Journalismus zwischen Hass und Aufklärung
Miese Löhne, Hass und Hetze – die Arbeitsbedingungen für Journalist*innen im Osten von Deutschland verschlechtern sich. Mit Blick auf die Landtagswahlen überlegen insbesondere Freie, die Region zu verlassen. Andere bleiben vor Ort, um Aufklärungsarbeit zu leisten.
Insa van den Berg ist regelmäßig mit freien Journalist*innen im Gespräch. Sie ist Freischreiberin und neben ihrer Kollegin Carolin Wilms Regio-Leiterin in Leipzig. Dem aggressiven Klima begegnet sie mit ihrem Newsletter newsgierig. Was das bringt? Vorstandsmitglied Elisa Kautzky hat Insa dazu interviewt:
Elisa Kautzky: Körperverletzung, Überfälle, Cyberbullying – woher kommt der Hass gegenüber Journalist*innen vor allem im Osten Deutschlands?
Insa van den Berg: Die Situation für Journalist*innen hat sich vor zehn Jahren mit Pegida stark verändert, seitdem werden wir als Feindbild angesehen. Damals bezog sich das in erster Linie auf die von Demos Berichterstattenden. Heute machen Journalist*innen in allen Bereichen schlechte Erfahrungen. Gelegentlich endet das Gespräch bereits, wenn man sich als Journalist*in vorstellt. Wir werden als Bedrohung wahrgenommen, als verlängerter Arm der Regierung.
Du bist im steten Austausch mit freien Journalist*innen. Was wünschen sich die Freien an Unterstützung seitens der Redaktionen?
Zunächst einmal ein Bewusstsein dafür, wie groß der Unterschied ist, fest oder frei zu arbeiten, beispielsweise im Hinblick auf die Sicherheitsbedingungen bei Recherchen. Es geht teilweise ganz schön heiß her im Landtagswahlkampf, sodass Gewalterfahrungen für Kolleg*innen nicht unwahrscheinlich sind. Während Festangestellte ohne größere Diskussionen mit Sicherheitswesten, Helmen oder Personenschutz losgeschickt werden, müssen Freie erst darum bitten oder regelrecht dafür kämpfen. Auch und gerade den Landtagswahlkampf zu beobachten, würde aber ohne Freie nicht funktionieren. Das in den Redaktionen anzuerkennen und pro-aktiv Unterstützung bei Gefährdungslagen anzubieten, wäre wertschätzend.
Was beschäftigt die Kolleg*innen im Osten gerade besonders?
Hier in Sachsen treibt viele Kolleg*innen um, dass Hass mittlerweile zum Alltag gehört. Mal sind es Bedrohungen, mal ganze Hetzkampagnen gegen Einzelne. Das geht von zerstochenen Reifen bis hin zu verbalen Übergriffen oder körperlicher Gewalt. Vor allem auf dem Land ist es für Kolleg*innen manchmal brandgefährlich, weil die Menschen sie kennen und wissen, wo sie wohnen. Gerade im Lokaljournalismus kann das bedeuten, dass Kolleg*innen sich selbst zensieren, weil es zu gefährlich ist, über bestimmte Personen oder Dinge zu berichten. Aber das gilt ja nicht nur für den Osten. Und natürlich gibt es auch noch Journalist*innen, die ihre Arbeit unbesorgt machen können.
Hast du ein konkretes Beispiel für diesen Hass?
Ich denke sofort an Fretterode. Im Frühjahr 2018 haben Rechtsextreme zwei Journalisten bei ihrer Arbeit schwer verletzt. Sie wurden mit dem Auto verfolgt. Das Auto landete im Straßengraben, die Rechtsextremen attackierten sie mit Baseballschläger und Messer und raubten die Kameraausrüstung. 2022 gab es ein Urteil: Für den einen Angreifer eine Jugendstrafe von 200 Sozialstunden, für den anderen ein Jahr und neun Monate Jugendfreiheitsstrafe auf Bewährung. Die Vorsitzende Richterin hat keinen gezielten Angriff auf die freie Presse gesehen.
Der Bundesgerichtshof hat das strittige Urteil im März aufgehoben, der Prozess muss neu aufgerollt werden. Aber was bedeutet das für die Journalisten? Nach einem schweren körperlichen Angriff und jahrelangem Prozess ist das Kapitel noch immer nicht abgeschlossen. Das ist sehr belastend und hat Auswirkungen auf die Lebensqualität und Karriere.
Gibt es viele Freie aus dem Osten, die überlegen, ihren Job aufzugeben?
Ja, gerade im Zusammenhang mit den Landtagswahlen. Auch wenn viele Journalist*innen idealistisch sind, manche sagen: „Wenn die AfD die stärkste Fraktion wird, sind wir weg“. Andere wiederum meinen: Bei dieser Gewalt und den miesen Honoraren suche ich mir einen anderen Job. Das macht was mit einem, wenn du täglich Hass erfährst oder Anzeige erstatten musst. Wenn du misstrauisch wirst, Leute in deine Wohnung zu lassen. Als Freie*r oder Journalist*in mit Migrationshintergrund ist man besonders gefährdet. Wenn dann noch der Rückhalt aus der Redaktion fehlt, was soll man tun? Manche sagen aber auch, es ist wichtig, jetzt zu bleiben und zu berichten. Denn Gewaltandrohungen gegen Journalist*innen sind eben kein typisch ostdeutsches Phänomen.
Welche Auswirkungen hat die Bedrohungslage für dich persönlich?
Ich habe auch schon unangenehme Erfahrungen gemacht. Gleichzeitig gibt es diesen Gewöhnungseffekt – man gewöhnt sich irgendwann ein bisschen an die Anfeindungen, wenn es nicht total überhandnimmt. Eigentlich ein Unding!
Bei Menschen ohne Medienerfahrung muss ich erstmal Vertrauen aufbauen. Bei einigen ist das schon gar nicht mehr möglich. Und ich merke, wie viel Unwissenheit über unseren Beruf herrscht. Ich verbringe einen großen Teil meiner Arbeit damit, Gesprächspartner*innen zu erklären, wie das abläuft, wenn ich sie interviewe. Oder ich werde von Menschen angerufen, die glauben, wenn sie mit einer freien Journalistin sprechen, landen sie nicht bei den angeblich von der Regierung gesteuerten Medien – sondern bei einer unabhängigen Autorin, die auch offen für Denunziationen sei. Da muss ich dann passen. Auch wenn ich frei statt fest angestellt arbeite, gelten für mich natürlich auch journalistische Standards wie das Überprüfen von Vorwürfen. Es fehlt da also schon an dem Wissen um Arbeitsverhältnisse.
Ist diese Unwissenheit auch ein Grund dafür, dass du deinen Newsletter gestartet hast?
Teilweise ja, bei dem „newsgierig“-Projekt will ich Leuten zeigen, wie wir Journalist*innen arbeiten und was wir den Leuten alles abnehmen mit unserer Arbeit. Mein Einsatz hilft mir aber auch, mich nicht so hilflos zu fühlen. Denn Medienbildung scheint im kleinen Rahmen echt etwas zu bewirken. Ein halbes Dutzend Menschen konnte ich schon zum Umdenken über Journalist*innen bewegen. Das ist nur ein kleiner Tropfen, aber jeder einzelne zählt. Und ich reihe mich ja nur ein in das Engagement von vielen großen Initiativen wie LieDetectors und Reporter4you.
Also gibt es Grund zur Hoffnung?
Ja, es passiert etwas! Viele versuchen, die Situation zu verbessern. Es gibt den Schutzkodex von Reporter ohne Grenzen, dem sich immer mehr Medienhäuser anschließen. Das verbessert auch die Situation für Freie, etwa wenn sie die Zusage für Geleitschutz bekommen oder psychologische und rechtliche Unterstützung seitens der Redaktion erwarten können. Dazu gibt es die Helpline von Netzwerk Recherche, ein niedrigschwelliges, kostenloses und anonymes Angebot für alle, die hin und wieder denken „Ich kann das nicht mehr“.
Und dann gibt es ja noch die Freischreiber-Stammtische…
Genau, wir am Standort Leipzig treffen uns alle zwei Monate, je nach Nachfrage vor Ort oder online. Das ist echt hilfreich, wenn man solche Angebote wie die Regio-Gruppen in Anspruch nehmen kann. Sich auszutauschen, das Gefühl zu haben, dass man mit Problemen nicht alleine ist und dass man über Lösungsansätze diskutieren kann. Ich persönlich erfahre viel Unterstützung von freien Kolleg*innen, das ist ein großes Geschenk.
Was kann man sonst als einzelne*r Freie*r tun?
Andere Möglichkeiten der Berichterstattung suchen, die den Fokus vom Problem zu den Lösungen schieben. Bei unserem Juni-Treffen haben wir beispielsweise darüber diskutiert, mehr zu Demokratieprojekten zu machen – als konstruktiven Ansatz. Das kann man natürlich auch im Westen tun.
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Du arbeitest als Journalist:in und bist betroffen von mentaler Belastung im Job? Die kostenlose Helpline von Netzwerk Recherche e. V. bietet Hilfe an:
+49 (0) 30 75 43 76 33 oder per Mail
Montag und Dienstag von 18 bis 20 Uhr
Donnerstag von 16 bis 18 Uhr
Freitag von 8 bis 10 Uhr