Freischreiber appelliert: Gruner-Ausverkauf stoppen – Qualitätsjournalismus und Autorenmagazine erhalten!
Dass beim Zeitschriftenhaus Gruner+Jahr die Zeichen auf Krise standen, war schon lange klar. Im Herbst machte Bertelsmann-CEO Thomas Rabe erste Andeutungen, RTL müsse das gesamte Gruner-Magazinportfolio auf den Prüfstand stellen. Kurz vor Weihnachten platzte die Bombe in Form eines Artikels von Anna Ernst in der Süddeutschen Zeitung[1]. Da waren wir als Menschen des Wortes kurz sprachlos: Bis auf den „Stern“ stünden sämtliche Gruner-Titel mutmaßlich zum Verkauf, darunter Traditionsmagazine wie „Brigitte“, „Eltern“, „Schöner Wohnen“ und sogar die sicher geglaubte „Geo“.
Dabei geht es dem Gesamtkonzern wirtschaftlich einigermaßen gut – Krisenzeiten, Papierpreise und Inflation hin oder her.
Die SZ zitiert die Bertelsmann-Geschäftsberichte der letzten Jahre: 143 Millionen Euro Gewinn vor Steuern im Jahr 2021, deutlich mehr also als die 127 Millionen im Corona-Jahr 2020. Aber offenbar zu wenig für die ambitionierten Finanzziele des Vorstandsvorsitzenden von Bertelsmann und Geschäftsführers der RTL-Group.
Was nach der „Portfolioanalyse“ im Lauf der nächsten Wochen ansteht, ist aller Wahrscheinlichkeit nach so düster wie erwartbar: Titel, die direkte Mitbewerber wegkaufen, aber nicht weiterführen; und Titel, die zwar andere Verlage übernehmen, aber aus den eigenen Redaktionspools bedienen und bei denen künftig Renditeziele über allen anderen stehen – also über journalistischer Qualität, Genauigkeit, Originalität in Text und Bild.
Wir wissen genauso wenig wie alle anderen (außer vielleicht Thomas Rabe), wer am Ende den Deal machen wird, aber er wird nur für eine Seite Gewinn bringen: für die kaufmännische Führungsriege und die Aktionär:innen von Bertelsmann. Verlieren werden alle anderen: die fest angestellten Redakteur:innen, die Leser:innen, der journalistische Nachwuchs.
Die freien Journalist:innen – ob Mitglieder der :Freischreiber oder nicht – sind in der Debatte bisher erstaunlicherweise noch gar nicht aufgetaucht.
Viele der Gruner-Magazine verdanken in den letzten Jahren vor allem uns und unserer Arbeit als freie Reporter:innen, Autor:innen, Kolumnist:innen und Service-Journalist:innen, dass der Verlag die Magazine nicht mit leeren Seiten ausliefern musste. In Zeiten ständig schrumpfender Redaktionsteams waren wir Freien über Jahre ein wichtiges und verlässliches Rückgrat des Verlages.
Und auch wenn wir häufig genug Grund zur Klage hatten – etwa über Total-Buyout-Rahmenverträge und seit Jahren stagnierende Honorare – haben wir immer wieder gerne mit dem Verlag und vor allem den Redakteur:innen zusammengearbeitet, weil Gruner einer der letzten Garanten für guten Magazinjournalismus in Deutschland war.
Für viele von uns war und ist Gruner & Jahr journalistische Heimat und wichtigstes Standbein. Das droht uns jetzt gnadenlos wegzuknicken.
Wir sind traurig und wütend über diesen Kurs, der von rein monetären Interessen getrieben ist und nicht einen Funken vom „Bekenntnis zum Journalismus“ übriglässt, das Thomas Rabe auch nach der Fusion von Gruner & Jahr mit RTL häufig und vollmundig geäußert hat.
Wir appellieren an Bertelsmann und Thomas Rabe:
Stoppen Sie den Ausverkauf, erhalten Sie das publizistische Schwergewicht Gruner + Jahr – zugunsten Ihrer Leser:innen, Ihrer Mitabeiter:innen und der freien Journalist:innen, die mit ihren Inhalten die Magazine zu den begehrten Verkaufsobjekten gemacht haben, mit denen der Verlag gut verdient hat.
Hamburg, 19. Januar 2023
Der Vorstand der Freischreiber
[1] https://www.sueddeutsche.de/medien/gruner-und-jahr-brigitte-geo-verkauf-rtl-bertelsmann-1.5719250?reduced=true