4. September 2013

Eine Predigt in der Wüste von Prof. Annette Leßmöllmann

Gestern hat Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, ein äußerst knappes Statement zur Arbeit mit Freien abgegeben. Annette Leßmöllmann (Twitter, Blog), Journalismusprofessorin an der Hochschule Darmstadt fällt deutlich mehr zur Situation der Frei en bei der Stuttgarter Zeitung ein: “Wenn Du Journalistin werden willst, heißt es: Geh zuerst in die Lokalredaktion. Ich tat es, und es stimmte: Das Lokale bietet nicht nur alle Themen – Kultur, Wirtschaft, Politik, sogar Wissenschaft –, sondern auch vom ersten Moment an die harte journalistische Schule. Themen in der Redaktionskonferenz durchbringen, von Termin zu Termin sausen, schnell schreiben und dabei bloß keinen Fehler machen. Denn sonst steht die Lehrerin, deren Namen man falsch geschrieben hat, am nächsten Tag gleich mit der gesamten Klasse auf der Matte der Redaktion, im Namen des Grundgesetzes! Man wird eben gelesen, und das schult. Und man wird bestochen, zumindest wird es versucht („naja, die Häppchen waren verschimmelt, aber wenn wir Ihnen einen Fresskorb mitgeben, müssen Sie’s dann schreiben…?!“). Oder die Zeitung wird bestochen: “Wenn die Anzeige von X kommt, müssen wir den kritischen Artikel über X vielleicht doch noch einmal überdenken, liebe Kollegen.” Standhafte Lokalredakteure wehren sich hier. Aber was ist, wenn es kaum noch Lokalredakteure gibt? Sondern Freie, die sich mit einem Zeilenhonorar rund um einen Euro durchschlagen? Die, selbst wenn sie sich die Finger wundschreiben, über ein Tageshonorar von 100 Euro kaum hinauskommen? Rechnen wir’s durch: 100 Euro mal 15 Arbeitstage, an denen man wirklich journalistisch arbeiten kann – denn der Rest der Zeit geht für Steuererklärung drauf und für sonstige Büroarbeit, Akquise und vielleicht auch mal einen Krankheitstag. Macht 1500 Euro, minus Betriebskosten, minus Steuer, minus Krankenversicherung. Und schon sind die Freien, die zum Zeilentarif schreiben, bei der Armutsgrenze angelangt. Was macht also ein Freier, der dieser Falle entkommen will? Er wird Magazinjournalist (s. GEO und Zeit-Magazin) und verlässt damit das Lokale (rette sich, wer kann!). Oder er verzweifelt. Oder er besinnt sich auf seine Metzgerausbildung, er hat ja mal was Ordentliches gelernt, und schreibt nur noch zum Spaß für die Zeitung, das Geld braucht er jetzt nicht mehr. Wenn es ganz schlimm kommt, läßt er sich von Firmen dafür bezahlen, dass er bestimmte Dinge in der Zeitung positiv darstellt. Diese letztgenannten Auswüchse kennen viele in der Branche, aber man redet nicht drüber. Eines jedenfalls steht fest: Leben kann man von der Lokalberichterstattung als Freier nicht. Was hat das alles mit der Stuttgarter Zeitung zu tun? Schauen wir sie uns an: Sie kommt auch „entfreit“ noch ganz manierlich daher. Konservativ geschätzt (z. B. unter der Annahme, dass die Korrespondenten alle fest angestellt sind, was nicht so sein muss), fielen 25 Prozent der Zeitung weg, wenn die Freien mal streikten. Kein Vergleich also mit dem Zeit-Magazin, aber: Die entfreite Stuttgarter ist genau da angenagt, wo es den Lesern weh tut, die z.B. die Seite-Drei-Reportage schätzen (so wie ich). Und ach, wie sieht es erst im Lokalteil aus? Lauter weiße Stellen. Ich weiß nicht genau, unter welchen Bedingungen die Freien bei der Stuttgarter Zeitung arbeiten, die für den Lokalteil schreiben. Aber ich weiß, dass es ein hohes Gut ist, eine gute Lokalberichterstattung zu haben. Und dass es ein Unding ist, wie schlecht Lokalberichterstatter bezahlt werden. Das kommunale Miteinander ist für viele Menschen der zentrale Bezugspunkt, wo sie arbeiten, sich ehrenamtlich engagieren, Politik machen, wirtschaftlich und kulturell aktiv sind (und politische und wirtschaftlich Entscheidungen erleben oder ausbaden müssen). Hier eine unabhängig agierende Presse zu haben, entscheidet nicht nur darüber, wie gut Menschen informiert werden, sondern auch darüber, welches Bild sie von der Presse haben. Wenn die Lokalberichterstattung nur noch von Freizeitschreibern übernommen wird oder, wenn es ganz schlimm kommt, nur noch in Form von Sponsorentexten daherkommt, dann haben wir ein demokratisches Problem. Und dann haben auch die Lokal- und Regionalzeitungen ein Problem. Denn so schön Seite-Drei-Reportagen auch sind: Wozu kaufen Leser sich eine Zeitung, die aus ihrer Region stammt? Um über diese Region informiert zu werden. Diese Informationen sind ihnen wichtig. Deswegen sollten uns die, die darüber berichten, auch wichtig sein. Und wir sollten sie ordentlich bezahlen. Ich weiß genau, dass dies eine Predigt in der Wüste ist. Auch ich bin – rette sich, wer kann! – der schlechtbezahlten Lokalberichterstattung entflohen und in die Arme der Magazine und Wochenzeitungen geflüchtet. Aber mein Handwerk habe ich bei den Lokalen gelernt. Sorgen wir dafür, dass zumindest das so bleiben kann.


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