4. September 2013

Expertengespräch zum Qualitätsjournalismus: „Die wirtschaftliche Situation wirkt sich auf die Arbeit aus“

Gestern tagte der Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages in Sachen eines „ideologischen Tarnbegriffs“ (Volker Lilienthal): Es ging um Qualitätsjournalismus. Das Publikum dürfe doch erwarten, dass jeder Journalismus bestimmten Qualitätskriterien genüge, sagte der Inhaber der Rudolf-Augstein-Professur für Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg. Und so diskutierten die Ausschussmitglieder gemeinsam mit den geladenen Experten eineinhalb Stunden lang darüber, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit der Journalismus auch in Zukunft die Bedingungen von Qualitätsjournalismus erfüllen kann. Auf Carta sind die wichtigsten Aussagen des Nachmittags dokumentiert. Aus Sicht der freien Journalisten bleibt darüber hinaus festzuhalten: Die Botschaft, dass sich die wirtschaftliche Situation vieler Journalisten auf ihre Arbeit auswirkt, ist bei den Parlamentariern wohl angekommen, sie wurde immer wieder thematisiert. Etwa von Wolfgang Storz, der darauf verwies, dass sich bei den gegenwärtigen Honorarsätzen einerseits die Freien auf die Aufträge konzentrierten, für deren Bearbeitung zwei Telefonate genügten, und andererseits Ressortleiter gar keine komplexen Themen mehr vergäben, für deren Bearbeitung vier Tage notwendig seien. Im Vorfeld des Expertengesprächs wurde Freischreiber gebeten, eine Stellungnahme darüber abzugeben, in welcher Weise die Politik die Rahmenbedingungen für die Arbeit freier Journalistinnen und Journalisten verbessern kann (s.u.). Doch auch die besten Rahmenbedingungen werden nichts nützen, solange die Verlage ihre Autoren von der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Produkte abkoppeln. Wolfgang Blau, Chefredakteur von Zeit Online, etwa betonte, dass es sehr wohl möglich sei, funktionierende Geschäftsmodelle im Internet zu etablieren. So habe das von ihm verantwortete Angebot seit Januar 2009 die Klickzahlen pro Jahr jeweils um 50 Prozent steigern können, dasselbe gelte für die Umsätze. Auf die Honorare der Freien hatte diese erfreuliche Entwicklung allerdings keinen Einfluss: Die gehen nach wie vor nicht über das Niveau einer Aufwandsentschädigung hinaus – wenn überhaupt. Laut der Ausschussvorsitzenden Monika Grütters war das Expertengespräch der Auftakt für eine Reihe weiterer Runden zum selben Thema. +++++ Stellungnahme Freischreiber e.V. zum Expertengespräch „Zukunft des Qualitätsjournalismus“ im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien Rund 20.000 freie Journalisten gibt es in Deutschland – Tendenz steigend. Die Freien sind für die Medien unverzichtbar: Ohne sie blieben viele Seiten und Online-Angebote großer Zeitungen und Magazine leer, Radio- und Fernsehanstalten müssten den Betrieb einstellen. Viele freie Journalisten haben sich in der Vergangenheit bewusst und freiwillig für ein Leben als Freiberufler entschieden. Doch die Honorare, die freie Journalisten für ihre Arbeit bei vielen Verlagen heute erhalten, sind so gering, dass sie allein davon ihr Auskommen nicht bestreiten können. Dies gilt in besonderem Maß für Tageszeitungen. Ein durchschnittlicher freier Journalist – seit 15 Jahren freiberuflich tätig – verdient monatlich 2147 Euro (brutto, nach Abzug der Betriebsausgaben). Fast 40 Prozent der Freien verdienen monatlich unter 1000 Euro, so eine Studie des Deutschen Journalistenverbands DJV. Die schlechte Verdienstlage der Freien aber stellt eine erhebliche Gefahr für den Qualitätsjournalismus dar. Angesichts der Stellenstreichungen in Redaktionen in den vergangenen Jahren werden redaktionelle Tätigkeiten heute verstärkt an Freie vergeben. Ihre Arbeit wird für die Redaktionen zunehmend wichtiger. Doch diese Tatsache schlägt sich nicht in den Honoraren nieder. Ausreichend Zeit für Recherchen bleibt angesichts der geringen Bezahlung häufig nicht. Freie Journalisten erleben, dass ein ganzer Tag Recherche für eine große Nachrichtenagentur mit 70 Euro Zeilengeld honoriert wird. Oder dass eine Woche Recherche für eine große Wochenzeitung mit 300 Euro bezahlt wird. Auch von Zweit- oder Drittverwertung können freie Journalisten heute kaum noch profitieren: Die Veröffentlichung im Internet und der Weiterverkauf an Dritte durch die Verlage sind in diesen Honoraren durch sogenannte „Buyout-Verträge“ in der Regel bereits inbegriffen. Viele Kollegen müssen deshalb immer mehr Aufträge annehmen, um über die Runden zu kommen, es bleibt weniger Zeit für die Recherche, die Zeitnot führt zu Qualitätsverlust. Denn fehlende Zeit für Recherche bedeutet: weniger Recherchetiefe, weniger Zeit, Fakten zu überprüfen. Und die Gefahr, die eigene Unabhängigkeit zu verlieren: Weil freie Journalisten von ihrer journalistischen Tätigkeit allein oft nicht leben können, nehmen sie häufig auch Aufträge aus der PR an – die Gefahren, die durch eine solche Vermischung der Arbeitsbereiche entstehen können, liegen auf der Hand. Das Urheberstärkungsgesetz aus dem Jahr 2002 hat seine Wirkung bislang verfehlt: Erst nach sieben Jahren Verhandlung wurden 2010 die ersten gemeinsamen Vergütungsregeln zwischen Verlagen und Gewerkschaften für freie Journalisten an Tageszeitungen verabschiedet. Nicht allein, dass die erzielten Ergebnisse noch immer kein Auskommen ausschließlich von journalistischer Arbeit sichern – kaum ein Zeitungsverlag hält sich an die vereinbarten Regelungen. Etliche Kollegen haben uns sogar berichtet, dass sie allein nach der Frage, wie es der Verlag mit den Vergütungsregeln halte, mit Auftragsentzug bestraft wurden. Freischreiber e.V. hält deshalb Neuregelungen zum Schutz freier Journalisten für unabdingbar. Dazu könnten gehören: Die Verbandsklagebefugnis zur Durchsetzung der gemeinsamen Vergütungsregeln. Bisher kann nur jeder einzelne freie Journalist den Verlag – seinen Kunden – verklagen, was aus Angst vor Auftragsverlust nur sehr selten passiert. Ein Verbot von Buyout-Verträgen, bei denen eine große Zahl von Rechten bis hin zu „heute noch unbekannten Nutzungsarten“ vorsorglich abgetreten wird, ohne dass der Urheber erfährt, welche Rechte überhaupt tatsächlich vom Verwerter genutzt werden. Eine Informationspflicht der Verwerter gegenüber dem Urheber über die Nutzung von Werken und die Erträge daraus bzw. eine Absprache über die Ermittlung des Honorars für die Weiterverwertung. Mehr Transparenz über die Verträge und Verteilungspläne der VG Wort sowie die Verpflichtung der Verlage, die Klickzahlen von Online-Texten freier Autoren nachvollziehbar an die VG Wort zu melden. Die Künstlersozialkasse ist eine wichtige soziale Absicherung für freie Journalisten. Sie muss bestehen bleiben. Ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage, wie es derzeit gefordert wird, würde die strukturelle Ungleichheit zwischen Verlagen und freien Journalisten weiter verschärfen, es ist deshalb nicht im Sinne freier Journalisten. Sie müssen zudem befürchten, dass ein Leistungsschutzrecht Probleme mit der Zweitverwertung ihrer Werke mit sich bringt.


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