„Es war Notwehr“
Freischreiber verleiht den Himmel- und Höllepreis 2019 in Hamburg.
Wie viel kann ein Verband an einem Tag schaffen? Freischreiber, der Berufsverband der freien Journalistinnen und Journalisten, wollte es wissen und kann nun sagen: Preisverleihung, Mitgliederversammlung, Vorstandswahlen, Boxen, Kegeln und ein Betriebsausflug in den Himmel sind drin. Kurz vor der Hölle war dann aber Schluss.
Der gelbe, alte Bus rumpelte, zugig war es und gleichzeitig ein bisschen zu warm und ein bisschen zu kalt. Gut 40 freie Journalistinnen und Journalisten wollten von Himmelpforten nach Teufelsbrück, also vom Himmel in die Hölle, und unterhielten sich dabei prächtig. In Teufelsbrück bei Hamburg sollte in diesem Jahr der Höllepreis verliehen werden – der Preis, mit dem einmal im Jahr Redaktionen, Verlage oder Personen ausgezeichnet werden, die sich gegenüber freien Journalistinnen und Journalisten besonders fies verhalten. Aber der klapprige Bus, Modell amerikanischer Schulbus, kam nicht bis zur Hölle, sondern machte irgendwo auf Höhe Fegefeuer Halt für eine kleine Höllenshow mit Sound und Licht und Laudatio von Gastredner Christian Gesellmann, dem Krautreporter, der den wütenden Text schrieb: Kohle raus!
Höllepreis für ausbleibende Honorare: Dornbusch Verlag
Wer bekam den Preis? Eine Klitsche aus der Schweiz. Wie kommt Dornbusch, ein kleiner christlicher Verlag, zum Negativ-Preis der Freischreiber? Durch besonders höllisches Verhalten. „Es ist sicher nicht der eklatanteste oder relevanteste Fall miserablen Verhaltens eines Mediums gegenüber festangestellten und freien Journalisten, was der Dornbusch Verlag sich so gegönnt hat. Aber er ist eine brennende Allegorie dafür, wie tief unsere Branche gesunken ist“, erklärte Gesellmann in seiner Laudatio. Dornbusch bestellte Artikel und ließ die Freien dann monatelang und zum Teil vergeblich auf Honorare warten. „Dass Honorare sehr spät oder nicht gezahlt werden, das hören wir in letzter Zeit häufiger“, sagt Freischreiber-Vorsitzende Carola Dorner. „Uns ist es wichtig, mit dem Höllepreis auf Missstände hinzuweisen, die viele von uns betreffen. Ausbleibende Honorare für geleistete Arbeit sind ohne Frage höllepreiswürdig.“ Dass Freie für ihre Arbeit fair und pünktlich bezahlt werden, sollte nichts anderes als selbstverständlich sein. Der Fall Dornbusch zeigt wieder einmal, dass es das nicht ist.
Himmelpreis für großen Mut: Juan Moreno
Ebensowenig selbstverständlich war das Verhalten, das zum Himmelpreis 2019 führte. Als Juan Moreno beschloss, gegen den vermeintlichen Superstar des deutschen Journalismus, den Hochstapler Claas Relotius vorzugehen, stand er mit dem Rücken zur Wand. „Es war keine Heldentat, sondern Notwehr“, meldet sich der Preisträger bei den Freischreibern schriftlich, der unterwegs auf einer Lesereise war. „Unsere Reputation ist unser größtes, in Wahrheit unser einziges Kapital.“ Dennoch hätte er sich wegducken können. „Bei der Entlarvung von Relotius hat Moreno ein Rückgrat bewiesen, das seinesgleichen sucht. Für seine Haltung hat er Kopf und Kragen riskiert. Seinen freien Kopf und Kragen, seine Existenz als freier Journalist“, lobt Laudatorin Gabriele Meister den Himmelpreisträger auf der Betriebsausflugs-Station in Himmelpforten. „Juan Moreno hat nicht stillgehalten. Und das macht anderen Freien Mut, ebenfalls nicht stillzuhalten, wenn es darauf ankommt.“ Hier geht es zur Laudatio.
Busfahrt zum Kegeln
Werden die Freischreiber spießig? Keinesfalls, auch wenn ihr Betriebsausflug beim Kegeln endet. Unterwegs im Bus lachten die Freischreiber-Mitglieder über unmögliche Absagen auf Themenvorschläge, hörten sich fadenscheinige Begründungen für Dumping-Honorare an und lauschten dem Reporter-Barden Bommi und seiner Ukulele („Claas-Relotius-Blues“). Und manches neues Vorstandsmitglied machte sich schon mal Gedanken über seine neue Rolle. Auf der Mitgliederversammlung in Hamburg wurden Carola Dorner, Katharina Jakob, Jakob Vicari, Jens Eber und Katharina Dockhorn (in Abwesenheit) im Amt bestätigt. Neu dabei sind Caroline Schmidt-Gross, Anna Heidelberg-Stein, Nicola Kuhrt und Oliver Eberhardt. Gabriele Meister, Frank Keil, Steve Przybilla und Andreas Unger sind nach Jahren der ehrenamtlichen Vorstandsarbeit nicht wieder angetreten.
Hamburg, 11. November 2019
Alle Fotos: Philipp Reiss