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3. November 2021

Von Baum-Umarmungen und lebensherbstlichen Beobachtungen

Im nächsten Jahr startet wieder das Mentoring-Programm von Freischreiber – für Freischreiber:innen: „Mentor:innen können dich zum Beispiel durch ihre Expertise im Anbieten von Texten und Mehrfachverwertung unterstützen, geben Tipps für Honorarverhandlungen, lesen wichtige Texte vor der Abgabe und geben dir ehrliches Feedback.“ Das Programm betreuen die Freischreiberinnen Anna-Sophie BarbutevCarolin Scholz und Isabelle Zeiher. Bewerbungsschluss ist der 31.01.2022.
Kein:e Freischreiber:in? Ach, das lässt sich schnell und fix ändern … 

Freischreiber-Termine

„Mehr Präzision und Tempo, mehr Sprachgefühl und Rhythmus, mehr Spaß?“, fragt Ariel Hauptmeier, Leiter der Reportageschule Reutlingen. Und bietet dazu via Zoom einen vierstündigen Crashkurs und zwar am 19.11. Preis für Freischreiber:innen: 49 Euro. Sonst: 129 Euro. Achtung: Derzeit ausgebucht, aber es gibt eine Warteliste.

Und der „Digitale Gründer*innen-Stammtisch“geht in die dritte Runde. Diesmal dabei sind Freischreiberin Nicola Kuhrt von MedWatch und Christian Schwägerl von RiffReporter. Termin: 25.11., ab 17 Uhr und das via Zoom. Das Ganze organisiert und moderiert wieder Freischreiberin Pauline Tillmann vom digitalen Magazin „Deine Korrespondentin“.

Freischreiberiges

Der „Medienpreis Wirtschaft NRW“ ist vergeben und unter den Preisträger:innen finden sich Freischreiber Steve Przybilla und Freischreiberin Janina Martens. Wir gratulieren aufs Herzlichste und empfehlen die Lektüre von „Unter Strom“ und „Der Geist von Höxter“.

Dies & das

Der Journalist Alexander Roth hat unlängst für den Zeitungsverlag Waiblingen lokal über ein bundesweit bekanntes Problemfeld berichtet: die Aktivitäten der Querdenker-Bewegung. Und wurde dafür heftigst angefeindet. Was er danach erlebt hat, wie er sich aber auch nicht einschüchtern lässt, das erzählt er in einem Podcast für die Lokaljournalismus-Plattform „drehmoment“: „Er spricht darüber, wie er damit umgeht, warum die ‚Flucht nach vorn‘ die richtige Herangehensweise ist, und wie er die von der Bewegung ausgehende Gefahr für Journalisten und die Pressefreiheit einschätzt.“ 

Matthias Katsch ist Sprecher der Initiative „Eckiger Tisch“, der die Betroffenen von sexueller Gewalt innerhalb der katholischen Kirche vertritt. Er ist zudem Mitglied der „Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“, und entsprechend ein viel gefragter und befragter Interviewpartner (wohl jede:r hat ihn schon mal via Interview im Fernsehen gesehen). Wie er das Spannungsfeld von engagierter Berichterstattung, nüchternen Schilderungen und oft zu beobachtenden Dramatisierungen betrachtet, hat er in einem Interview für die Schweizer „Medienwoche“ erzählt: „Ich persönlich habe überwiegend positive Erfahrungen gemacht, aber es gibt eine Tendenz in der Berichterstattung, die die Opfer in der Opferrolle zeigen will. Mit dem Argument, das löse die grössere Betroffenheit bei den Leser:innen oder dem Publikum aus. Diese Darstellung sei notwendig, um die Menschen bei so einem Thema mitzunehmen. Es hat was Klischeehaftes. In ihrer Anfrage für einen Fernsehbericht sagte mir eine Journalistin relativ frank und frei: ‚Ich habe einen Politiker, einen Wissenschaftler und jetzt brauch ich noch ein Opfer.‘ Die Rolle, die sie mir zugedacht hat, war also die Opferrolle.“

Soll Journalismus eingreifen oder soll er berichten? Soll er sich etwa für den Klimaschutz engagieren und damit positionieren oder sollte er sich strikt zurückhalten und schmerzfrei auf Neutralität beharren – und was ist das alles? Wen solche Fragen interessieren und womöglich auch konstruktiv verwirren, der sollte sich das knapp halbstündige Streitgespräch dazu auf Deutschlandfunk anhören: Es treffen aufeinander die Neurowissenschaftlerin und Mitgründerin von Perspective Daily Maren Urner und der einstige Spiegel-Online-Chefredakteur Florian Harms, der heute bei T-Online unterwegs ist.

Befragung

Apropos „konstruktiver Journalismus“: Die Universität Leipzig führt genau dazu derzeit im Rahmen eines Forschungsprojektes eine Befragung durch: „Bezeichnen Sie Ihre Art der Berichterstattung als ‚konstruktiv’ oder ‚lösungsorientiert’ und arbeiten Sie für ein oder mehrere Medien mit Sitz in Deutschland? Dann nehmen Sie sich bitte 15 Minuten Zeit, um diesen Fragebogen auszufüllen. Ihre Teilnahme ist sehr wichtig, damit wir ein vollständiges Bild bekommen.“ Hier gibt es alles Wissenswerte.

Seminare & Kurse

Der Mensch unter 30, der junge Mensch also, ist ja ein begehrtes Wesen. Und nicht einfach zu erreichen – also so medial. Von daher widmet sich das kommende VOCER Millennial Lab dem Workshop „Media for Millennials: Wie können klassische Medien junge Menschen erreichen?“. Der Online-Workshop findet am 12. und 13. November statt, und anmelden können sich freie Journalist:innen jeden Alters, die sich mit jüngeren Zielgruppen und deren Ansprache auseinandersetzen sowie entsprechende Formate entwickeln möchten. Es geht um folgende Fragen: Wie schaffen es Journalist:innen mit ihrer Arbeit, gezielt ein jüngeres Publikum zu adressieren? Welche Plattformen müssen sie dafür bespielen und wie müssen sich die Inhalte ändern? Im Fokus stehen dabei digitale Storytelling-Formate. 
Wichtig und cool: Für Freischreiber:innen ist der Workshop kostenlos. Aber nicht wundern: Es wird eine Gebühr von 20 Euro erhoben, die man nach der Teilnahme zurückbekommt.

Facebook, na ja. YouTube, na ja. Instagram, auch na ja. Soll man derartigen Plattformen einfach so das Feld überlassen? Oh, no! Genau, deshalb wird zu einem Kongress geladen , am 17. und am 18. November: „Beyond Platforms: What could be better?”. Prominente (und weniger prominente) Expert:innen präsentieren ihre Ideen und Prototypen zum Aufbau eines demokratischeren medialen Ökosystems: „Die Beyond Platforms Initiative“ strebt danach, die Regeln für Medienkonsum im Internet neu zu verhandeln. Es gilt, einen alternativen Zugang aufzubauen und eine eigene Medieninfrastruktur zu etablieren. Dabei geht es nicht um eine Imitation großer Social-Media-Networks, sondern um das Etablieren eines Mediensystems, das auf Standards, Interoperabilität und Dezentralität beruht.“
Hier ist die Teilnahme für alle – kostenlos. Und die Tickets für das Online-Event sind ab sofort hierverfügbar.

Noch ein Blick ins nächste Jahr: Die in Hamburg ansässige Akademie für Publizistik hat ihr Jahresprogramm 2022 online gestellt. Besonders interessant für alle freien Journalist:innen aus Hamburg: Weiterhin greift das Förderprogramm„Halbe Miete“, das einen Zuschuss von bis zu 250 Euro für Seminare und Kurse bietet.

Preise & Stipendien

Die erste Runde ist sozusagen gelaufen, rund 2.200 Stipendien wurden bewilligt. Und zwar aus dem Corona-Stipendiums-Programm der VG WORT. Da geplant ist, am Ende etwa 3.000 Stipendien zu vergeben, ist der Topf noch nicht leer. Und es geht immerhin um jeweils 5.000 Euro. Will man die etwa liegen lassen?
„Antragsberechtigt sind Autoren und Übersetzer belletristischer und dramatischer Werke sowie Journalisten, Autoren und Übersetzer von Sachliteratur, die in den Berufsgruppen 1 und 2 der VG WORT vertreten sind, sofern sie die geforderten Voraussetzungen erfüllen. Bei journalistischen Projekten werden nur Recherche- oder Veröffentlichungsprojekte im Bereich Feuilleton oder Kultur gefördert“. Und weiter: „Förderfähig sind Veröffentlichungsprojekte, Rechercheprojekte für künftige Veröffentlichungen sowie Entwicklungs- und Veröffentlichungsprojekte in Online-Formaten, interaktiven Projekten und Online-Kooperationen.“ Hier erhält man eine erste Übersicht über das Programm, und hier geht es nach und nach in die Feinheiten inklusive Antragsstellung. 

Selfcare für Freischreiber:innen & Friends

Freischreiberin Verena Carl und ihre Freischreiber-Kollegin Anne Otto, Psychologin und Autorin, haben kürzlich ein Buch zum Thema Selbstfürsorge bei Beltz veröffentlicht: „Ich bin dann mal bei mir“, aus dem sie Newsletter für Newsletter für dessen Leser:innen einen schönen, guten Tipp destilliert haben. Diesmal:  

#4: Waldbaden & Co: Raus aus dem Kopf!

Egal, wo ihr gerade sitzt: Steht mal kurz auf, öffnet das Fenster und schnuppert. Merkt ihr was? Nichts riecht so gut wie der Herbst, sogar, wenn ihr an einer befahrenen Straße wohnt, arbeitet oder beides. Und für diese Spezies unter uns ist dieser Tipp auch besonders wertvoll: für journalistische Großstadtpflanzen nämlich, die Cafégewusel, Kulturveranstaltungen, Auftraggebernähe suchen und brauchen, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Geht uns auch so. Aber manchmal fehlt was, wenn Natur eher Fototapete und Hintergrundbild ist. Nämlich ganz buchstäblich die Erdung, die Bodenhaftung, die wir brauchen als Menschen, die eben nichts mit den Händen machen, sondern mit Worten, Bildern, mit dem Kopf. 

Und nein, wir empfehlen jetzt nicht, einfach mal wieder spazieren zu gehen, wir meinen es wirklich ernst: Ganz dicht rangehen, tief eintauchen in die Natur ist ein großartiges Kontrastprogramm für Theoretiker:innen und Denker:innen. Also: Blätter anfassen, Feuchtigkeit unter den Füßen spüren (ja, wir machen uns barfuß!), die Augen schließen und trotzdem wahrnehmen, ob sich am Himmel gerade eine Wolke vor die Sonne schiebt. Sich in einem Wald verirren, ohne Ortungs-App, und merken, wie sich das anfühlt: kleiner Grusel, oder vielleicht große Geborgenheit, als hätte sich der Wald einen Spaß mit euch erlaubt wie ein gutmütiger Großvater? Keine Sorge, ihr kommt schon wieder raus, wir sind in Mitteleuropa, und sollte euch tatsächlich ein Wolf begegnen, stehen die Chancen gut, dass der mehr Angst vor euch hat als umgekehrt. Auch andere Orte eignen sich zum Auftanken: Heidelandschaften, Mittelgebirge, Flussufer. Einfach ins Gras oder in den Sand legen und sich fühlen wie ein Kind, das sich begeistern lässt von Vogelschwärmen am Himmel und Wind im Gesicht. Simpel, effektiv, fühlt sich an wie ein Kurzurlaub, ganz ohne ökologischen Fußabdruck (es sei denn, ihr seid mit dem SUV vorgefahren).

Der Trend zum „Waldbaden“ kommt übrigens aus Japan. Dort konnte der Gesundheitswissenschaftler Qing Li zeigen, dass allein die chemische Zusammensetzung der Waldluft eine günstige Wirkung auf Atemwege, Lunge, Herzkreislauf- und Immunsystem hat, und sogar gegen depressive Verstimmungen und Ängste hilft. Der Effekt ist umso stärker, je intensiver man sich auf das Erlebnis einlässt, allerdings betont die Umweltpsychologin Antje Flade, dass auch schon der Park vor der Tür oder der Ficus „Benjamini“ im Zimmer einen Effekt auf das Wohlbefinden hat. Irgendwo zwischen XL (im Nationalparkwald verirren) und XS (an der Grünpflanze auf dem Fensterbrett schnuppern) gibt es diese Selfcare-Maßnahme auch noch in M: Auch der Park vor der Tür tut’s mal zwischendrin; Hauptsache, ihr lasst euch wirklich auf die Erfahrung ein und hört nicht nebenbei Podcasts oder denkt über eure Steuern nach. Sollte euch jemand beim Hinlegen, Bäume-Umarmen und Co. beobachten, und sollte euch das peinlich sein, habt ihr als Journalist:in sowieso immer die beste Erklärung parat: „Das ist eine Recherche/ein Selbstversuch/eine Kreativitätstechnik!“

So. Das war’s schon wieder. Also fast. Denn die diesmal letzten Worte entstammen der schönen, weil ehrlichen Rückbetrachtung der Freischreiberin Charlotte Wiedemann nach 40 Jahren Schreiben und sollen deren Lektüre empfehlen: „Was das Ich betrifft, fahre ich längst im Zug der Zeit. Ich habe begriffen: Es gibt ein veräußerlichtes Ich, das in der Öffentlichkeit herumspazieren kann, ohne nächtliche Schamangst zu verursachen. Manches ist so intim, sagte Virginia Woolf, dass man es nur gedruckt äußern kann.“ Und: „Mein lebensherbstliches Beobachter-Ich hat sich von früheren Ängsten befreit, doch ist an deren Stelle ein andersgeartetes Zaudern getreten. Mein Reden und Schreiben über weiße Weltsichten und angemaßte Neutralitätskonstrukte hat mich zwischen Baum und Borke platziert und für jedweden vorbeiflanierenden Zweifel empfänglich gemacht.“ 

In diesem Sinne,
kommt weiterhin gut durch die herbstlichen Tage!
Eure Freischreiber:innen


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