4. September 2013

Ungar müsste man sein

Dass Zeilenhonorare in der Regel knapp bemessen und kaum dazu geeingnet sind, ihre Verfasser redlich zu nähren, ist eine Tatsache, die nicht nur auf diesen Seiten schon ausfühlich thematisiert wurde. Schön aber, dass uns vor diesem Hintergrund Ella Carina Werner in der taz in die Trickkiste für freie Mitarbeiter blicken lässt. Zurecht beklagt auch sie, dass Zeitungszeilen nicht so richtig rentabel sind. Ihr Lösung heißt da natürlich: Zeilen schinden. Etwa, in dem die zeitraubende Recherche einfach durch Fiktion ersetzt wird. „Je abseitiger Stoff und Region, desto seltener wird sich ein Redakteur aufraffen, die Infos gegenzuchecken. Arbeitsmarktreformen in Aserbaidschan, Geschlechterkämpfe auf Grönland oder die SM-Szene in Libyen – erlaubt ist, was mitreißt und sich flott bebildern lässt.“ Sinnvoll sei natürlich auch, einfache durch komplizierte Worte zu ersetzen. Warum soll man „Straßen“ schreiben, wenn es „Asphaltschluchten“ ebenso tun? Warum statt „Möbel“ nicht „Einrichtungsgegenstände“ verwenden, statt „lustig“ nicht „zwerchfellerschütternd“, statt Politiker nicht „Staatsrepräsentanten“? Über das Zeilen-Recycling sollten Freie ebenfalls mehr und mehr nachdenken. „Mit einer Wendung wie ‚Das Wasser steht ihnen bis zum Hals‘ lassen sich nicht nur Karstadt-Kassiererinnen porträtieren, sondern auch die deutschen Spitzenbrustschwimmer oder die maledivischen Ureinwohner, denen der steigende Meeresspiegel allmählich zu schaffen macht.“ Am besten aber schließt man sich einfach beim Schreiben der finnougrischen Sprachfamilie an. „Der Ungar schraubt einfach Wörter wie „Katonaiszolgálatmegtagadó“, „illetménykiegészités“ oder „gabonakereskedelens“ aneinander, schon walzt sich eine Kurznachricht locker über fünf Spalten.“ Ja, freier Journalist in Ungarn, das müsste man sein. Die brauchen vermutlich bei so paradiesischen Bedingungen gar keine Truppe wie die Freischreiber.


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