Herausgeberbeteiligung und Verwaltungsdefizite
von Dr. Martin Vogel
Die diesjährige Mitgliederversammlung der VG Wort in München war – wie zu erwarten war – keine wirkliche Überraschung. Es sind dort neben Anträgen des Vorstands auch mehrere Anträge von Mitgliedern gestellt worden, die nicht allein erhebliche Defizite bei der Erfassung und Abrechnung von online-Veröffentlichungen, also Verwaltungsdefizite, betrafen, sondern auch die noch bedeutsamere, seit mehreren Jahren immer wieder an den Vorstand und die staatliche Aufsicht herangetragene Frage der Herausgeberbeteiligung, die an den Grundfesten der treuhänderischen Rechtewahrnehmung durch die VG Wort rüttelt.
In der Sache geht es darum, dass die VG Wort jährlich beträchtliche Summen (grob geschätzte 5 Mio EUR) – die VG Wort behauptet, es selbst nicht zu wissen – an Herausgeber ausschüttet, obwohl diese der VG Wort überhaupt keine Rechte übertragen. Ohne Rechtsübertragung darf die VG Wort freilich an niemand ausschütten. Das verlangt, wie der BGH und das BVerfG mehrfach und unmissverständlich entschieden haben, der Treuhandgrundsatz, dem die VG Wort verpflichtet ist. Wie es sich im Falle der Herausgeber im Einzelnen rechtlich verhält, haben der ehemalige Richter am BGH und ausgewiesener Urheberrechtsexperte Dr. von Ungern-Sternberg in seinem Aufsatz „Die Herausgeberbeteiligung der VG Wort – rechtswidrige Ausschüttungen an nichtberechtigte Dritte“ (JurPC Web-Dok. 25/2019, frei abrufbar auf der Website www.jurpc.de) und ich selbst in meinem Aufsatz „Die Herausgeberbeteiligung der VG Wort – eine neue Räuberpistole aus dem Urheberrecht?“ (Medien und Recht 2018, 162, 164 m.w.N.) in aller Klarheit ausgeführt.
Beide Aufsätze sind in den ausführlichen Begründungen der sechs Anträge, die ich zur Abschaffung der rechtswidrigen Herausgeberbeteiligung in der Mitgliederversammlung 2019 gestellt habe, zitiert. Man darf also davon ausgehen, dass die prekäre Rechtslage allen Mitgliedern, dem Vorstand und dem Verwaltungsrat der VG Wort bekannt war. Dennoch fand keine Diskussion oder das, was man dafür halten könnte, über die dazu gestellten Anträge statt, geschweige denn, sie hätten jemals die Chance gehabt, angenommen zu werden. Der Vorstand erklärte lediglich – wie bereits gehabt – ohne Begründung, er sei anderer Meinung.
Im Übrigen wiederholte sich nahezu deckungsgleich, was sich abspielte, als es um die Rechtmäßigkeit der Verlegerbeteiligung an dem Aufkommen aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen ging. Die VG Wort hatte damals gegenüber der Öffentlichkeit, insbesondere ihren Berechtigten, wahrheitswidrig behauptet, auch Verleger brächten bei ihr Rechte ein, und sodann mit dem allein den Urhebern zustehenden Aufkommen im Interesse der Verleger einen aussichtslosen Prozess geführt, der sie über eine Mio EUR Kosten gekostet hat. Treuhänderisch korrekt wäre es gewesen, wenn sie die Verleger, die von diesem Prozess profitieren sollten, zur Klageerhebung aufgefordert hätte. Aber man ist halt anderer Meinung – gleich welcher. Hinzu kommt eine weitere Mio EUR, die die VG Wort zu Unrecht an Verleger unter Vorbehalt ausgeschüttet, jedoch nicht mehr zurückerhalten hat. Schließlich schlagen infolge dieses Rechtsstreits zusätzliche, hohe Verwaltungskosten zu Lasten der Urheber zu Buche (siehe den Geschäftsbericht der VG Wort 2018), die die VG Wort durch diesen für sie von vorneherein hoffnungslosen Rechtsstreit verursacht hat. Dazu zählt nicht zuletzt ein Business-Flug Florida und zurück für den im Verwaltungsrat „unverzichtbaren“ Prof. Loewenheim. Zudem sollte nicht vergessen werden, dass die VG Wort den Prozess auch insoweit verloren hat, als er jährliche Zahlungen ohne Rechtenachweis an den Deutschen Hochschulverband in Höhe von jeweils 240.000 EUR und an drei weitere Berufsverbände in derselben Höhe pro anno geleistet hat. Alle in dieser oder ähnlichen Art Begünstigten leisten bei Abstimmungen dem Vorstand natürlich eine willkommene Unterstützung.
Wer geglaubt hatte, nach dem für sie beschämenden Ausgang des Rechtsstreits „Verlegeranteil“ gelobe die VG Wort Besserung, hat sich getäuscht. Im Gegenteil: die VG Wort ging in die Offensive. Das Urteil des BGH wurde von einem VG Wort-treuen Rechtsprofessor schlicht als Skandalurteil abqualifiziert. Nahtlos gingen die persönlichen Angriffe gegen den Kläger aus den Reihen der Verleger, des DJV und von ver.di weiter. Seine Beiträge in der Mitgliederversammlung wurden wie schon seit 2002 weitgehend mit Gejohle kommentiert und kurzerhand ein Notverteilungsplan beschlossen, der bereits deshalb rechtswidrig war, weil die durch ihn begünstigten Verleger an ihm mitgewirkt hatten. Nach den Versammlungen legten die Journalisten der sog. Premiumpresse von SZ (Esslinger) und FAZ (Hanfeld) nach, so dass ich gegen die FAZ eine Widerrufsverfügung erwirken musste.
Am 12.5.2017 erschien mein Artikel „Sogenanntes Verzichtsmodell“ im Perlentaucher. Er machte die Öffentlichkeit darauf aufmerksam, dass die VG Wort seit Jahren auch an Herausgeber unrechtmäßig ausschüttet. Diese Hinweise habe ich zehn Tage später in der Mitgliederversammlung der VG Wort wiederholt, jedoch ohne Erfolg: Vorstand Prof. Wandtke antwortete wie gewohnt ohne Begründung: Da bin ich anderer Meinung. Die VG Wort hat dennoch – gedeckt von der staatlichen Aufsicht – in der Folge zweimal an Herausgeber ausgeschüttet, und zwar ohne Vorbehalt und in der mit nichts zu rechtfertigenden exorbitanten Höhe von 50% der Autorenhonorare für jeden Sammelband. Dies hätte sie natürlich nicht tun dürfen, ohne ihre Treuhandpflichten zu verletzen. Die Höhe der dabei zu Lasten der Urheber veruntreuten Gelder lässt sich schwer einschätzen, weil die VG Wort dazu keine Zahlen nennt.
Die Verleger, die natürlich durch die hohe Beteiligung der Herausgeber an den Ausschüttungen der VG Wort ihre Honorarzahlungen an diese kleinhalten können, sowie die wissenschaftlichen Autoren, unter ihnen viele Herausgeber, pflegen ihre Pfründe. Zusammen mit der Aufsicht halten sie dem Vorstand den Rücken frei. Wer darauf aufmerksam macht und kritische Fragen stellt, ist ein Gegner der VG Wort, so Gerhard Pfennig, Sprecher der Initiative Urheberrecht, der als früherer Vorstand der VG Bild-Kunst ebenfalls erhebliche rechtswidrige Ausschüttungen an Verleger zu verantworten hat, die nicht zurückgeflossen sind und wahrscheinlich auch nicht mehr zurückfließen werden. Wer ist in diesem Sumpf eigentlich der Gegner der VG Wort?
Dennoch deckt die staatliche Aufsicht des DPMA weiterhin nicht nur die Beteiligung der Herausgeber am Aufkommen der VG Wort. Das darf nicht verwundern, denn durch das unterlassene Einschreiten gegen die zweimalige vorbehaltlose Ausschüttung der VG Wort an Herausgeber in 2017 hat sie eine Amtspflichtverletzung begangen und sich damit in erhebliche Schwierigkeiten gebracht. Denn geht es um die Sicherstellung der Anwendung der Treuhandregeln, die die Aufsicht zu gewährleisten hat. Von DJV, ver.di und dem Deutschen Hochschulverband erfährt die VG Wort ebenfalls massive Schützenhilfe in Sachen Herausgeberbeteiligung. Sie sichern dem Vorstand zusammen mit den Berufsgruppen der Verleger die benötigten Mehrheiten in der Mitgliederversammlung. Wen wundert das angesichts der Finanzierung des Rechtsstreits über den Verlegeranteil mit dem Aufkommen der Urheber, Zahlungen der VG Wort von kostspieligen Flugreisen eines Verwaltungsratsmitglieds und langjährigen Zuwendungen ohne jeden Rechtenachweis an den Hochschulverband und andere Berufsverbände wissenschaftlicher Autoren, ganz abgesehen davon, dass man Verleger auch bei der Herausgeberbeteiligung über ihren eigenen Vorteil abstimmen lässt.
Man fragt sich, weshalb die Journalisten- und Schriftstellerverbände DJV und ver.di in dieser Kameraderie den Vorstand der VG Wort in dieser Weise unterstützen. Denn auch sie sind in den Gremien der VG Wort dem Treuhandgrundsatz verpflichtet, wollen sie nicht an strafbaren Veruntreuungen mitwirken. Sie verbinden freilich mit der Begünstigung von Verlegerinteressen die Hoffnung, von diesen bei Tarifverhandlungen gnädig behandelt zu werden. Das kann man hier nachlesen: „ein Nullsummenspiel besonderer Art“.
Eines scheint nach dieser Mitgliederversammlung 2019 klar zu sein: Mittelfristig lässt sich die VG Wort nicht als treuhänderische Verwertungsgesellschaft aufrechterhalten, wenn dort nicht nach Gesetz und Recht gehandelt und den Berechtigten das ausgeschüttet wird, was ihnen tatsächlich zusteht. Die VG Wort ist kein Tummelplatz für Verbandsfunktionäre, die dort im Interesse einer vermeintlichen Symbiose von Urhebern und Verlegern die Haut ihrer eigenen Gewerkschaftsmitglieder zu Markte tragen. Und sie ist erst recht kein Verein zur Steigerung der Bedeutung, Wichtigkeit und des persönlichen Wohlbefindens seiner Vorstands- und Verwaltungsratsmitglieder. Jeder der dort entscheidet, hat sich danach zu richten, was der BGH in seinem Urteil „Verlegeranteil“ unmissverständlich entschieden hat: Nur derjenige darf an dem Aufkommen einer Verwertungsgesellschaft beteiligt werden, der bei ihr Rechte eingebracht hat, und dies auch nur mit einem Anteil, der den durch die Verwertung seiner Rechte erzielten Erlöse entspricht. Die Verteilung ist eben keine Frage beliebiger Mehrheitsentscheidungen in gönnerischer Pose von Funktionären organisiert, sondern hat sich nach den von der europäischen und nationalen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu richten. Bestehen rechtliche Zweifel an der Berechtigung, muss eine Verwertungsgesellschaft von einer Ausschüttung absehen, bis die Rechtslage geklärt ist. Daran jedenfalls gibt es keine Zweifel.
Zum Schluss noch ein Wort zum Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort: auch die jährlichen Zuwendungen an ihn von ca. 1,5 Mio EUR sind nach europäischem Urheberrecht eindeutig nicht vertretbar. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen die Zahlungen einer Verwertungsgesellschaft unbedingt beim Berechtigten ankommen. Geschieht das nicht, sind sie rechtswidrig, es sei denn, sie kommen zumindest mittelbar dem Berechtigten zugute. Zunächst fragt man, weshalb der Förderungsfonds einen Kostenanteil von ca. 500.000 EUR ausweist. Abgesehen davon: Wie kommt die Literaturausstattung urheberrechtlicher Lehrstühle durch den Förderungsfonds einem Berechtigten auch nur mittelbar zugute, und was haben die Vergabe von Stipendien an Studenten, die noch nichts veröffentlicht haben oder vielleicht auch gar nicht werden, oder Druckkostenzuschüsse für Doktoranden, die bis dahin in aller Regel noch nichts publiziert haben, mit einer mittelbaren Entschädigung der wahrnehmungsberechtigten Autoren für die Privatkopie ihrer Werke zu tun. Es ist erstaunlich, dass von Verwaltungsräten und Mitgliedern als kleinkariert apostrophiert wird, wer dies als treuwidrig beanstandet. So ist das nun einmal in der VG Wort: Im Umgang mit fremden Geld erweisen sich solche Mitglieder als großzügige Mäzene.
6. Juni 2019