4. September 2013

Seitenwechsel

Es kommt ja gelegentlich vor, dass freie Journalisten eine Zeit lang ans andere Ende der Telefonleitung wechseln. Dann sitzen sie entweder tageweise oder als Vertretung für jemanden in Elternzeit in einer Redaktion und stellen fest: Es gibt Punkte, an denen auch die Freien die Zusammenarbeit mit den Kollegen in den Redaktionen verbessern können. Eine solche Kollegin ist Silvia Feist, Mitgründerin von Weltreporter.net und seit ein paar Monaten Textchefin bei Emotion. Sie schrieb uns diese Email: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, als jemand, der derzeit auf der anderen Seite des Schreibtischs sitzt, habe ich fünf Wünsche an unsere Zunft: 1. Formalien Natürlich können sich gerade unter Zeitdruck Fehler einschleichen und gegen Vertipper ist kaum ein Kraut gewachsen. Aber es wäre sinnvoll, grundsätzlich die gar nicht mehr so neuen Neuerungen der Rechtschreibung zu berücksichtigen. Und es wäre schön, wenn Schreiber im Zweifelsfall zum aktuellen Duden griffen – und vielleicht etwas häufiger zweifelten. Die neuen Kommaregelungen mal außen vorgelassen: Wer sich nicht ganz sicher ist, sollte sich die ß-Regeln bzw. die zum Doppel-S vergegenwärtigen, weitere Fehlerquellen sind Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung, An- und Abführungszeichen. Am Ende einmal in Word mit „suchen und ersetzen“ die Mehrfachleerzeichen rausnehmen und schon ist das gesamte Manuskript handwerklich auf der sicheren Seite. Ein eindeutiger Dateiname ist ebenfalls hilfreich, im Idealfall ein Name, der sich leicht erfassen lässt und dennoch spezifisch ist. Ich erinnere mich an die Rückmeldung eines Redaktionskollegen vor Jahren, der ein Themenheft zu “NY” betreute, und zig Dateien mit dem schlichten Namen “newyork” bekam. 2. Länge Das Problem ist relativ. 1000 Zeichen zu viel in einem 120-Zeilen-Tageszeitungsartikel sind problematischer als bei bestellten 12.000 Zeichen für einen Magazinartikel, in dem sich schlussendlich allein schon durchs Layout oft Kürzungen oder auch mal Längungen ergeben. Aber falls nicht klar abgesprochen ist, „erst einmal alles aufzuschreiben und die Langfassung zuzuschicken“, sollte sich jeder bemühen, sich an die vereinbarte Länge zu halten. 28.000 oder 20.000 Zeichen „erst mal zu schicken“ bei vereinbarten 12.000 macht beiden Seiten Arbeit. Die vielen Anschläge tippen sich ja nicht von allein und zu sehen, wie die Geschichte um die Hälfte schwindet, ist für keinen Autor schön. Für den Redakteur, der kürzen muss, ist es auch kein Spaß. Frustrierend wird es in der Redaktion, wenn eine Geschichte, die sehr viel zu lang ist, nicht einmal alle Fragen beantwortet. Wer sich bei einer Geschichte wirklich ganz unschlüssig ist, was der Kern für die Publikation ist und sich absolut nicht beschränken kann, sollte dieses Manuskript zumindest mit viel Vorlauf liefern. Besser: Diese Praxis vermeiden. 3. Ton von Geschichten Fast alle schreiben für unterschiedlichste Publikationen und haben natürlich ihren eigenen Stil. Wunderbar. Dennoch sollte man beim Schreiben im Hinterkopf haben, für wen man schreibt und sich fragen, passt mein Ton, mein Tempo zu dieser Publikation? Etwas, das in einem Nachrichtenmagazin nach Verve klingt, kann in einem anderen Magazin atemlos scheinen. 4. Interviews Gelegentlich hat man bei Interviews den Eindruck, sie seien aus dem Bauch geführt. Dafür gibt es vermutlich zwei Gründe: Der oder die Interviewte stand — oft zu Promozwecken — zum Gespräch bereit und hat nur heiße Luft produziert, statt bereit zu sein, ein echtes Interview zu führen. Oder der Interviewer, die Interviewerin hat das Gespräch eher aus dem Bauch geführt. Und wenn dann noch ein Buch der Anlass für das Gespräch ist und auf Seite 1 des Buchs die Fakten anders sind, als der Buchautor dann angeblich im Schlusspunkt des Interviews sagt, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Der Interviewte erzählt im Gespräch anderes als er schreibt. Oder der Interviewer hat weder das Buch gelesen noch richtig hingehört. Bei solchen Widersprüchen sieht das Magazin blöd aus, wenn die Leser, vom Interview angeregt, das Buch kaufen und schon auf der ersten Seite Widersprüche entdecken. Zwei Bitten: 1. Gibt ein Interview weniger her als erhofft und ist allenfalls sehr „luftig“ in der besprochenen Länge zu liefern, hilft es, frühzeitig in der Redaktion Bescheid zu wissen. Oft genug gibt es die Option, in der Redaktion auf Lauftext umzuschwenken, so dass noch andere Quellen zitiert werden können etc. 2. Vorbereitung hilft, ggf. auch in Absprache mit der Redaktion. Soll es ein „alles über“-Interview werden – wofür es gute Gründe geben kann? Oder bietet sich ein Oberthema an? Ein Gespräch kann sich dann immer noch ganz anders entwickeln, schließlich schreiben wir keine Drehbuchdialoge, und manchmal entstehen so großartige Interviews. Aber im Idealfall sollte der Interviewer ein Gespräch „führen“. 5. Eine Überlegung zum Manuskript Manuskripte, die bei mir eingehen, formatiere ich fast immer um, damit der Abstand anderthalbzeilig ist und ich Rand für Notizen habe. Bei Stern und Brigitte (G+J allgemein?) gab es eine Manuskriptvorlage, die ich beim freien Arbeiten verwendet habe, jeweils angepasst auf die Spaltenbreite der Redaktionen. Kernpunkte waren Abstand, Rand und durchgehende Zeilennummerierung, was hilfreich bei einer Besprechung sein kann. Oben gab es einen Header, in dem Redaktion, Ressort, Autor und Thema stehen und das Datum, welches sich automatisch aktualisierte. Absätze waren eindeutig und durch die Spaltenbreite half es, zu sehen, wie lang ein Absatz in Magazin X laufen würde. Vielleicht sollten wir so etwas als Druckformatvorlage bei Freischreiber verfügbar machen?“


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