: „Stärkung von Urhebern“ und immerhin gleich nach „Stärkung von Nutzern“ kommt. Die Piraten entfalten ein kleines Feuerwerk an Ideen. Die Stellung des Urhebers müsse gegenüber dem Rechteverwerter gestärkt werden. Zum Beispiel dadurch, dass der Urheber Zweitverwertungsrechte an seinem Werk behält. Die Piraten wenden sich als einzige Partei explizit gegen Buy-out-Verträge. Die Rechte sollten, wenn sie etwa vom Verlag nicht genutzt würden, schnell wieder an den Urheber zurückfallen. Ausschließliche Nutzungsrechte sollen auf 20 Jahre begrenzt bleiben. Das Schicksal der Medienschaffenden entscheidet sich aus Sicht der Piraten im Digitalen – wo auch sonst? Das Stichwort Verlage sucht man im Wahlprogramm vergeblich.

Das klingt alles gut und fortschrittlich. Aber was sind diese ganzen Rechte wert, wenn ein Kapitel vorher zu lesen ist: „Die Nutzung von Tauschbörsen wird vollständig legalisiert“ und dass die Piraten die möglichst freie Verbreitung von Kultur für wünschenswert halten, weil sie sich positiv auf die Entwicklung des Kulturgütermarkts auswirke?

Freischreiber-Votum: Die Piraten kennen sich mit den Themen der Digitalisierung aus, das ist ihr Kernthema. Deshalb geben sie wichtige Stichworte für die Debatte um die Zukunft unseres Berufs, und man sollte sich damit beschäftigen. Aber sie bleiben eine Partei der Nutzer. Womit Urheber Geld verdienen, wenn möglichst alles frei zugänglich ist, ist eine unbeantwortete Frage.

Die CDU

Da soll noch einmal einer sagen, Angela Merkel hätte aus der Partei alle konservativen Spuren getilgt. Gleich am Anfang des Medienkapitels im „Regierungsprogramm“ der CDU werden Druckerzeugnisse als Kulturgut in der Gesellschaft gepriesen und ein Bekenntnis zum Vertriebsweg des Presse-Grosso abgelegt. Zwischen Denkmalschutz und „Würdigung der Reformation“ findet sich die Kreativwirtschaft im „Regierungsprogramm“ wieder. Auch die Union will das Urheberrecht „weiterentwickeln“, im digitalen Zeitalter müsse das geistige Eigentum geschützt werden, aber auch die berechtigten Interessen der Nutzer müssten berücksichtigt werden. Dafür seien technische und rechtliche Abwägungen notwendig. Und so merkelt es dann dahin.

Weiter unten dann immerhin ein Bekenntnis zur Künstlersozialkasse. Das vorrangige Ziel für die KSK sei es, „einen Anstieg des Abgabesatzes zu verhindern“. Hmm. Wer liest, was da gerade im Auftrag des Arbeitsministeriums von Ursula von der Leyen zur Reform der Künstlersozialkasse ventiliert wird, kann sich denken, was von einem solchen Bekenntnis bleibt.

Kein Wort sagt das Wahlprogramm zum Urhebervertragsrecht und wie es mit Verwertungsgesellschaften weitergehen könnte. Selbstkritische Worte zum total missglückten Leistungsschutzrecht hätten wohl ohnehin nur Naive erwartet.

Freischreiber-Votum: Alles mal angesprochen, keinen vergrätzen, das ist die Strategie. Das Leistungsschutzrecht haben wir der Regierung Merkel nicht verziehen. Darüber hinaus gibt das Wahlprogramm keinen Grund zu der Annahme, dass die CDU tatsächlich notwendige Reformen für uns im Blick hat. Lieber wird das Papier geschützt.

Die Linke

Was Medienpolitik angeht, ist die Linke bereits jetzt für SPD und Grüne koalitionsfähig. Zwar tragen aus ihrer Sicht die kommerziellen Medien wegen des Marktdrucks zur „Schwächung der Demokratie“ bei. Aber sie will trotzdem die Arbeitsbedingungen der Medien- und Filmmacher verbessern.

Die öffentliche Ausrichtung des Journalismus sei neu zu organisieren, findet die Linke – über alternative Finanzierungsmodelle, Mitbestimmung von Nutzerinnen und Nutzern bei Programminhalten und am Gemeinwohl orientierte Vergütungsansätze. Die Linke nennt die Chancen des Internets vor den Risiken. Das Netz ist für die Linke Menschenrecht, zu dem jeder Zugang haben soll. Es soll als ein „Raum sozialer Innovation“ offen bleiben. Urheberrechtsfragen sollen mit einem „modernen Patent- und Urheberrecht“ geregelt werden. Und dann ganz wichtig: Kreative sollen ihre Ansprüche auf angemessene Vergütung wirksam durchsetzen können. Da klingt das Verbandsklagerecht an. Auch die Verwertungsgesellschaften gehören aus Sicht der Linken reformiert.

Freischreiber-Votum: Kritisch den bestehenden Medien gegenüber, aber die Linke hat einen modernen Blick auf die digitale Veränderung und die richtigen Reformprojekte für Urheber auf der Liste.

Die FDP

Ja, so ist sie, die FDP, bekennt sich im einen Satz zur Künstlersozialkasse, um gleich einen Satz weiter die Axt anzusetzen: Man setze sich für eine Reform ein, bei der Unternehmen nur dann für kreative Leistungen in die KSK einzahlen müssen, wenn der Kreative in der KSK Mitglied ist. Dann wird künftig wohl jeder freie Journalist oder Corporate-Schreiber vor der Auftragsvergabe gefragt, ob er Mitglied der KSK sei. Ob man darauf wahrheitsgemäß antworten muss, sagen die Liberalen nicht.

Die FDP möchte Urheberrechtsverletzungen im Internet genauso konsequent verfolgen wie in der analogen Welt. Trotzdem setzt sich die FDP für einen gerechten Ausgleich zwischen Urhebern, Verwertern und Nutzern ein. Ein Wort zum Urhebervertragsrecht fehlt im Wahlprogramm, und das, obwohl die Justizministerin das einmal zu ihrem Thema gemacht hatte. Auch fehlt eine Entschuldigung dafür, als Liberale ein Gesetz wie das Leistungsschutzrecht mitgetragen zu haben.

Freischreiber-Votum: Mau bis (was die Reform der KSK angeht) gefährlich. Rechnet man die Minderleistung in den letzten vier Jahren im Bereich des Urheberrechts und den vollkommenen Fehlgriff beim Leistungsschutzrecht dazu bleibt nur eins: für Freie eigentlich unwählbar!

Bündnis 90/Die Grünen

Es gibt nur eine Partei, die namentlich freie Journalisten im Wahlprogramm erwähnt. Es sind die Grünen. „Die Anzahl der freien JournalistInnen nimmt seit Jahren zu“ steht da, „gleichzeitig wird ihre Bezahlung immer schlechter. Die sinkenden Zeilenhonorare haben negative Auswirkungen auf die Zeit für Recherche und damit die Qualität der Berichterstattung.“ Deshalb setzen sich die Grünen für Kontrolle und Durchsetzung der Vergütungsregeln ein. So klar benennt dieses Kernproblem keine andere Partei in ihrem Wahlprogramm.

Das Leistungsschutzrecht lehnen die Grünen weiterhin ab, weil die Gefahr bestehe, dass online verfügbare Informationen eingeschränkt würden. Stattdessen wollen sie auf der Basis wissenschaftlicher Erhebungen eine Debatte über die Zukunft des Journalismus ankurbeln: „Über Stiftungsmodelle und Geschäftsmodelle, unterstützende, indirekte und gezielte Förderung und die Rolle des Bürgerjournalismus. Zu klären ist, wie ein qualitativ hochwertiger, aber auch investigativer Journalismus in Zukunft finanziert oder gefördert werden kann, ohne die Verleger und Veranstalter aus ihrer Verantwortung zu entlassen.“

Auch die Verwertungsgesellschaften sollen nach dem Willen der Grünen transparenter werden. Die Grünen wollen stärker zwischen privater Kopie (kostenlos) und kommerzieller Nutzung (bezahlt) trennen. Um die Rechteklärung übersichtlicher zu gestalten, wollen die Grünen eine zentrale Stelle schaffen, bei der man Rechte erwerben kann. Wer freie Rechte einräumt, soll auch öffentlich gefördert werden.

Freischreiber-Votum: Nicht nur wegen der Farbe: Als Freischreiber fühlt man sich von Bündnis 90/Die Grünen verstanden. Bleibt nur die Frage, wie durchsetzungsfähig die Medienpolitiker in einer Regierung wären.

Die AfD

Die Alternative für Deutschland ist auf alle Fälle keine Alternative für Kultur- und Medienschaffende. Das Thema kommt schlicht nicht vor im Wahlprogramm, das mit vier Seiten allerdings auch das kompakteste aller Parteien ist.

Freischreiber-Votum:

Hier also unsere Wahlempfehlung

Gelegentlich wird ja gefragt, warum Journalisten mehrheitlich eher links seien in ihrer Einstellung. Mal abgesehen davon, dass es keine empirischen Beweise für diese Behauptung gibt, könnte ein Grund dafür in den Wahlprogrammen der Parteien zu finden sein.

Schwarz-Gelb hat insbesondere für freie Journalisten wenig anzubieten. Wem also die KSK lieb ist und wer auf eine Stärkung beim Urhebervertragsrecht hofft, lässt die Finger von Union und FDP. Der entscheidet sich für eine der drei Oppositionsparteien im Bundestag. SPD, Grüne und die Linke argumentieren auf der Höhe der Mediendebatte, nennen die richtigen Reformansätze und haben Ideen, wie künftig anspruchsvoller Journalismus gefördert werden kann. Nur besonders experimentierfreudige Urheber geben den Piraten ihre Stimme.


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